Herr Raabe, ich erwische Sie in Hamburg, wo Sie an den vergangenen beiden Abenden aufgetreten sind. Wie kommen die neuen Songs an?

Ich muss jetzt leider sagen: Super. (lacht) Die Hallen sind voll, was uns wirklich freut. Und ich merke an den Reaktionen der Leute, dass sie das Album gehört haben und bestimmte Favoriten für sich ausgesucht haben. Das ist toll, weil man beim Schreiben der Musik nie weiß, ob die Leute an der richtigen Stelle lachen und ob sie verstehen, was ich meine. Wenn das so aufgeht und wir die Leute damit bekommen, ist das gerade nach dieser für alle schrägen Zeit eine sehr schöne Erfahrung.

Welches Stück des neuen Albums macht Ihnen denn auf der Bühne am meisten Spaß?

Immer das, das gerade dran ist. Ich überlege: Wie kann ein Abend beginnen, womit kann man anfangen? Welches könnte nach der Begrüßung das zweite Stück sein? Und jedes Mal ist es genau der Effekt, den ich dann haben möchte: Von ganz schnell auf ganz melancholisch, von lustig auf traurig. Da ist jedes Stück, das ich in dem Moment vortrage, mein Lieblingsstück.

Im Juni spielen Sie nun zwei Konzerte im Süden, in Donaueschingen und Friedrichshafen. Bleiben Sie danach noch ein wenig hier oder verbringen Sie den Sommer wirklich am liebsten in Berlin?

Ich bleibe im Sommer in Berlin. Wir haben zwar nicht so einen schönen Bodensee, aber Wasser gibt‘s da auch. Ich verbringe mit dem Palast Orchester einfach so viel Zeit an Bahnhöfen, Flughäfen und Hotels, da bin ich froh, mal in den eigenen vier Wänden zu sein. Ich habe die Möglichkeit eine Hängematte zwischen zwei Obstbäume zu hängen und dann bin ich der glücklichste Mensch der Welt.

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Es passt natürlich wie die Faust aufs Auge, aber wie kam es dazu, dass Sie mit Ihrem Stück „Ein Tag Wie Gold“ an der Serie „Babylon Berlin“ mitgewirkt haben?

Das war im Sommer 2021. Da rief mich Tom Tykwer (einer der Regisseure der Serie, Anm. der Redaktion) an und meinte, ihm gefielen die Sachen, die ich mit Annette Humpe geschrieben habe, sehr gut. Und ob ich mir vorstellen könnte, für „Babylon Berlin“ mit ihr ein Stück zu schreiben. Ich habe ihm gesagt, dass ich mich in jedem dritten Interview dafür rechtfertigen muss, dass ich bei der Serie noch nicht mitgemacht habe und dass ich selbstverständlich gerne dabei bin. (lacht) Dann habe ich mir mit Annette Humpe also ein Stück ausgedacht, das dieses Gefühl „Tanz auf dem Vulkan“ wiedergibt. Glücklicherweise hat das Lied Tom Tykwer gefallen, das ist ja auch nicht selbstverständlich.

Die Serie spielt im Berlin der 20er- und 30er-Jahre, einer Zeit, die ihnen auch musikalisch als Inspiration dient. Fasziniert Sie an dieser Zeit vor allem die Musik und diese Leichtigkeit in den Texten, die es da gab?

Tja, so leicht sind die Texte gar nicht. Im Plattenschrank meiner Eltern gab es eine Schellackplatte und das hatte so etwas Entrücktes, wenn die aufgelegt wurde. Das Vibrato der Trompeten und Saxofone, das war so, als ob man durch ein Ofenrohr in den Nachbarraum hört. Nichts sieht, nur hört, in eine andere Welt. Das hat etwas Melancholisches, auch wenn die Texte komisch sind. Auf dem Flohmarkt in Münster habe ich mir dann weitere Schellackplatten gekauft und auch wenn die Stücke lustig waren, hatten sie immer eine Schwermut.

In einem Interview sagten Sie kürzlich, Ihre Karriere würde an Ihren Stimmbändern hängen. Wie gewichten Sie denn die Bedeutung Ihrer Texte im Vergleich zur Musik?

Ich kann mir die Musik ohne die Texte und umgekehrt gar nicht vorstellen. Aber manchmal, wenn ich mit Annette Humpe an Texten arbeite, dann sehen wir uns vier Wochen später wieder und ich lese sie noch mal vor. Bei „Die Liebe bleibt“ etwa, das habe ich vorgelesen, ohne Musik, ohne zu singen, und wir hatten beide einen Kloß im Hals. Man ist ja selber immer am kritischsten mit dem eigenen Material. Aber wenn das mit Distanz immer noch etwas auslöst, dann wird‘s schon gut sein. Wir sind schon sehr pingelig mit den Texten. Wir schmeißen eher was in die Tonne, als dass wir mit einem Kompromiss leben.

Sie sprachen kürzlich ebenfalls davon, dass Sie an Ihren Beruf mit einer gewissen Handwerklichkeit rangehen und auf der Bühne beispielsweise kein Wasser trinken.

Ich bin für die Oper ausgebildet. Da habe ich bei meinen Lehrern von Beginn an gelernt, dass man etwa ein Räuspern überspielen muss. Da steht auch bei einer Wagner-Oper niemand mit einer Wasserflasche da und singt eine Arie. Diese Disziplin habe ich mir beibehalten.

Zurück zu Ihren Anfängen: Haben Sie eine Ahnung, was Sie geworden wären, wenn Sie nicht Sänger geworden wären?

Ich bin immer davon ausgegangen, dass das nicht lange gut geht. Dass ich jetzt aber mein Hobby zum Beruf machen konnte, das ist ein großes Glück und ich weiß das jedes Jahr zu schätzen. Was die Alternative gewesen wäre, weiß ich nicht. Ich war immer misstrauisch dem Erfolg gegenüber, habe mir aber auch keine Gedanken gemacht, was passiert, wenn es zum Stillstand käme. Aber das ist vielleicht auch die Motivation: Dass man sich auf keinen Lorbeeren ausruht, sondern weiterarbeitet. Wenn die Leute beispielsweise in Friedrichshafen zu unserem Konzert kommen, dann sollen die denken: Das war klasse und wenn das Palast Orchester hier noch mal spielt, gehen wir wieder hin.