In der Aula der Gemeinschaftsschule Graf Soden (GMS) stehen sie parat: Schulleiterin Iris Engelmann samt ihren Führungskräften und Schülern, Bildungsbürgermeister Andreas Köster, Erster Landesbeamter Christoph Keckeisen, Amtsleitungen aus dem Schulamt, vom Amt für Bildung der Stadt Friedrichshafen und dem Regierungspräsidium.
Sie alle warten auf Kultusministerin Theresa Schopper (Bündnis 90/Die Grüne), die auf Einladung des grünen Landtagsabgeordneten Martin Hahn am Bodensee ist. Zunehmende Bildungsungerechtigkeit, Fachkräftemangel bei Erziehern, Lehrermangel – es sind die großen, dringenden Bildungsthemen, um die es heute gehen wird.

Eine schwarze Limousine fährt auf den Schulhof der GMS. Hahn steigt aus, die Ministerin folgt. „Es ist so wichtig, zu hören, was sich an der Basis so abspielt“, wird Schopper bei einer anschließenden Debatte im „Dorfkrug“ des Zeppelindorfs sagen. An der Basis, da arbeiten Menschen wie Iris Engelmann, höchst engagierte Schulleiterin, die mit viel Herzblut durch ihre Schule führt, an der es seit 2020 auch eine gymnasiale Oberstufe gibt.
Individuelles Lernen steht im Vordergrund
„Wir lernen hier individuell, das heißt, wir arbeiten in den Fächern auf unseren eigenen Niveaus, Hauptschule, Realschule, Gymnasium“, erklärt Fünftklässler Pascal der Ministerin, wie seine Schule funktioniert. Die Ministerin nickt. „Viele Viertklässler haben zum Beispiel mit dem schriftlichen Dividieren Probleme“, sagt Konrektor Ingo Droste, „das können sie bei uns gezielt in Workshops aufholen.“
„Wir entlassen funktionale Analphabeten aus der Schule.“Kultusministerin Teresa Schopper
Es scheinen Ideen und Lösungsansätze wie diese zu sein, die das baden-württembergische Schulsystem jetzt dringender braucht denn je: Das Kind als Individuum, das einzigartig lernt und gefördert und gefordert werden muss. Denn, das hat die IQB-Bildungsstudie jüngst gezeigt: Ein Fünftel der Kinder in diesem Land schaffen die Mindeststandards nicht mehr. Jeder vierte Viertklässler hat Lese- und Rechenprobleme. „Wir entlassen funktionale Analphabeten aus den Schulen“, wird Schopper später bestätigen, „das ist sind besorgniserregende Zahlen, denn die Schere geht weiter auf.“

Die Schere zu schließen, Kindern unabhängig des Elternhauses vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, individuelle Förderung zu geben und so auch allen die Möglichkeit für ein Abitur zu eröffnen – das haben sich Iris Engelmann und ihre Kollegen zur Aufgabe gemacht. „Wir haben hier immer krasse Unterstützung erhalten“, würdigen die ersten Oberstufenschüler der GMS diese Arbeit. Sie stehen kurz vor dem Abitur.
Theresa Schopper applaudiert. Warum die Ministerin ausgerechnet eine Gemeinschaftsschule besucht? „Kinder werden hier mit ihren unterschiedlichen Talenten gefördert“, sagt sie. Schopper nutzt den Moment, bei den Oberstufenschülern Werbung für den Lehrerberuf zu machen. Denn – auch das ist Thema des Tages – der Lehrkräftemangel ist mittlerweile auch im Bodenseekreis angekommen.

Lehrermangel auch im Bodenseekreis
„Wir waren lange in einer Luxus-Situation, weil unsere Region so attraktiv ist“, berichtet Engelmann, „aber nun fehlt auch uns das Personal an den Schulen und wir durften nicht ausschreiben.“ Die Folge: Junge Lehrer wandern ab, in die Schweiz, nach Österreich, nach Bayern. Unterrichtsausfälle sind mittlerweile in allen Häfler Schulen an der Tagesordnung, das System ist auf Kante genäht.
Für Schüler, Eltern, Schulleiter ist es bitter, zu erfahren, dass Lehrer hier nicht eingestellt werden, weil sie auf der Schwäbischen Alb oder im Schwarzwald noch dringender gebraucht werden. „Wir kommen personell an Grenzen“, sagt Schopper und verweist insbesondere auf Grundschulen und Sonderpädagogische Beratungszentren (SBBZ) auf dem Land. „Mangelregionen“ nennt die Ministerin diese Gegenden. Der Bodenseekreis zählt offenbar noch nicht dazu.
Was tut die Ministerin dagegen?
„Wir bauen Studienplätze im Grundschulbereich und der Sonderpädagogik auf“, sagt Schopper, „wir haben Direkteinstiegsprogramm, Seiteneinstiegsmöglichkeiten, wir bitten Teilzeitkräfte aufzustocken und holen pensionierte Lehrer zurück.“ Lehrermangel trifft auf Erziehermangel – die Voraussetzungen für die Umsetzung des gesetzlichen Ganztagsanspruch für Grundschulen, der 2023 kommt, könnten nicht schlechter sein.
„Dieser Anspruch ist richtig und wichtig für alle berufstätigen Eltern“, sagt Schopper und verweist darauf, dass das Land die Ausbildungsmöglichkeiten für Erzieher seit 2011 verdoppelt habe. Denn Chancengerechtigkeit, so die Ministerin, beginne bereits im frühkindlichen Bereich. „Um eine kleine Amelie, die täglich vorgelesen bekommt und mit der zuhause gespielt wird, mach ich mir keine Sorgen“, bemerkt die Ministerin am Rande, „aber um viele, viele andere Kinder schon.“