„Lesenswert“ prangt in großen Lettern auf den braunen Einkaufstüten mit den Büchern darin. Lesenswertes enthalten auch die kleineren mit Zeitungspapier eingeschlagenen Päckchen, die die Mitarbeiter der Bibliothek am Markdorfer Bildungszentrum in diesen Wochen für ihre Kunden packen. Die Versorgung mit Medien sei gesichert, heißt es auf der Internetseite der Bibliothek.
Lesestoff gibt es nach Anruf oder E-Mail
Obgleich der Zugang zu den Regalen bis auf weiteres verwehrt bleibt, obwohl die Bibliothek geschlossen ist. Kurz: Wer die Bibliothekarinnen anruft, wer ihnen eine E-Mail schreibt mit seinen Lektürewünschen, dem wird der Lesestoff auch während des coronabedingten Lockdowns nicht ausgehen.

Dementsprechend unbekümmert klingt denn auch die Antwort von Diana Amann, der Direktorin des Gymnasiums. Für ihre Schüler hat sich im Grunde nichts geändert. Sie kommen an die Bücher, die sie brauchen. Dank weit entwickelter Lesekompetenz bilden sie sich selbstständig weiter. Lesen als „kulturelle Praxis“ ist für sie Selbstverständlichkeit, die allenfalls durch Unlust etwas gedämpft wird. Ansonsten aber dürfte auch für die Markdorfer Gymnasiasten gelten, was allgemein gilt: Der Lockdown befördert sogar noch die Lesebereitschaft. Mangelt es derzeit doch an Ablenkung.
Wenn die Leseförderung ausfällt
Und doch: Die Bibliothek ist geschlossen. Die samstäglichen Vorlesestunden dort fallen somit aus, wie Robert Schwarz bedauert. Der Pressesprecher des Landratsamts gehört zum Kreis der dort regelmäßig Vorlesenden. Unter dem Motto „Vorlesen schenkt Welten“ lesen die Ehrenamtlichen des Vorlesenetzwerks der Kinderstifung Bodensee auch am Bildungszentrum vor, nicht zuletzt, um die Sprach-, aber auch die Leseentwicklung zu fördern, als Beitrag zur frühkindlichen Bildung.
Lehrer sorgen sich um Nicht-Leser
Es sind keineswegs allein die Grundschullehrer in den Ballungsgebieten, die sich Sorgen machen und die fürchten, dass ihnen während des Lockdowns Kinder entgleiten oder dass sich die Schreib- und Lesefähigkeit mancher Schüler langsamer entfaltet. Zumal ja in der aktuellen Phase des Distanzunterrichts der Lernort Schule versperrt bleibt. Ansonsten ist das Klassenzimmer ja der Bereich, in dem gerade benachteiligte Kinder gezielt angesprochen werden können.

„Wir tun natürlich alles, um alle Schüler zu erreichen“, erklärt Franziska Schlee, Lehrerin an der Grundschule in Leimbach. Die allermeisten Mädchen und Buben erreiche sie auch – selbst im Distanz-Unterricht. Bei einigen wenigen gestalte sich das aber doch schwieriger. Und die Stimme der Lehrerin klingt besorgt. Ebenso besorgt wie bei Timo Metzger, dem Konrektor der Jakob-Gretser-Grundschule, den grob geschätzte fünf Prozent der Schüler Kummer bereiten. Kinder, die zu den Lockdown-Verlierern gehören dürften. Sofern sie nicht gezielt gefördert werden, sobald die Schulen wieder öffnen.

Wenn endlich wieder beim gemeinsamen Frühstück in der großen Pause vorgelesen werden kann, wie Lehrerin Schlee die Gepflogenheiten in Leimbach schildert. Wenn die Lesezimmer der Schulen wieder zugänglich sind. Wenn die ersten Klassen wieder ihre Ausflüge in die Bibliotheken machen, um – zum Teil mit großen, staunenden Augen – die Welt der Bücher zu entdecken.
Lese-Aktionen für die Kinder fehlen sehr
Und wenn die regionale „Prominenz“, die Pfarrer, Bürgermeister und Abgeordneten, wieder zum Vorlesen in die Klassen kommen dürfen. Und wenn die Kinderbuch-Fachfrau aus der örtlichen Buchhandlung wieder mit ihrem Koffer voller spannender Bücher in die Schule kommt, aus Sach- oder Abenteuer-Büchern vorliest.

Oder wenn es wieder zu Projekttagen zum Thema Papier kommen darf, an denen Kinder lernen, wie Papier gemacht oder recycelt wird, wie daraus Hefte, Zeitungen oder eben Bücher entstehen. „Im letzten Jahr ist das alles nicht möglich gewesen“, bedauert Grundschullehrerin Schlee.
Die Schulen in Markdorf fördern gezielt
Um so gezielter heiße es, die Lesekompetenz trotz des Distanz-Unterrichts zu fördern. „Wir lassen die Kinder ihre Lieblingsbücher vorstellen“ berichtet Franziska Schlee. Spezielle Medienplattformen böten wichtige Hilfestellungen- mit Apps oder Frage-Runden.
Gezielte Leseimpulse geben auch die Lehrer an der Jakob-Gretser-Grundschule, vielfach mit besonderen Aufgaben verbunden, die zum Lesen motivieren. Mithin wird an beiden Markdorfer Grundschulen getan, wozu Bildungsforscher raten.
„Lesen ist wie Radfahren“
Irina Botyen, Referendarin an der Jakob-Gretser-Grundschule, bringt bei ihren Schülern die „Leseraupe“ zum Einsatz. „Lesen ist wie Radfahren“, erklärt sie, „am Anfang muss man viel üben.“ Mit den Material-Häppchen der „Leseraupe“ mache das den Kindern Spaß. Vor allem aber gilt: „Wir suchen den Kontakt zu den Kindern“, erklärt Franziska Schlee. Die Lehrkräfte bleiben ansprechbar, präsent – wenn auch nur virtuell beziehungsweise per Telefon.

„Manche Kinder lesen inzwischen besser als vorher“, beobachtet Grundschul-Konrektor Metzger. Er vermutet, dass das zum Teil auch daran liegt, wenn sich im Homeoffice arbeitende Eltern mehr Zeit – und gemeinsam mit ihren Kindern dann Bücher zur Hand nehmen. Doch leider sei das nicht in allen Familien so.