Musik habe die Kraft zu reinigen und zu heilen. Das betont der künstlerische Leiter des ZF-Musikpreises, Peter Vogel, am Sonntagabend. Im Ludwig-Dürr-Saal des Graf-Zeppelin-Hauses in Friedrichshafen findet an diesem Abend das Finale des Klavierwettbewerbs statt. Während wir hier die ersten Frühsommertage genießen könnten, herrsche mitten in Europa Krieg, so Vogel. Auch Corona habe seine Spuren hinterlassen. „Angesichts dieser Situation scheint die Kultur in den Hintergrund zu treten, denn man kann ja von ihr nicht abbeißen“, führt Vogel aus. Doch wie es im Volksmund heiße – „man lebt ja nicht vom Brot allein“ – sei es wichtig, gerade jetzt die Kultur zu fördern. Kunst, besonders Musik, könne auch Angst nehmen, sei dabei einfach zugänglich: „Sie ist eine universelle Sprache, die der Empfangende nicht erst mühsam erlernen muss.“

Mit diesem emotionalen Appell zur Unterstützung von Kunst und Kultur leitet er den Abend ein; das Finale des ZF Musikpreises. Eigentlich hätte der Wettbewerb bereits vor zwei Jahren stattfinden sollen, doch damals machte die Pandemie der Veranstaltung einen Strich durch die Rechnung. Daran erinnert auch Matthias Lenz vom Vorstand der ZF Kunststiftung in seinem Grußwort, bevor er das Mikrofon an Oberbürgermeister Andreas Brand übergibt, der als Vorsitzender des Stiftungsrats an deren 32-jährige Geschichte erinnert. „Vielleicht erleben wir heute den Beginn einer ganz großen Karriere“, beschließt er seine Rede.
Dann sitzt auch schon der erste Pianist am Flügel, das heißt, er verstellt die Höhe des Hockers davor und das akribisch. Die Geduld des Publikums wird so direkt zu Beginn getestet; es hält sich jedoch eisern an die Vorgabe des künstlerischen Leiters, besonders leise zu sein. Der hatte zuvor gebeten, nicht nur Handys, sondern auch Uhren (Smart Watches) lautlos zu stellen und das Bonbon bereits auszupacken, das zumeist an der leisesten Stelle hervorgekramt werde.
Leise Momente machen Spiel aus
Genau diese leisen Momente sind es, die das Spiel des ersten Pianisten, Xiaolu Zang aus China, ausmachen. Der Moment, kurz bevor seine Finger erneut die Tasten berühren, ist immer wieder aufs Neue besonders. So gewaltig er ausholt, so zart streichelt er die Tasten. Jede noch so kleine Spielpause, in der Ton um Ton den Raum und die Zeit bekommt, zu verklingen, ist zugleich exakt gesetzt und scheint doch aus dem Innersten des 1999 geborenen Musikers zu kommen. Zwischen den Werken Frédéric Chopins und Sergei Wassiljewitsch Rachmaninows bis zum gefühlvollen Abschluss mit Maurice Ravels „La Valse“, verstellt Zang erneut die Höhe seines Stuhls. Aufs Detail kommt es dabei an, gleichzeitig bieten diese kurzen Momente dem Publikum die Chance, kurz auf- oder durchzuatmen und auch kleine Kommentare der Bewunderung werden – flüsternd – geäußert.

Die Koreanerin Yeon-Min Park, die erst mit 23 Jahren den Karriereweg zur Konzertpianistin für sich entdeckt hat, betritt als Zweite die Bühne. Unvermittelt beginnt sie zu spielen, unprätentios ist ihre Art am Klavier. Ihr Anschlag ist deutlich gewichtiger als der ihres Vorgängers. Ebenso emotional ist hingegen ihr Spiel, auch ihre Haare fliegen durch die Luft, wenn sie sich halb vom Stuhl erhebt, um die Tasten mit noch mehr Emotion anzuspielen. Auch sie hat neben den Konzertetüden Chopins ein Werk von Rachmaninow im Programm. Bei allen Stücken begeistert sie mit ihrem Wechsel aus Kraft und Zartheit an den Tasten, mal perlen die Töne unter ihren Fingern hervor, mal donnern sie wie ein fernes Gewitter.
Zuschauer voten für Till Hoffmann
Zuletzt folgt Till Hoffmann, der Finalist aus Deutschland. Ihn lässt die Höhe des Hockers kalt, den beide Pianisten vor ihm angepasst hatten; er setzt sich einfach und legt los. Mit großen Bewegungen richtet er sich auf oder krümmt sich komplett über dem Flügel zusammen. So spielt er sich an diesem Abend in die Herzen des Publikums. Die küren ihn nämlich zu ihrem persönlichen Favoriten: Er erhält den Publikumspreis.
Auf die Verkündung der Entscheidung allerdings heißt es: Warten. „Das hatten wir in der Geschichte des Wettbewerbs noch nie“, kommentiert Lenz das Geschehen und das will etwas heißen; wird der ZF Musikpreis in diesem Jahr doch bereits zum zehnten Mal ausgerichtet. Die Jury jedenfalls berät länger als gewöhnlich. Zweimal kommt Regina Michel, Geschäftsführerin der ZF Kunststiftung, in den Saal und verkündet: „Die Jury berät noch!“

Schließlich betritt Peter Vogel die Bühne mit leicht zerzaustem Haar, seine Jurykolleginnen – Klavierprofessorin Yuka Imamine und Pianistin Ritva Sjöstedt – und er haben es sich wahrlich nicht einfach gemacht. „Es war eine schwere Entscheidung“, sagt er und dass sie sich der Verantwortung bewusst seien, die sie hier mit ihrem Urteil innehätten. Nachdem der Publikumspreis verliehen ist, verkündet er selbiges.
Es fällt – wie auch bei den beiden vorangegangenen Wettbewerbsrunden – anders aus als das der Zuschauer. Till Hoffmann belegt den dritten Platz, Yeon-Min Park den zweiten. Über den ersten Preis darf sich Xiaolu Zang freuen; und gibt – ganz wie es die Tradition vorsieht – eine Zugabe zum Besten. Mit Bravo-Rufen und stehenden Ovationen endet ein Konzertabend, der die großen Krisen für wenige Stunden vergessen ließ.
Der Preis
Der ZF-Musikpreis wird alle zwei Jahre vergeben. In drei Wettbewerbsrunden beweisen sich ausgewählte junge Pianisten aus aller Welt. In diesem Jahr wurde die Höhe der Preisgelder angepasst; der Publikumspreis sogar von 250 auf 500 Euro verdoppelt. Der erste Preis des Wettbewerbs ist nun mit 10 000 Euro, der zweite mit 5000 und der dritte mit 3000 dotiert.http://www.zf-kunststiftung.com