Nur wenige Tage, nachdem Claudio Scajola Friedrichshafen verlassen hatte, bekam er einmal mehr Ärger mit Justizia in Italien. Der 70-Jährige ist seit 2018 Bürgermeister von Imperia, der Partnerstadt von Friedrichshafen. Deshalb schaute er sich während des Seehasenfestes zusammen mit seiner Frau zum ersten Mal und vier Tage lang die Zeppelinstadt an.

Vorwurf: Private Fahrten über Stadtkasse abgerechnet

Am 19. Juli beschlagnahmte laut einem Bericht der Tageszeitung „La Stampa“ die Steuerbehörde Unterlagen im Rathaus von Imperia. Der Vorwurf diesmal: Scajola soll mit dem blauen Audi-A6 der Gemeinde private Fahrten unternommen und über die Stadtkasse abgerechnet haben. Pikant: Laut „La Stampa“ fuhr er vor allem zum Flughafen Genua, um zu einem Prozess zu fliegen, in dem er selbst als Beschuldigter vor dem Richter steht – auch das nicht zum ersten Mal. Da geht es um den in Italien so bezeichneten „Frühstückstücksprozess“. Dazu später mehr.

Umstrittener Polit-Promi

Der neue Bürgermeister der Häfler Partnerstadt ist ein umstrittener Polit-Promi in Italien. Er war zu Beginn des neuen Jahrtausends nicht nur mehrfach Minister unter Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi, sondern gehörte zu dessen engsten Vertrauten. Und er stand – und steht – wie der frühere Ministerpräsident selbst mehrfach wegen Korruptionsverdachts vor Gericht. Verurteilt wurde er bisher nie.

Claudio Scajola besuchte vier Tage die Zeppelinstadt und erwartet Bürgermeister Dieter Stauber im Herbst zum Gegenbesuch.
Claudio Scajola besuchte vier Tage die Zeppelinstadt und erwartet Bürgermeister Dieter Stauber im Herbst zum Gegenbesuch. | Bild: Anette Bengelsdorf

Scajola, der in Imperia als Sohn eines Bürgermeisters geboren wurde, gelang es 1994, die „Forza Italia“ zu einer schlagkräftigen Partei zu bündeln. Die bescherte Berlusconi damals einen haushohen Wahlsieg. Der Dank waren Ministerposten, die Scajola mehrfach vorzeitig räumen musste.

Erstmals wackelte sein Stuhl als Innenminister, als Polizisten mehr als 90 Demonstranten beim G8-Gipfel im Juli 2001 in Genua niederknüppelten und misshandelten, darunter Deutsche. Zurücktreten musste er ein Jahr später, weil er Personenschutz für einen Regierungsberater abgezogen hatte, der im März 2002 ermordet wurde, und sich danach abfällig über die „Nervensäge“ Marco Biagi geäußert hatte.

Berühmter Abgang

Kaum ein Jahr später berief ihn Berlusconi allerdings wieder ins Kabinett, wo er bis 2010 Chef verschiedener Ressorts war, zuletzt als Industrieminister. Dieser Abgang schrieb Geschichte(n): Scajola kaufte 2004 eine Luxuswohnung mit Aussicht auf das Kolosseum und zahlte 600.000 Euro für die 180 Quadratmeter, gab er 2010 zu Protokoll. Da ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen einen Bauunternehmer, der 900 000 Euro an die Vorbesitzer der Römer Wohnung gezahlt hatte. Davon wollte der Minister damals kurioserweise nichts bemerkt haben. Scajola wurde 2014 freigesprochen. Die Häme bleibt, weil er „ohne eigenes Wissen“ bestochen worden sei.

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Verurteiltem Parteifreund zur Flucht verholfen

Im selben Jahr wurde er trotzdem verhaftet. Die Antimafia-Staatsanwaltschaft bezichtigt Scajola bis heute, seinem Parteifreund und Reeder Amedeo Matacena geholfen zu haben, nach Dubai zu fliehen. Der war wegen Unterstützung der kalabrischen „Ndrangheta“ zu drei Jahren Haft verurteilt worden.

Genau wegen dieser Sache läuft bis heute der sogenannte „Frühstücksprozess“, in dem Scajola wegen Strafvereitelung angeklagt ist. Laut verschiedener Zeitungsberichte nicht nur in Kalabrien ist seit Jahrzehnten immer wieder von Kontakten und Verstrickungen Scajolas mit der Mafia die Rede.

Die Bürger wählen ihn

Dass die Bürger von Imperia den Ex-Minister im vergangenen Jahr trotzdem zum neuen Bürgermeister seiner Heimatstadt gemacht haben, quittiert Friedrichshafens Oberbürgermeister a.D. mit einem Grinsen. „Die Leute wissen, wer Scajola ist“, sagt Josef Büchelmeier, der Vorsitzender des Häfler Partnerschaftsvereins „Amici di Imperia“ ist.

Bereits 1982 wurde Scajola erstmals ins Amt gewählt, das er laut Wikipedia ein Jahr später wegen „schwerwiegender Unstimmigkeiten bei der Vergabe von Bauaufträgen und laufender Ermittlungsverfahren gegen ihn“ abgeben musste. Er wurde freigesprochen und 1990 wieder Bürgermeister, 1995 nicht mehr.

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Mit 70 nochmal Chef im Rathaus

Warum er nun mit knapp 70 wieder ins Rathaus einzog, erklärt Büchelmeier mit der Unterstützung „unserer linken Freunde“ und vor allem der jungen Leute in Imperia. Statt für die rechte „Forza“ trat Scajola diesmal an der Spitze einer Bürgerliste an. Sein Vorgänger habe Imperia heruntergewirtschaftet, erklärte er im Wahlkampf.

Nicht nur Josef Büchelmeier ist einigermaßen beeindruckt vom italienischen Politiker, auch wenn er in seinem Leben schon für so viele Negativ-Schlagzeilen gesorgt hat. „Ich fand ihn als Mensch sehr sympathisch“, sagt der frühere Häfler OB, der Scajola zusammen mit anderen Aktiven aus dem Partnerschaftsverein gern die Stadt, Zeppelin Museum, Messe und Zeppelinhangar gezeigt hat. „Er war an vielen Dingen sehr interessiert“, so Büchelmeier.

Und er habe „ein paar Europa-Funken geschlagen, die mir gefallen haben“. Dass ein italienischer Bürgermeister sein Rathaus in den Farben der französischen Trikolore anstrahlen lässt, um für Europa einzustehen, ist in diesen Tagen nicht gerade eine Selbstverständlichkeit.

Bei seinem Besuch in Friedrichshafen trug sich der Bürgermeister der italienischen Partnerstadt Imperia, Claudio Scajola, in das Goldene ...
Bei seinem Besuch in Friedrichshafen trug sich der Bürgermeister der italienischen Partnerstadt Imperia, Claudio Scajola, in das Goldene Buch der Stadt Friedrichshafen ein. | Bild: Stadt Friedrichshafen

Verewigt im Goldenen Buch der Stadt

Auch im Rathaus wurde Claudio Scajolo mit allen Ehren empfangen. Nach dem rund einstündigen Gespräch mit Oberbürgermeister Andreas Brand und Bürgermeister Dieter Stauber durfte sich der Amtschef von Imperia ins Goldene Buch der Stadt eintragen. Stauber will nach Aussage von Josef Büchelmeier bei einem Gegenbesuch im Herbst die Partnerschaft vertiefen.

Und das Verfahren wegen falscher Spesenabrechnungen? Er sei absolut zuversichtlich, dass der Vorwurf für unbegründet erklärt wird, sagte Scajolo der „La Stampa“. Er habe immer „großen Respekt“ vor der italienischen Justiz gehabt. Belangt hat die ihn tatsächlich noch nie.

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