Lina, Sena, Tabika und Helena stehen dicht am Wühltisch. Von Wühlen kann jedoch keine Rede sein: Die vier Realschülerinnen gehen sorgsam mit den Tops, T-Shirts und Jeans um. Es gibt weder Drängeln noch Schieben. Und doch sind es Schnäppchen, die hier auf den Tischen in der Freizeitküche der Markdorfer Realschule liegen. Sie sind es um so mehr, da sie gar nichts kosten. Ferenz findet das ganz prima. Der Zwölfjährige trägt heute ein T-Shirt heim.
Neu ist es nicht. Es wurde schon getragen, befindet sich aber in bestem Zustand. Frisch gebügelt ist es obendrein. Denn das hat Nicola Vogel noch auf die Schnelle erledigt. Kurz vor Beginn des ersten Aktionstags, an dem sich die Schüler in den beiden großen Pausen aussuchen konnten, was ihnen gefällt – an Shirts, Jeans, Jacken und Pullovern. „Richtig viel ist ja leider noch nicht zusammengekommen“, bedauert Nicola Vogel und weist auf Tische und Kleiderständer ringsum. Bei 600 Realschülern am Bildungszentrum hätte der Rücklauf auf die Werbe-Flyer ruhig etwas üppiger ausfallen können, findet die Lehrerin.
Zusammen mit drei weiteren Kolleginnen hat Nicole Vogel den Impuls aus dem Landratsamt aufgegriffen. „Das Abfallwirtschaftsamt ruft einmal im Jahr dazu auf, sich an der Europäischen Woche der Abfallvermeidung zu beteiligen“, erklärt sie. In diesem Jahr lautete der Appell aus dem Landratsamt „Wiederverwendung statt Verschwendung“.
Ein Kilo Chemie pro Pullover
Das Augenmerk richtete sich auf den Umgang mit Textilien. Der, so zeigte das vom Abfallwirtschaftsamt mitgeschickte Material, alles andere als nachhaltig ist: 805 Liter Wasser müssen fließen, um nur einen Pullover herzustellen. Und ein Kilo Chemikalien braucht es, um ihn anschließend zu veredeln. Je Bundesbürger verursacht der Kauf von Textilien rund 135 Kilogramm Treibhausgase im Jahr.
Dass da mehr Zurückhaltung geboten ist, das war während der vergangenen Wochen Lernziel im Fach Alltagskultur, Ernährung, Soziales, kurz AES, das Lehrerin Vogel unterrichtet. Neben Wohnen, neben Wirtschaften und Sich-Ernähren gehöre da auch die Kleidung zu den Unterrichtsthemen. Gehe es doch ganz grundsätzlich in diesem Wahlpflichtfach darum, jungen Menschen Alltagskompetenz zu vermitteln.

Alessia, 15, und Melina, 14, haben die ganz offensichtlich: Beide Neuntklässlerinnen nehmen aus dem AES-Unterricht viel Neues mit nach Hause. „Shoppen macht ab und zu schon Spaß“, räumt Alessia ein. Die Gefahr dabei: „Dass viel mehr im Kleiderschrank hängt, als man wirklich braucht“, erklärt die 15-Jährige. Bisher fand sie das nicht sonderlich schlimm. Doch inzwischen, nach intensivem Auseinandersetzen mit der Materie, weiß Alessia, wie viel Energie, wie viele Rohstoffe verbraucht werden, um ein einzelnes T-Shirt herzustellen.

„Dann kommen auch noch die vielen, vielen tausend Kilometer Transportweg hinzu“, erklärt Melina. Um die Baumwolle aus den USA nach China zum Verspinnen, nach Bangladesch zum Nähen und endlich nach Deutschland zum Händler zu bringen, müssen Container per Schiff transportiert werden. Melina denkt aber auch an die Arbeiterinnen. „Die bekommen ganz wenig Geld in den Textilfabriken.“ Und sie setzen ihre Gesundheit aufs Spiel.

Gewühlt wird immer noch nicht. Aber im geräumigen Vorraum der Freizeitküche wimmelt es von Schülern. Einzeln oder in Grüppchen betrachten sie, was ihre Mitschüler aus dem Kleiderschrank geholt haben. Hemden werden ausgebreitet, Pullover vorgehalten.
Kleidertauschbörse soll künftig regelmäßig stattfinden
Noch fehlt die Umkleide zum Anprobieren. Vielleicht kommt die, wenn die in diesem Jahr noch einmalige Aktion wiederholt wird. „Wir könnten das ja im Frühjahr und im Herbst wiederholen“, hofft Nicole Vogel. „Mein Traum wäre eine Art begehbarer Kleiderschrank als ständige Einrichtung.“ In ihrem Freundeskreis habe sie schon beste Erfahrungen mit Kleidertauschaktionen gemacht. Der Unterstützung von Schulleiterin Marianne Licciardi darf sie sich jedenfalls gewiss sein: „Eine tolle Aktion“, lobt sie das Engagement ihrer Lehrerin und der Schüler.