8,5 Prozent mehr Lohn. Einmalzahlungen in Höhe von 3000 Euro. Die Beschäftigten der Metall- und Elektrobranche am Bodensee hätten es schlechter treffen können mit den Ergebnissen der Tarifrunde Ende 2022. Doch nun, wenige Monate später, liegt schon ein neues Thema auf dem Tisch: Die Vier-Tage-Woche. Oder besser gesagt: Die Verkürzung der regulären Arbeitszeit von 35 auf 32 Wochenstunden. Schießt die Gewerkschaft da nicht übers Ziel hinaus?

Blick in den Norden

Helene Sommer ist Erste Bevollmächtigte der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben. Auf SÜDKURIER-Anfrage trifft sie sich mit unserer Zeitung und stellt zunächst klar: Für die Beschäftigten der Region fordert sie nichts. Noch nicht. Und das aus gutem Grund: „Wir befinden uns in der Friedenspflicht.“ Das bedeutet: Der Vorschlag, der aktuell lebhaft diskutiert wird, geht auf ihre Genossen im Norden der Republik zurück. „Deren Tarifrunde in der Stahlindustrie beginnt zum Jahresende.“ Doch das bedeutet nicht, dass man am Bodensee nicht auch mit der Idee liebäugelt.

Helene Sommer, Geschäftsführerin der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben, fordert vor gut 450 Zuschauern mehr Lohn. Die Aufnahme ...
Helene Sommer, Geschäftsführerin der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben, fordert vor gut 450 Zuschauern mehr Lohn. Die Aufnahme entstand im Jahr 2022. | Bild: Benjamin Schmidt (Archiv)

„Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, die für die Vier-Tage-Woche sprechen“, ist Sommer überzeugt. Zum einen gehe weniger Arbeitszeit nicht unbedingt zulasten der Produktivität. „Diese Erfahrung haben wir bereits seit den 90er-Jahren gemacht, als wir die 35-Stunden-Woche durchgesetzt haben.“ Auch eine aktuelle Studie aus England, bei der 61 Betriebe das Vier-Tage-Modell getestet haben, zeigt positive Ergebnisse: etwa weniger Krankenstand und sogar steigende Umsätze.

Vorbehalte in Betrieben

Dennoch sehen die Betriebe am See das Konzept kritisch. Sandra Scherzer, Sprecherin des Zeppelin-Konzerns, schreibt etwa auf Anfrage: „Unsere Mitarbeiter sind jetzt schon voll ausgelastet.“ Die geschäftlichen Ziele bekäme Zeppelin mit einer 32-Stunden-Woche nicht abgebildet. Auch seitens Rolls-Royce Power Systems (RRPS) verweist man auf ein Statement des Branchenverbands Südwest-Metall. Deren Geschäftsführer Oliver Barta moniert: „Viele Unternehmen wissen kaum noch, wie sie ihr Geschäft erledigen sollen.“

Wie also passt die Idee zu den tatsächlichen Herausforderungen der Betriebe? „Wir machen Tarifpolitik nicht für heute, sondern für die nächsten Jahrzehnte“, gibt Sommer zurück. Konkret geht sie davon aus, dass die Arbeitsplatzdichte – wie sie es nennt – zurückgehen könnte. Soll heißen: Künftig könnte es schlicht weniger zu tun geben. Ein Grund hierfür sei etwa die geringere Komplexität von Elektromotoren im Vergleich zu Verbrennern. Weniger Beschäftigte sind nötig, um die Antriebe der Zukunft zu fertigen. „Das ist aber nur ein Grund“, ergänzt sie dann.

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„Deutschland ist bislang eine Exportnation“, sagt Sommer. Doch Trends, etwa in China und den USA, wiesen auf eine Deglobalisierung hin. Die großen Nationen produzieren also lieber für sich selbst – deutsche Produzenten könnten auf ihren Gütern sitzen bleiben. „Hinzu kommen weitere Fragen, die aktuell nicht geklärt sind: Wie teuer wird Energie? Können sich Standorte, die derzeit unter Volllast laufen, überhaupt modernisieren?“ All diese und weitere Fragen sind natürlich auch in den Chefetagen bekannt. Und klar ist: Tatsächlich könnten weniger Arbeitsstunden künftig bei der Verteilung von weniger Arbeit helfen.

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Heute ist es allerdings noch nicht soweit. Heute ringen die Betriebe am See noch um qualifiziertes Personal und haben volle Auftragsbücher. Dennoch bieten die Arbeitgeber schon jetzt flexible Arbeitszeitmodelle: Ob nun bei ZIM Aircraft Seating, RRPS, oder der ZF. Auch Diehl Defence gab neulich an, momentan die Vier-Tage-Woche zu prüfen.

„Beschäftigte finden die Idee gut“

Was also hätten die Arbeitnehmer von einer tariflich geregelten 32-Stunden Woche? Helene Sommer ist überzeugt: „Viele Beschäftigte finden die Idee gut.“ Doch solange es die Ausnahme sei, Arbeitszeit zu reduzieren, verzichte so mancher Arbeitnehmer auf eine Stundenreduktion. „Sie möchten nicht negativ auffallen und damit Karrierechancen gefährden“, ist sich Sommer sicher. „Diese Rückmeldungen bekomme ich.“ Allerdings räumt sie ein, dass inzwischen auch Karrieren mit weniger Wochenstunden möglich sind.

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Wird die Gewerkschaft am Bodensee also bald die Forderung „Vier-Tage-Woche“ stellen? Helene Sommer will sich zunächst mal ansehen, wie die Debatte im Norden Deutschlands läuft – und wohin sich die Erfordernisse innerhalb der Branche entwickeln. Welche Parole also zum Ende der nächsten Tarifrunde auf den Plakaten der Gewerkschaftler steht, ist bislang noch offen. Der aktuelle Abschluss gilt noch bis 30. September 2024.