Mit dem ÖPNV-Bericht legte Geschäftsführer Norbert Schültke am Montagabend dem Finanz- und Verwaltungsausschuss des Gemeinderats eine Gesamtschau für den Häfler Stadtverkehr (SVF) für die Jahre 2018 bis 2020 vor. Angesichts der Zahlen sprach er von einer „Erfolgsgeschichte“, die mit der Corona-Pandemie allerdings einen herben Dämpfer bekommen hat.

Wie viele Menschen nutzen den Stadtbus?
Durch neue Haltestellen, ein verbessertes Angebot vor allem in Richtung Ailingen und die Einführung der E-Card stiegen die Fahrgastzahlen auf erstmals auf über vier Millionen im Jahr 2019. Mit Beginn der Pandemie im März 2020 reduzierte der Stadtverkehr notgedrungen bis zum Sommer das Fahrtenangebot teilweise bis auf den Sonntagsfahrplan – auch wochentags. Die Folge: rund eine Million weniger Fahrgäste als im Rekordjahr für den Stadtverkehr. „Wir haben ein stark verändertes Verkehrsverhalten während der Pandemie“, stellt Norbert Schültke fest. Er geht davon aus, das die Zurückhaltung, den Nahverkehr zu nutzen, auch nach der Pandemie noch eine Zeit lang bleiben wird.

Wie schlägt sich das wirtschaftlich nieder?
2018 und 2019 fuhr der Stadtverkehr ein Defizit von jeweils rund zwei Millionen Euro ein und lag bei einem Kostendeckungsgrad von 70 Prozent, was für einen Nahverkehrs-Betrieb „sehr respektabel“ sei, so Schültke. Für 2020 rechnet der Stadtverkehrs-Chef mit einem Minus von 2,4 Millionen Euro – allerdings nur, weil Bund und Land die Einnahmeausfälle durch Corona zu 95 Prozent übernehmen. Sonst läge das Defizit rund 400 000 Euro höher.
Für 2021 und die nächsten Jahre geht der Stadtverkehr allerdings davon aus, dass Erträge weiter sinken, die Kosten aber steigen werden. Deshalb soll der Gemeinderat am 17. Mai beschließen, dass der sogenannte Defizitrahmen auf 3,1 Millionen Euro jährlich ab 2021 erhöht wird. Bisher darf das Unternehmen maximal 2,57 Millionen Euro jährlich Minus machen, was zuletzt 2002 ausgeschöpft wurde. Das Defizit gleichen die Technischen Werke Friedrichshafen (TWF) aus, die die Parkhäuser betreiben.

Was ist aus der Diskussion um das 365-Euro-Ticket oder dem 1-Euro-Tagesticket geworden?
Jürgen Holeksa, Fraktionschef des Netzwerks, beklagte in der Sitzung, dass sich der Stadtverkehr mit dieser Frage inhaltlich nicht fundiert auseinandergesetzt habe – trotz Auftrags durch den Gemeinderat. Hier könne der SVF aus dem Verkehrsverbund Bodo, der über die Tarifstruktur entscheidet, nicht ausscheren, erklärte Norbert Schültke.
Wer heute ein Jahres-Abo habe, zahle im Schnitt bereits 1,20 Euro pro Tag. SPD-Fraktionschef Wolfgang Sigg warf ein, dass die Einführung eines 365-Euro-Tickets die Abopreise „kannibalisiere“, weil die dann unattraktiv werden. Oberbürgermeister Andreas Brand sagte: „Das 1-Euro-Ticket können wir so nicht befürworten bei dem, was vor uns liegt.“

Allerdings hat der Stadtverkehr bereits im April den Kurzstrecken-Tarif nur in Friedrichshafen eingeführt. Der gilt nur für E-Card-Nutzer und für eine Busfahrt bis maximal 1500 Meter Luftlinie. Die Differenz zum Bodo-Verbundtarif zahlt die Stadt. Gerechnet wird mit einem Zuschuss von jährlich 8000 Euro bei etwa 10 000 Kurzstreckenfahrten. Zudem plant der Stadtverkehr laut Schültke die Einführung eines „Klima-Tickets“ im Jahres-Abo für Menschen in und um Friedrichshafen, das „in die Richtung eines 365-Euro-Tickets geht“. Offensichtlich sind die Tarifstrukturen im Bodo außerdem auf dem Prüfstand.
Was hat sich für die Fahrgäste der „Silberpfeile“ verbessert?
Seit Dezember 2020 gibt es im Stadtverkehr 17 Linien, die mit 24 Bussen – 22 mit EURO-6-Norm, zwei Hybridbusse – bedient werden. Dazu kommen sechs Abendlinien, das Ruftaxi „RiA“ und das Campus-Mobil im E-Car-Sharing mit sechs Fahrzeugen. In den Bussen gibt es seit 2019 WLAN und Flachbildschirme, die die Fahrgäste über die nächsten Haltestellen und Anschlüsse informieren.
Warum setzt der Stadtverkehr keine Busse ein, die einen klimafreundlicheren Antrieb als den Dieselmotor haben?
Nach Aussage von Norbert Schültke habe der Stadtverkehr seit 2019 mehrere „emissionsfreie“ E-Busse von verschiedenen Herstellern teils mehrere Monate lang in der Praxis getestet. Die Ergebnisse seien „ernüchternd“ gewesen. „Nach maximal 150 Kilometern war Schluss“, sagte er im Ausschuss. Bei Umläufen von durchschnittlich 260 Kilometer pro Buslinie genüge die Reichweite der Batterien nicht. Und: E-Busse seien auch im Betrieb mehr als doppelt so teuer wie die modernen, noch jungen Dieselbusse, die der Stadtverkehr auf der Strecke hat. Seine Schlussfolgerung: Für den Flotteneinsatz taugen auf dem Markt verfügbare E-Busse im Stadtverkehr derzeit nicht.

Welche Aufgaben hat der Stadtverkehr „vor der Brust“?
Der Stadtverkehr will möglichst noch in diesem Jahr anfangen, wichtige Haltestelle in der Stadt mit digitalen Datentafeln auszurüsten, die Ankunft und Abfahrt der Busse in Echtzeit anzeigen. Geplant ist zudem, das E-Car-Sharing samt Haltestellen auszubauen und dafür sieben weitere E-Autos anzuschaffen. Quasi brandneu war die Information von Norbert Schültke, dass der Stadtverkehr zusammen mit dem Bodenseekreis und Bodo ein Verkehrsangebot für dünn besiedelte Ortschaften am Rand von Friedrichshafen und drumherum plant. Binnen der nächsten zwei Jahre soll eine Art bedarfsorientierter Shuttle-Dienst eingerichtet werden, der beispielsweise auch Weiler wie in Ettenkirch bedient.
Bereits in trockenen Tüchern ist das Projekt „RABus“. 2023 sollen drei autonom fahrende Kleinbusse von ZF im Forschungsbetrieb durch die Stadt fahren. Bis dahin wird auf zwei Strecken – eine innerstädtisch und eine über Land – die nötige Technik in den Straßen verbaut.
Welche Strategie verfolgt der Stadtverkehr langfristig?
„Da sind noch viele Fragen zu beantworten“, sagte OB Andreas Brand. So muss der Gemeinderat noch in diesem Jahr die Ausschreibung für die Vergabe der Verkehrsleistungen ab dem Jahr 2024 auf den Weg bringen. 2023 läuft der Betriebsvertrag mit der RAB aus. Mit der Ausschreibung legt der Rat unter anderem fest, welche Busse künftig zum Einsatz kommen sollen. Hier gehe die Tendenz in Richtung Wasserstoff-Technik, so Brand. Bis dahin sei vorstellbar, auf verschiedene Techniken zu setzen, etwas E-Busse auf flachen Teilstrecken im Stadtbetrieb und synthetische Kraftstoffe in den Dieselbussen einzusetzen.

Perspektivisch muss laut OB Brand auch ein neuer Standort für den Busbetriebshof gefunden werden, der derzeit auf dem RAB-Gelände angesiedelt ist. Einzige Option sei der Zirkus-Parkplatz P7, weil der ins Liniennetz integriert werden kann. Nicht zuletzt sei die Frage spannend, wie wie man die Shuttle künftig ins Stadtbus-System einbindet.