Montagmorgen im Ravensburger Landgericht. Im Saal 3 geht es um vier zerstochene Autoreifen und Kratzer im Lack eines Audi. Sachbeschädigung nennen das Juristen. Gegen die Geldstrafe vom Amtsgericht hat der Verursacher Berufung beim Landgericht eingelegt. Dafür ist jetzt Katrin Fischer-Dankworth (49) zuständig. Sie ist eine von 13 Richterinnen im Landgericht und hat den Vorsitz der 5. Berufungskammer.
Die morgendliche Verhandlung startet sie freundlich-konzentriert, hört geduldig zu, fragt nach und macht sich viele Notizen. Dass die Mutter von vier Söhnen aber auch anders kann, zeigt sich bei der Vernehmung eines Zeugen. Nach der nachdrücklichen Belehrung – „Zeugen dürfen nicht lügen“ – wird der Mann von Katrin Fischer-Dankworth salopp formuliert „gegrillt“ und wirkt echt erleichtert, als er den Zeugenstuhl räumen darf. Nach vier Stunden Verhandlung dann das Urteil: Die Berufung wird verworfen. Der erneut Verurteilte enteilt grummelnd. Sein Anwalt wirkt wenig überrascht und lobt auf Nachfrage ganz grundsätzlich die Arbeit von Richterinnen.
„Die Arbeit ist spannend, ich darf entscheiden"
Tage später im kleinen Büro der Richterin. Schon als Teenager wollte sie Richterin werden, erzählt sie fröhlich. Vor dem Jurastudium hat sie, noch in der DDR, eine Ausbildung zur Kranfahrerin gemacht. Bei ihrer Arbeit ist der versierten Juristin wichtig, „dass jeder sein Gesicht wahren kann“. Und was das Verhältnis zu Anwälten angeht, sagt sie: „Die nehmen doch auch ihre Pflicht wahr.“ Das alles auf den Punkt gebracht: „Die Arbeit ist spannend. Ich darf entscheiden. Mir macht das Spaß.“
Auf dem Weg zum Ravensburger Amtsgericht ein Rückblick zum Thema Frauen in der Justiz: 1921 befand ein Psychiater der Charité in Berlin, Frauen seien aufgrund ihrer Emotionalität zu objektiven Urteilen nicht fähig. Ein Jahr später beschloss der deutsche Anwaltsverein mehrheitlich: „Die Zulassung der Frau zum Richteramt würde zur Schändung der Rechtspflege führen.“ 1924 wurden dann aber die ersten Frauen zugelassen. Erste Richterin Württembergs war Ilse Beisswanger, die, 1929 erste stellvertretende Amtsrichterin in Stuttgart, zwei Jahre später wieder gekündigt wurde und erst ab 1945 endgültig in dem Beruf arbeiten durfte.
Und heute? Nach den Zahlen des Stuttgarter Justizministeriums waren 2017 von insgesamt 2291 Richtern 1087 Frauen. Und in den Amtsgerichten des Landes arbeiten seit 2014 deutlich mehr Richterinnen als Richter. Tendenz steigend, denn für Neueinstellungen in der Justiz gilt die 60:40-Regel zugunsten von Frauen. Und lapidar: „Um den Verfassungsauftrag bestmöglich zu erfüllen, ist es unabdingbar, dass Richterinnen und Richter beiderlei Geschlechts ihre Persönlichkeiten einbringen“, heißt es aus dem Stuttgarter Justizministerium.
Ein Fall von „Zickenkrieg“
Aber jetzt zu Claudia Denfeld im Amtsgericht Ravensburg. Die 37-jährige Juristin, die über den Völkerrechtler Hans Wehberg promoviert hat, ist seit neun Jahren Richterin. Im Amtsgericht arbeitet sie der Familie wegen auf einer 50-Prozent-Stelle und muss an diesem Tag über einen Fall von „Zickenkrieg“ richten, wie es der Staatsanwalt nennt. Aktenkundig sind herbe Beleidigungen über WhatsApp und ein ganz reales blaues Auge. Das alles ist der wegen Beleidigung und Körperverletzung Angeklagten längst peinlich und nach wortreicher Entschuldigung und 200 Euro Schmerzensgeld stellt Richterin Denfeld das Verfahren zu allseitiger Zufriedenheit ein.
Tage später schildert sie anschaulich die Herausforderungen des Berufs und die Verantwortung. Bei der Erinnerung an ihre Anfangszeit als junge Frau in der schwarzen Robe spricht sie von „unangenehmen Erfahrungen mit Angeklagten und Anwälten“. Und weist darauf hin, dass sie als Einzelrichterin die Entscheidungen allein treffen muss. Da sei zunehmende Erfahrung hilfreich. Jetzt leitet sie noch eine Jugendschöffenkammer und zieht als Fazit: „Die Mischung ist gut!“
Zum Schluss ein Besuch bei Matthias Grewe, Direktor des Amtsgerichts Ravensburg und Vorsitzender des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg. Grewe reagiert leicht genervt auf die Anspielung eines Strafverteidigers: „Richterinnen sind gut – wenn sie da sind!“ Die Erreichbarkeitsprobleme seien bei Anwälten oft noch größer, kontert Grewe. Mehr Sorgen macht er sich aus Richterbund-Sicht, wenn die Arbeit von Richterinnen in Teilzeit als „Zuverdienstberuf“ bezeichnet werde: „Das birgt die Gefahr, dass das Ansehen der Richterinnen auf lange Sicht schwindet.“
Dabei sei doch etwas klar: “Wenn es einen Bereich gibt, in dem die Gleichberechtigung verwirklicht wurde, dann ist es die Justiz.“
Zahlen aus der Justiz
An den Amtsgerichten des Landes lässt sich der Wandel am besten ablesen: waren 2001 noch fast doppelt so viel Männer als Frauen als Richter tätig, gibt es jetzt deutlich mehr Richterinnen als Richter (481:409). An den Landgerichten liegt der Frauenanteil bei 42 Prozent (264:373). Am Stuttgarter Oberlandesgericht liegt der Anteil der Richterinnen bei rund 40 Prozent. Von den insgesamt 27 Vorsitzenden sind allerdings nur sechs (22 Prozent) weiblich. Doch auch das könnte sich bald ändern. Denn das Ministerium der Justiz und für Europa unter Minister Guido Wolf „strebt einen höheren Frauenanteil in Führungspositionen an“, heißt es aus Stuttgart auf Anfrage. (wr)
Cornelia Horz: "Ich wollte schon mit 13 Richterin werden"

Cornelia Horz (60) ist seit Oktober 2017 Präsidentin des Oberlandesgerichts Stuttgart und kennt wie nur wenige Juristen alle Facetten der Justiz des Landes. In einem Interview spricht sie über die Rolle von Frauen als Richterinnen.
Frau Horz, erinnern Sie sich noch an das Datum Ihrer Ernennung zur Richterin?
Ich glaube, es war der 1. März 1987.
Und warum gerade dieser Beruf?
Schon mit 13 Jahren war ich überzeugt, dass ich Richterin werden will. Wahrscheinlich weil ich damals gerne juristische Sendungen angeschaut habe wie „Ehen vor Gericht“ oder „Wie würden Sie entscheiden“. Diese Art, Konflikte zu lösen und weiterzubringen, hat mich total interessiert.
Und Ihr erster Fall als echte Richterin in Ulm?
Das war die Hochzeit einer griechischen Familie in einem Restaurant und die wollten die Zeche nicht zahlen, weil die zu hoch war. Da hatte ich alle Gäste zu vernehmen, was die gegessen und getrunken haben und musste dann entscheiden. Und das Oberlandesgericht kam in der Berufung auf genau denselben Betrag wie ich. Das hat mir schwer imponiert.
Wie hoch war die Frauenquote damals am Landgericht Ulm?
Vielleicht zehn bis 15 Prozent. Und als einmal viele Kollegen im Urlaub waren, gab es einmal eine Kammer mit drei Frauen besetzt. Da kam dann ein Journalist und wir wurden mit Bild in der Zeitung als Frauenkammer des Landgerichts gebracht – als so sensationell galt das damals.
Nach den neusten Zahlen des Stuttgarter Justizministeriums arbeiten an den Amtsgerichten mittlerweile mehr Richterinnen als Richter. Auch an den Landgerichten nimmt die Zahl der Frauen zu. Wie ist das zu erklären?
Am Amtsgericht sind die Frauen als Einzelrichterin extrem planungsfreundlich unterwegs. Sie können die Termine selber vorgeben und ihre Woche organisieren. Deshalb bleiben viele Teilzeitrichterinnen gerne am Amtsgericht. Am Landgericht müssen sie dagegen da sein, wenn die Kammer Sitzung und Beratung hat.
Nun waren Sie ja für die Ausbildung der Rechtsreferendare zuständig. Sind die Frauen ehrgeiziger und stimmt es, dass Frauen bessere Staatsexamen als Männer machen?
Als frühere Chefin des Prüfungsamtes kann ich sagen, das ist relativ ausgeglichen. Und dass die Frauen tendenziell fleißiger sind, glaube ich auch nicht. Tatsache ist jedoch, dass wir bei den Einstellungen die sehr guten Frauen leichter bekommen als die sehr guten Männer, die in Großkanzleien sehr viel mehr verdienen als im Staatsdienst. Aber mittlerweile gibt es auch Fälle bei Frauen als auch Männern, die nach drei Jahren Großkanzlei und sehr gutem Verdienst wieder zur Justiz kommen und da auch bleiben und zufrieden sind.
Spielt die Verbindung von Beruf, Familie und Freizeit eine zunehmende Rolle?
Das ist sicher so und die Justiz tut mittlerweile sehr viel dafür. Es wurden an verschiedenen Stellen Kindertagesstätten und Kindergärten eingerichtet. Und wenn eine Frau bei uns aufgehört hat und kommt wieder, wird sie zu den selben Bedingungen wieder beschäftigt und bekommt die selbe Bezahlung wie die Männer. Das war auch nicht immer so.
Es gibt aber auch Kritik, dass sich die Verfahren durch Teilzeit und Elternzeit der Richterinnen verzögern und verlängern und sich die Organisationsprobleme in der Justiz verschärfen.
Daran ist etwas Wahres. Das kann man nicht wegdiskutieren. Aber mittlerweile kann man eine Stelle übergangsweise mit zwei Kräften besetzen. Die Vakanzen sind dadurch geringer geworden. Sie sind aber noch immer da.
Zum Schluss ein paar Zitate von Juristinnen zur Arbeit von Richterinnen und Ihre Einschätzung dazu: „Frauen erklären mehr“?
Könnte zutreffen.
„Frauen können Frauen besser einschätzen und Männer die Männer.“
Eine gewagte Aussage!
Und was können Frauen in der Richterrobe vielleicht besser?
Im Durchschnitt haben sie vielleicht mehr Empathie.
Und wo sind sie den Männern unterlegen?
In der Durchsetzung ihrer eigenen Interessen.
Fragen: Walter Rundel
„Die Arbeit ist spannend. Ich darf entscheiden. Mir macht das Spaß.“
Katrin Fischer-Dankworth, Richterin am Landgericht Ravensburg
„Wenn es einen Bereich gibt, in dem die Gleichberechtigung verwirklicht wurde, dann ist es die Justiz.“
Matthias Grewe, Direktor desAmtsgerichts Ravensburg