Wenn er sich im Bus auf einen freien Sitzplatz setzt, steht die Person vom Nebenplatz auf und entfernt sich. Geht er mit seinen Arbeitskollegen aus, werden sie in der Disco eingelassen, er aber nicht. Als er am Bodensee unterwegs war, sagte ein Spaziergänger: „Wenn ich Schwarze sehe, muss ich kotzen.“ Diese Erlebnisse machen Assan Sanou traurig – und sie verunsichern ihn. „Ich fühle mich schlecht bei so etwas. Ich frage mich, was ist los? Bin ich kein Mensch? Das ist so peinlich!“

Assan Sanou: Rassistische Bemerkungen auf dem Fußballplatz, im Bus oder auf der Straße
Assan Sanou ist seit vier Jahren in Deutschland, er steht kurz vor dem Abschluss seiner Ausbildung zum Koch und lebt in Friedrichshafen. Mit 17 Jahren floh er aus Gambia vor Armut und Perspektivlosigkeit. „Ich habe versucht, mich zu integrieren. Ich habe die Sprache gelernt, ich gucke deutsches Fernsehen, habe im Fußballverein gespielt. Ich liebe es hier, das ist meine zweite Heimat. Ich möchte arbeiten, ich möchte mir eine Zukunft aufbauen“, sagt er.

Nach der Ausbildung würde gern den Betrieb wechseln, Erfahrungen sammeln und irgendwann eine Familie gründen. Aber manchmal hat er das Gefühl, keine Chance zu bekommen. Rassistische Bemerkungen auf dem Fußballplatz, im Bus oder auf der Straße vermitteln ihm, er sei nicht willkommen.
Vanessa Brünsing: Als sie sich an den Direktor wandte, wurde sie belächelt
Vanessa Brünsing ist Deutsche, am Bodensee geboren und zum Teil auch hier aufgewachsen. Auch sie lebt in Friedrichshafen. Trotzdem hat sie schon als Kind ähnliche Erfahrungen gemacht. „Wenn ich mir Videos aus meiner Zeit im Kindergarten anschaue, kommen mir manchmal die Tränen. Auf auf einem ist zu hören, wie ein Mann das ‚N****mädchen‘ erwähnt – und alle fangen an ‚Buh‘ zu rufen“, erzählt sie. In der Schule wurde sie beleidigt und gemobbt. „Es fanden wohl einige witzig, aufgrund meiner Hautfarbe zu behaupten, ich sei dumm.“ Als sie sich an den Direktor wandte, wurde sie belächelt.

Vanessa Brünsing ist gelernte Grafikdesignerin und als Künstlerin erfolgreich mit farbenfrohen und gleichzeitig nachdenklichen Bildern. Ihr Vater kommt aus Sambia, ihre Mutter aus Deutschland und ihre Haut ist dunkel. „Ich wurde auf der Straße böse beschimpft, bespuckt und geschlagen – und das nur wegen meiner Hautfarbe„, sagt sie. „Immer wieder stolpere ich ungewollt über – sagen wir mal – Verniedlichungen wie Mohrenkopf, N****kuss oder N****bad und frage mich, weshalb.“ Dieser Alltagsrassismus treffe sie manchmal härter als Feindseligkeiten, die ihr selbst gelten.
„Wirtshaus Mohren“? Das stößt bei ihr auf Unverständnis
Es reiche auch nicht aus, zu sagen, es sei nicht rassistisch gemeint oder nicht persönlich zu nehmen. „Das ist der Antrieb für mich, verschiedene Unternehmen anzuschreiben um ihnen aus meiner Sicht zu erzählen wie veraltet ich sowas finde“, sagt Vanessa Brünsing. Vor Kurzem erst hat sie einem Restaurantbesitzer in Ravensburg ihr Unverständnis ausgedrückt, dass die Gaststätte „Wirtshaus Mohren“ heißt und ein schwarzer Mann als Statue im Raum stehe.
Mit ihren Eltern hat Brünsing in Uganda, Griechenland, Abu Dhabi, Israel und in der Türkei gelebt. „Ich muss leider sagen, dass ich persönlich in Deutschland mit Abstand die diskriminierendsten Erfahrungen gemacht habe“, sagt sie. In allen anderen Ländern sei die Atmosphäre offener für verschiedene Kulturen. „Ich habe auf den Straßen und in der Schule keine Gruppierungen zwischen den Kulturen erlebt, sondern alle lebten und lachten miteinander.“
La-Dela Akli: Rassistische Parolen an der Wohnungstür – mit Hundescheiße hingeschmiert
Auch La-Dela Akli ist Deutscher, in Konstanz geboren und aufgewachsen, heute lebt er in Böhringen. Trotzdem bekommt er immer wieder Komplimente, wie gut er deutsch spreche. Schon als Kind hat er erlebt, dass Menschen an die Wohnungstür der Familie rassistische Parolen schmierten. „Nicht mit Farbe, sondern mit Hundescheiße“, erzählt er per Tonbotschaft bei der Demonstration gegen Rassismus in Friedrichshafen. Aklis Mutter ist Deutsche, sein Vater kommt aus Nigeria. Heute ist er in einem Schweizer Hotel als Manager für die Planung von Speisen und Getränken verantwortlich.

Rassistische Bemerkungen ziehen sich durch seinen Alltag: Im Kunstunterricht sagte ein Lehrer: „Wenn du dort geblieben wärst, wo du herkommst, wärst du schon ein großer Stammeshäuptling.“ Als er in der Ausbildung die Küche reinigte, rief ihm ein Kollege zu: „Putz, N****!“ Selbst in der Familie komme es vor, dass es über Schokokuchen zum Kaffee heiße: ‚Die kleinen N**** sind mir am liebsten.‘“ Es vergeht keine Woche, in der ich nicht eine Geschichte von kleinerem oder größerem Rassismus erzählen könnte“, sagt er. Mittlerweile sei er misstrauisch geworden. „Wenn jemand besonders nett ist, frage ich mich, ob er nur sein Gewissen beruhigen will.“
Emel Çoban: Immer wieder die Frage „Was macht euer Erdogan?“
Wenn jemand die Friedrichshafenerin Emel Çoban fragt, was in ihrem Land abgeht, denkt sie an Deutschland. „Dann frage ich mich, was war heute in den Nachrichten, was hat Merkel gemacht“, sagt sie. Aber meistens ist die nächste Frage: „Was macht euer Erdogan?“ „Das verletzt mich. Ich lebe in Deutschland und interessiere mich viel mehr für deutsche Politik, auch wenn ich mich der Türkei noch sehr verbunden fühle“, sagt sie.

Çoban kam in den 70er Jahren als Kind aus der Türkei nach Deutschland, arbeitet bei Rolls Royce Power Systems und engagiert sich seit Jahren für Dialog und Vielfalt in der Stadt. Sie war Vorsitzende des Rats der Nationen und Kulturen, war Mitglied im Integrationsausschuss, Vorstand und Sprecherin der Ditib-Mehmet-Akif-Moschee und ist jetzt im Sprecherkreis des Bündnis für Vielfalt.
„Viele machen sich nicht die Mühe, unsere Namen richtig auszusprechen“
Auch ihr begegnen im Alltag immer wieder Kränkungen. „Jedes Jahr höre ich im Ramadan die Frage: Was? Ihr dürft auch nichts trinken? Und dann kommt der Kommentar: Das ist aber ungesund. Dass das Fasten für mich eine Bereicherung ist, die schönste Zeit im Jahr, interessiert niemanden“, sagt sie – und auch nicht, dass sie diese Frage seit Jahren immer wieder beantworte. Namen sind ein anderes Thema. „Viele machen sich nicht die Mühe, unsere Namen richtig auszusprechen. Ich lege Wert darauf und erkläre das auch“, sagt sie. Sich den Namen eines Menschen zu merken, bedeutet für sie eine Form der Wertschätzung. „Alltagsrassismus ist auch hier anzutreffen. Menschen werden wegen ihrer Haut- und Haarfarbe, Religion und Wurzeln anders behandelt. Aber wir als Gesellschaft verharmlosen das.“
Emel Çoban wünscht sich statt der vielen großen Worte gegen Rassismus mehr Taten
Häufig treffe es muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen, sagt Emel Çoban. „Meine Freundinnen, die das Kopftuch tragen, sagen, es vergeht kein Tag, an dem sie nicht deshalb angefeindet werden“, sagt sie. Mütter würden ihren Töchtern davon abraten, um ihre Karriere nicht zu gefährden. „Dabei sollte das eine individuelle Entscheidung sein. Die Religionsfreiheit hat schließlich einen sehr hohen Stellenwert im Grundgesetz“, sagt sie. Sie kennt Fälle, in denen ein Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag wegen des Kopftuchs nicht zustande kam. Grundsätzlich beobachtet sie, dass es für Muslime schwieriger sei, gute Stellen zu bekommen. „Das müssen schon Überflieger sein“, sagt sie.
Emel Çoban wünscht sich statt der vielen großen Worte gegen Rassismus mehr Taten dagegen. Assan Sanou sagt: „Es gibt viel Rassismus hier, aber ich denke, die Menschen müssen nicht so sein.“ Ja-Dela Akli plädiert für mehr Zivilcourage angesichts rassistischer Angriffe und Vanessa Brünsing hofft, dass Eltern in Zukunft rassistische Alltagsbegriffe nicht verharmlosend an ihre Kinder weitergeben.