Dienstagabend ist Gänsehaut-Zeit für Christine Maria Brugger, dann nämlich, wenn aus anstrengenden Proben im Philharmonischen Chor Musik wird: "Unsere vielen Stimmen werden zu einer. Die eigene Stimme ist mit der der anderen verschmolzen. Niemals möchte ich diese Momente vermissen", sagt sie. Zurzeit proben die Sänger für ihr Jubliäumskonzert. Denn der Philharmonische Chor wird in diesem Jahr 150 Jahre alt.
1868 gründeten 16 Handwerker und Gewerbetreibende um die Herren Lohrmann, Gericke und Luther den Gesangverein Harmonia. Friedrichshafen hatte knapp 3000 Einwohner, zog als Sommerbleibe der Württembergischen Könige Touristen an, verfügte über Bahnhof und Handelshafen. Der Boom, den der Luftschiffbau des Grafen Zeppelin bringen sollte, war noch nicht zu ahnen. Die Harmonia, geleitet von Oberlehrer Rettinger, pflegte Männergesang und Geselligkeit.
1882: Königliche Familie schenkt für Auftritt 50 Mark
Zu den Höhepunkten der ersten Jahre gehörte ein Ständchen am Fastnachtsdienstag 1880 auf dem zugefrorenen Bodensee und eines 1882 bei der königlichen Familie, was der Harmonia ein Geldgeschenk von 50 Mark eintrug. Um die Jahrhundertwende verzeichnete der Verein 34 aktive und 110 passive Mitglieder und der erste Flügel wurde angeschafft. Mit Webers "Preciosa" und "Frithjof" von Bruch begannen die großen Konzerte. Bei Projekten wie der "Fledermaus" oder "Die heilige Elisabeth" sangen auch Damen mit, sonst aber blieben die Herren unter sich.
1940: Konzert für Winterhilfswerk
Den Ersten Weltkrieg überstand der Chor mit Wohltätigkeitskonzerten. Im Nationalsozialismus brachte er die Satzung auf Parteilinie und gab jedes Jahr ein Konzert. 17 Sänger und Chorleiter Paul Schmidt wurden im Krieg eingezogen, trotzdem bestritt die Harmonia 1940 ein Chor- und Solistenkonzert zugunsten des Winterhilfswerks. 1943 führte sie mit Hilfe der NS-Organisation "Kraft durch Freude" Haydns "Schöpfung" auf. Ehrenmitglied Ludwig Lieb, der über 50 Jahre mitsang, erinnert sich an die Aufführung: "Damals war ich zwölf Jahre alt und war sehr beeindruckt."

1946: Für die "Schöpfung" singen Frauen mit – und bleiben
Nach der Zerstörung der Stadt 1944 begannen die Proben 1945 in der Pestalozzischule. Im Oktober 1946 sang die Harmonia in St. Petrus Canisius wieder "Die Schöpfung". "Und dafür brauchte man die Frauenstimmen", sagt Lieb. "Gerade die älteren Herren wollten es gar nicht so gerne, dass auch wir Frauen dabei sind. Wir haben uns aber behauptet, denn wir waren schon damals in der Überzahl", sagt Silvia Reinert, die Anfang der 1950er Jahre beitrat.

Werner Wagner ist seit 1962 dabei. Für den Pfälzer wurde die Harmonia zur Heimat, er engagierte sich im Vorstand und legte selbst Familienurlaube passend zum Probenplan. "Ich habe mich in dem Verein einfach wohlgefühlt, Gemeinschaft und Zusammenhalt waren sagenhaft", sagt er. Die stellvertretende Vorsitzende Andrea Wesener kam über ihre Familie zum Chor. "Meine Großeltern und Eltern waren dabei, ich bin mit der Harmonia groß geworden." Früher sei das Gesellige stärker gepflegt worden, heute stehe die Musik im Vordergrund.

"Die Harmonia war immer ein wichtiger Kulturträger in Friedrichshafen. Wenn wir das bleiben wollen, müssen wir uns der erheblichen Konkurrenz stellen", sagt Vorsitzender Oskar Rapp – und spricht seinen Sängern aus dem Herzen: "Es bereitet mir unglaublich Freude, Teil dieses Klangkörpers zu sein, und ich erhasche ein kleines Fünkchen Glück, indem ich ein Teil der großen Musik sein darf", sagt Esther Schmid, die im Alt singt. "Musik ist Balsam für die Seele", sagt Tenor Philipp Grab.
1989: Musikdirektor Joachim Trost übernimmt den Chor und leitet ihn bis heute
Musikdirektor Joachim Trost, der den Chor seit 1989 leitet, schätzt neben der Gemeinschaft die Bereitschaft der Sänger, sich schwierigen Stücken zu stellen. "Der Chor pflegt diese besondere Literatur und hat das in seiner Satzung festgeschrieben: Wir singen große oratorische Werke, oft von einem Sinfonieorchester begleitet", sagt Trost. Er wünscht für die Zukunft des Chors vor allem Nachwuchs in Tenor und Bass.
Die Konzerte
- Am Samstag, 16. Juni um 19 Uhr gibt der Philharmonische Chor in St. Johannes Baptist in Ailingen sein erstes Jubiläumskonzert. Auf dem Programm stehen "Davide penitente" und "Regina Coeli" von Wolfgang Amadeus Mozart und "In sanae et vanae curae" von Joseph Haydn.
- Beim zweiten Jubiläumskonzert am Sonntag, 2. Dezember, singt der Philharmonische Chor im Graf-Zeppelin-Haus "Die Schöpfung" von Joseph Haydn – ein Oratorium, das ihn über Jahrzehnte begleitet hat.