Anette Bengelsdorf

„Die Farben sind keine Töne und die Ohren keine Augen“, schrieb Lessing im Jahre 1766. 150 Jahre vor Albert Einsteins Relativitätstheorie, teilte er der Malerei den Raum und der Musik die Zeit zu und erlebte beide Dimensionen strikt voneinander getrennt. So wie Einstein das Verständnis von Raum und Zeit revolutionierte und deren Zusammenhänge aufdeckte, so versuchten auch die Künstler des frühen 20. Jahrhunderts Musik in Farbe und Farbe in Musik zu verwandeln. Dieses interdisziplinäre Vermischen von Raum und Zeit führte zur Auflösung des Gegenständlichen in der Malerei und forderte die Hörgewohnheiten mit Extrementwicklungen wie der Zwölftonmusik heraus. Mitglieder des Blauen Reiters, einem losen Zusammenschluss von Malern und Komponisten gelang dieses damals revolutionäre „Crossover“ in verschiedenen Werken. Auch der russische Komponist Alexander Skrjabin übersetzte 1915 mit einer revolutionären Farbenorgel die Töne in farbiges Licht, das während seines Werkes „Prometheus. Dichtung vom Feuer“ an die Wand des Konzertsaals projiziert wurde.

Sechs Bilder der Künstlerinnen Margret Wosnitzka und Monika Schwab, im Immenstaader Bürgersaal auf Staffeleien vor der Bühne platziert, sollen dem Publikum des Benefizkonzertes zugunsten der Pauline 13 eine solche Grenzüberschreitung erleichtern und das Hörerlebnis farblich verstärken. Dabei ordnet Andrea Diersch, Organisatorin des Konzerts „farbenfroh und melodienreich“ nur die drei Bilder Wosnitzkas eindeutig einem Musikstück zu und überlässt die abstrakten Farbkompositionen Monika Schwabs der Phantasie des Publikums.

Farbig gestalten die Musiker um die Violininistin Andrea Diersch das Klavierquintett A-Dur von Antonin Dvorak. Bereits 1887 entstanden, verwöhnt es das Publikum mit melodischen Themen und üppigem Klang, der auch an romantischem Pathos nicht spart. Typisch für Dvorak, greift es auch auf alte slawische Volksliedthemen zurück. So zaubert vor allem der zweite Satz, eine sogenannte Duma, mit ihren introvertierten und in sich versunkenen Melodien eine weite Landschaft im Abendlicht, die Thomas Thiers mit seiner Bratsche und Stefan Gräsles Cello in warmen Farben malt. Elegische Passagen im Klavier weiß Barbara Mohm-Löhle anrührend zu gestalten, um sich wieder dezent in den Hintergrund zurückzuziehen.

Zwei Kinderlieder Béla Bartoks für Violine und Cello, schlicht in ihrer slawischen Melodie, lassen den Bezug zu der blau-gelben Komposition Wosnitzkas nicht unmittelbar erahnen. Ihre in Rot gehaltene Häuserszene dagegen verschmilzt eher mit der beruhigenden Melodie. Viel Raum für Assoziationen lässt auch die Klarinettenimprovisation zu einer Szene spielender Kinder. Von ganz hinten nähert sich Florian Loebermann dem Bild auf der Bühne, entlockt seiner Klarinette ohne Takt und Rhythmus schrille Obertöne und schräge Zweistimmigkeit, das Lärmen der Kinder unter den Bäumen.

Sergei Prokofjew entführt mit seinen Hebräischen Themen den Hörer in den Orient, lässt die Streicher wie Holzbläser klingen, unterlegt das Klavier wie heiße, flirrende Luft, die Klarinette wiederholt ihr Thema in einer Endlosschleife zum rasenden Schluss.

Schostakowitsch, ein Freund der Filmmusik spielt mit einem Walzer und einem Präludium für zwei Geigen und Klavier zwei Filmszenen ab. Burkhard Fladt und Andrea Diersch interpretieren die Szenen mit leichtem beschaulichem Klang. Mit einem heiteren steyrischen Ländler, komponiert von Joseph Lanner zu dem sich Wilhelm Schmidt mit seinem Kontrabass gesellt, schließt sich der Kreis der volkstümlichen Weisen. Wer sich in das Thema des Vermischens von Klang- und Farbenwelt lesend vertiefen wollte, für den hielt Andrea Diersch auch einen inspirierenden Büchertisch bereit.

Pauline 13 & Förderverein

Der Verein Pauline 13 betreut und begleitet gemeindenah chronisch psychisch kranke Menschen und ihre Familien. 500 Patienten werden von ambulanten Diensten versorgt, die teils auch in speziell angemieteten Wohnungen oder im Wohnheim leben. Die Gemeindepsychiatrischen Zentren in Friedrichshafen und Überlingen bieten den Betroffenen Arbeitsplätze, die ihnen ein weitgehend normales Leben ermöglichen. Die Idee gilt als Vorzeigeprojekt. Die „Freunde und Förderer der Pauline 13“. helfen dabei unbürokratisch finanzielle Engpässe zu beseitigen, die die Anbieter von sozialen Dienstleistungen durch den Kostendruck im Gesundheitswesen vor Probleme stellen.