Wer aktuell das Stadtarchiv in Friedrichshafen betritt, kann die Bilder von Tetjana Kostenko gar nicht übersehen: In ihrer Farbenfreude erhellen sie den Eingangsbereich und ziehen den Blick auf sich. Mal sind sie abstrakt gehalten, mal zeigen sie mit feinen Linien gemalte Häuser und einen angedeuteten See.

Dass Tetjana Kostenko ihre Kunst in Deutschland ausstellen würde, war für sie vor dem 24. Februar 2022 wohl abwegig. Doch der Tag, an dem Russland die Ukraine überfiel, war auch für ihre Familie der Beginn eines neuen Lebens. Einige Tage habe die schwangere Tetjana nach Kriegsausbruch mit der Familie im Keller ihres Hauses in Charkiw verbracht, um sich vor Bombenangriffen zu schützen, berichtet sie. Mit selbstgeschriebenen Märchen habe sie versucht, sich und die Familie aufzuheitern. Schließlich brachen sie in Richtung Deutschland auf.

Traurige Verbindung zur Region

Ende Juli sitzt Tetjana Kostenko, 35, nun im Stadtarchiv Friedrichshafen und erzählt von dem Aufbruch. Seit über einem Jahr lebt sie in Sipplingen, Deutsch spricht sie noch nicht. Als Dolmetscherin hat sie Marina Galetskaya zum Gespräch mitgebracht. Galetskaya ist im Vorstand des Freundeskreises Brücke nach Ufa, der nach dem Flugzeugabsturz 2002 bei Überlingen gegründet wurde. Das Unglück verbindet die Familie Kostenko mit der Region.

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Die Schwester von Tetjanas Mann Taras Kostenko kam damals bei dem Zusammenstoß der zwei Flugzeuge ums Leben. Sie war als Betreuerin einer Schülergruppe an Bord des in Moskau gestarteten Flugzeugs. Als Taras‘ Familie im Anschluss nach Überlingen reiste, wurden ihr Dolmetscher zugewiesen, eine Familie aus Friedrichshafen, sagt Marina Galetskaya. Zwischen den beiden Familien sei ein guter Kontakt entstanden. Die Kostenkos seien zum Jahrestag des Unglücks öfter am Bodensee gewesen.

Vier der Werke von Tetjana Kostenko im Stadtarchiv Friedrichshafen.
Vier der Werke von Tetjana Kostenko im Stadtarchiv Friedrichshafen. | Bild: Simon Conrads

Als 2022 der Krieg ausbrach, habe die Friedrichshafener Familie direkt bei den Kostenkos angerufen und ihnen angeboten, sie aufzunehmen. „Es war klar, dass der Krieg nicht innerhalb von einer Woche vorbei wäre“, sagt Galetskaya. Als die Kostenkos in Deutschland ankamen, war im Haushalt der Häfler Unterstützer allerdings gerade Corona ausgebrochen. Da Tetjana hochschwanger war, sei die Unterbringung dort also nicht in Frage gekommen. Der Freundeskreis Brücke nach Ufa habe ihnen dann eine Familie aus Sipplingen vermittelt, die ihnen eine Unterkunft anbot.

Marina Galetskaya ist im Vorstand des Freundeskreis „Brücke nach Ufa“ und dolmetscht beim Gespräch mit Tetjana Kostenko.
Marina Galetskaya ist im Vorstand des Freundeskreis „Brücke nach Ufa“ und dolmetscht beim Gespräch mit Tetjana Kostenko. | Bild: Simon Conrads

In Sipplingen wohnt die mittlerweile fünfköpfige Familie nun seit über einem Jahr. Taras, der in der Ukraine ein Masterstudium in Design und Architektur abgeschlossen hat, würde in Deutschland gerne in diesem Feld arbeiten. Aktuell besuche er einen Sprachkurs. Tetjana Kostenko bleibe zuhause mit den Kindern – und male dort auch ihre Kunstwerke. „Die sind alle in Sipplingen entstanden“, sagt sie. Zum Malen sei sie hier gekommen, weil sie der Mutter ihres deutschen Gastgebers ein Geschenk machen wollte. Die neue Heimat habe sie zum Kreativsein animiert.

Die Künstlerin wird von Sipplingen inspiriert

„Wo sie wohnen, gibt es ein Panoramafenster mit Blick auf den See“, übersetzt Marina Galetskaya. Das sei eine von Kostenkos Inspirationen für die Werke. Darüber hinaus fotografiere Kostenko in der Natur. Die Aufnahmen dienten ebenfalls als Inspiration einiger Bilder. In der Ukraine hat sie einen Masterabschluss an einer Kunstakademie in Design gemacht, als Kinderbuchillustratorin gearbeitet und mit ihrer Zwillingsschwester ein Geschäft für handgefertigte Designergeschenke in Charkiw betrieben.

Die Bilder von Tetjana Kostenko sind teilweise von Sipplingen inspiriert.
Die Bilder von Tetjana Kostenko sind teilweise von Sipplingen inspiriert. | Bild: Simon Conrads

„Sie verwendet beim Malen die Kenntnisse, die sie im Studium gelernt hat, etwa das Nutzen von Kontrasten“, übersetzt Galetskaya. Kostenko habe von klein auf die Angewohnheit gehabt, Dinge sehr detailliert darzustellen, das habe sie nun beim Malen für sich wiederentdeckt. Das zeigt sich beispielsweise in einem Bild mehrerer Häuser vor Seekulisse. Die Fassaden der Gebäude bestehen aus zahlreichen feinen Linien. Neben Stiften nutzt sie für ihre Werke auch Aquarell und Acryl, sagt Kostenko. Die Ausstellung im Stadtarchiv hat der Freundeskreis mitorganisiert. Und obwohl die Bilder regelrecht strahlen, gebe es im Leben der Familie Kostenko in Deutschland Licht und Schatten.

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Wie geht es der Familie in Deutschland?

„Auf der einen Seite sind sie sehr dankbar dafür, wie sie aufgenommen wurden“, übersetzt Galetskaya für Tetjana Kostenko. Andererseits sei die Situation immer noch schwer zu akzeptieren. „Sie sind zwar körperlich hier, aber geistig noch nicht ganz.“ Gerade für die Kinder sei es schwierig. Der achtjährige Tymofii und der sechsjährige Tykhon würden die Eltern fragen, wann es nach Hause geht. Aber: „Mindestens in den nächsten fünf Jahren wird es wohl nicht möglich sein zurückzugehen.“ Das Gebiet, in dem das Haus der Kostenkos steht, sei vermint worden. Bis es dort wieder sicher sei, dauere es wohl.

Die Familie Kostenko bei der Eröffnung der Ausstellung. Von links: Vater Taras, Mutter Tetjana, der einjährige Trofim, der achtjährige ...
Die Familie Kostenko bei der Eröffnung der Ausstellung. Von links: Vater Taras, Mutter Tetjana, der einjährige Trofim, der achtjährige Tymofii und der sechsjährige Tykhon. | Bild: Vitalij Bachaco

Immerhin konnte Taras Kostenko Freunde aus Charkiw an den Bodensee nachholen, sodass die Familie hier nicht völlig fremd ist. Und der älteste Sohn der Konstenkos, Tymofii, sei ebenfalls kreativ geworden. Er zeige Talent darin, mit Knete zu arbeiten.