Um 1200 Suchtkranke kümmert sich die Suchtberatungsstelle im Bodenseekreis jährlich, zwischen 4000 und 7000 Menschen nehmen Kontakt mit ihr auf. Dafür arbeiten dort auf 8,8 Stellen Sozialpädagogen und Sozialarbeiter, teils mit therapeutischer Zusatzausbildung, eine Psychologin und eine Psychiaterin. „Die haben ein ganz spezielles Know-how, kennen alle Hintergründe, arbeiten auf der Beziehungsebene und haben Schweigepflicht“, sagt Janine Stark, Leiterin der Suchtberatungsstelle. Doch der Träger, das Diakonische Werk Oberschwaben Allgäu Bodensee, braucht mehr Zuschüsse, um die damit verbundenen Kosten aufzubringen. So geht es auch anderen Beratungsstellen und daher fordert ein landesweites Aktionsbündnis die Erhöhung der Landesmittel für die Suchtberatung. Die Suchtberatungsstelle in Friedrichshafen hat daher die Landtagsabgeordneten Martin Hahn (Grüne) und Klaus Hoher (FDP) zum Gespräch eingeladen.

Pfarrer Ralf Brennecke, Geschäftsführer des Diakonischen Werks, erklärte: „Wir stehen vor einem riesigen Berg der Tarifsteigerungen, die Miete hier im Haus erhöht sich und wir müssen viel Geld für Qualifizierung und Zertifizierung ausgeben.“ Gleichzeitig werde die Diakonie in Zukunft weniger Geld haben: „Die Kirchenmitgliedschaften nehmen ab und damit sinken die Kirchensteuern. Wir müssen priorisieren.“ Konkret kann das bedeuten, entweder Erziehungs- oder Suchtberatung anzubieten.

Das Land bezuschusst seit 1999 jede Fachkraft mit 17.900 Euro. Dieser Betrag hat sich nicht verändert. Bisher ist bei steigenden Kosten oft das Landratsamt eingesprungen. „Im Bodenseekreis hat das Landratsamt in den vergangenen Jahren sehr großzügig gefördert“, sagte Sozialdezernent Ignaz Wetzel. Jetzt aber müsse sich das Land seiner Verantwortung stellen.

Janine Stark verwies darauf, dass sich Suchtberatung lohne: „Eine neue Studie aus Bayern hat gezeigt, dass für jeden in der Suchtberatung eingesetzten Euro 17 Euro an Folgekosten einspart werden.“ Laut der Studie der Unternehmensberatung Xit GmbH tragen die ambulanten Suchtberatungsstellen je Klient zur Vermeidung gesellschaftlicher Kosten in Höhe von 22.691 Euro bei – Kosten, die durch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Kriminalität entstehen.

Die Landtagsabgeordneten äußerten Verwunderung über den seit 24 Jahren unveränderten Sockelbetrag. Martin Hahn fragte, welchen Anteil die Krankenkassen an der Behandlung übernähmen. „Die Krankenkassen zahlen einen Beitrag für die ambulante Therapie, nicht für die Beratung, die einen Großteil unserer Arbeit ausmacht“, antwortet Stark. Klaus Hoher erkundigte sich nach den Möglichkeiten, private Förderer einzubinden. „Wir arbeiten schon mit Unternehmen zusammen. Aber für ein kontinuierliches Angebot reicht das nicht“, erklärte Wetzel.

Janine Stark sieht mehr Arbeit auf ihre Beratungsstelle zukommen. Zum einen habe die Isolation in der Coronazeit zu einem Anstieg des Konsums von Suchtmitteln geführt. „Eine Sucht bleibt oft eine Weile stabil, es treten keine merkbaren Schäden auf. Erst wenn Probleme auftreten, kommen die Suchtkranken oder ihre Angehörigen in die Beratung. In diese Phase kommen wir gerade bei den Menschen, die während Corona eine Sucht entwickelt haben.“ Zum anderen werde die geplante Legalisierung von Cannabis zu mehr Konsumenten führen. Auch der Beratungsbedarf etwa an Schulen steige.

Wer zahlt wieviel und was fordert das Aktionsbündnis?

  • Zur Suchtberatungsstelle kommen suchtgefährdete oder -kranke Menschen oder ihre Angehörigen. Unter den Klienten sind im Bodenseekreis Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen. Am stärksten vertreten sind mit einem Anteil von 45,8 Prozent Arbeiter, Angestellte und Beamte, gefolgt von Arbeitslosen mit 23,6 Prozent, Rentnern mit 8,3 Prozent und Schülern oder Studenten mit 6,9 Prozent. Bei den Diagnosen steht Alkohol mit 53 Prozent an erster Stelle. An zweiter Stelle kommen Opioide – verschiedene Substanzen mit morphinartigen Wirkungen – mit 18 Prozent und an dritter Cannabinoide, also Produkte aus Hanf oder chemisch ähnliche Substanzen, mit 14 Prozent. Zum Angebot der Suchtberatung gehört neben der Beratung in Einzel- oder Gruppengesprächen die Vermittlung in Entzugsbehandlungen, die ambulante Therapie und die Nachsorge. Die Suchtberatungsstelle engagiert sich außerdem in der Prävention.
  • Träger der Suchtberatung im Bodenseekreis ist das evangelische Diakonische Werk Oberschwaben Allgäu Bodensee. In Baden-Württemberg ist immer eine Organisation pro Kreis für die Suchtberatung zuständig. Die Finanzierung setzt sich aus Zuweisungen von Land und Kommunen sowie Eigenmitteln der Träger zusammen. Die meisten Kommunen haben ihren Anteil dem Bedarf entsprechend angepasst. Der Finanzierungsanteil des Landes ist seit 1999 auf 17.900 Euro pro Fachkraftstelle eingefroren. Der Eigenanteil der Träger stieg von ursprünglich rund zehn Prozent auf durchschnittlich 30 Prozent an.
  • Die Gesamtausgaben der Suchtberatung betragen im Bodenseekreis 751.330 Euro, davon 528.016 Euro Personalkosten. Der Landeszuschuss beläuft sich auf 128.880 Euro (17,15 Prozent). Das Landratsamt zahlt mit 432.900 Euro (57,51 Prozent) und die Diakonie 190.360 Euro (25,34 Prozent).
  • Das landesweite Aktionsbündnis fordert eine Erhöhung der Landesmittel für die Suchtberatung auf 25.000 Euro pro Fachkraft und das Einfrieren des Trägerbeitrags bei zehn Prozent. Ein entsprechender Antrag wurde bei den Haushaltsberatungen im Landtag abgelehnt. Ein Sprecher des Sozialministeriums schrieb auf Anfrage des SÜDKURIER: „Dass das Land überhaupt psychosoziale Beratungsstellen, Verbände und Suchtselbsthilfe fördert, ist eine rein freiwillige Leistung“ – denn die Finanzierung der Suchtberatungsstellen ist Aufgabe der Kommunen. Trotzdem habe sich das Sozialministerium für eine Erhöhung eingesetzt, der Landtag sei der Empfehlung aber nicht gefolgt. Das Aktionsbündnis hofft jetzt auf eine Berücksichtigung in einem Nachtragshaushalt.