Die Situation in Friedrichshafen sieht so aus: Es gibt keine fachliche Zuständigkeit in der Verwaltung und kein Konzept. Wenn man das Obdachlosenproblem auf eine Dienststelle der Ordnungsbehörde überträgt, die für Knöllchen und Marktwesen zuständig ist, kann man doch von den Kollegen da nicht erwarten, dass sie hier Fälle mit wohnungs- und sozialpolitischer Dimension adäquat bearbeiten. Das gehört fachlich nicht ins Ordnungsamt, bundesweit gibt es das kaum noch. Allein diese Organisationsstruktur führt möglicherweise zu mehr Menschen, die in der K7 landen und gelandet sind. Für mich ist es völlig inakzeptabel, dass da Betroffene schon 20 Jahre wohnen. Oder sogar 17- oder 18-Jährige eingewiesen werden. Was soll sozialpolitisch daraus werden? Das kann doch nur schief gehen.
Nun wird die Notunterkunft nicht aufgelöst, sondern zwei freien Trägern übergeben. Was halten Sie davon?
Das jetzt gewählte Konzept ist bundesweit so etabliert: Es gibt eine Anlauf- und Beratungsstelle für Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht oder bereits obdachlos geworden sind, und eine Gruppe von Fachleuten, die analysiert, was mit diesen Menschen los ist. Dann brauche ich zwar weiterhin eine Notunterbringung, aber auch ein erzwungenes System, das sagt: Dieser Mensch wird hier nicht länger als drei Monate untergebracht. Dieser Druck, eine Lösung zu finden, ist genauso wichtig wie die Ressource. Und da sind wir in der Wohnungspolitik, bei der Menge der mir als Stadt zur Verfügung stehenden Wohnungen oder Belegungsrechten.
Auch die heutigen Bewohner der K7 brauchen die Kompetenz einer Wohnung und nicht die Kompetenz einer sozialen Betreuung. Wenn sie diesen Leuten eine Perspektive geben, dann machen sie mit. Nach 40 Berufsjahren kann ich das sagen.
Kann man nicht verhindern, dass Menschen überhaupt obdachlos werden?
Für mich ist Obdachlosenpolitik Wohnungspolitik. Es gibt bereits seit den 1980er Jahren ein Städtetagspapier mit einem Konzept zur Wohnungssicherung und Auflösung von Brennpunkten, für das ich das Bundesverdienstkreuz bekommen habe. Das Wichtigste ist eine kommunale Verhinderungspolitik von Obdachlosigkeit, also konzeptionell genau da einzugreifen, wo Familien unnötigerweise ihre Wohnung verlieren. Durch die jetzige Mieten- und Arbeitsmarktpolitik steigt ja die Gefahr, dass immer mehr Familien in die Obdachlosigkeit geraten. Zu geringes Einkommen ist immer noch der Hauptgrund für Obdachlosigkeit. Ein zweiter Grund ist die zunehmende Zahl von Menschen mit psychischen Erkrankungen, oder anders gesagt: Immer mehr Menschen sind überfordert vom System und nicht mehr in der Lage, alles selbst zu regeln, was nötig ist. Diese Gruppe steigt zahlenmäßig massiv an. Parallel zur Auflösung der K7 muss dieser Zugang gestoppt und die benötigten Wohnungen müssen zur Verfügung gestellt werden.
Wie lässt sich Obdachlosigkeit verhindern, wenn eine Zwangsräumung ansteht?
Wenn eine Familie zwangsgeräumt wird, heißt das meistens nur: Geld oder Wohnung. Den Druck kann man nehmen, in dem die Kommune offensiv Rückstände übernimmt. Es gibt viele Abhandlungen darüber, dass das das preiswerteste Modell ist. Damit verringert sich der Druck für die schwierigen Fälle, die übrig bleiben, um eine Wohnung, zu finden. Für sie muss eine Anlauf- und Beratungsstelle und die Notunterkunft gesichert sein.
Zur Person
Michael Schleicher war von 2002 bis 2012 Leiter des Kölner Wohnungsamtes, in dem er seit 1977 in unterschiedlichen Positionen tätig war. Auch nach seiner Pensionierung ist er in diversen Gremien, darunter seit über zehn Jahren als Mitglied der Fachkommission Wohnen des Deutschen Städtetags und im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, für „seine Sache“ tätig: eine soziale Wohnungspolitik. Michael Schleicher gilt als „Erfinder“ der kommunalen Belegrechte, des sogenannten Kölner Modells. Für sein Engagement und seine Aktivitäten für eine ausgewogene Wohnungsversorgungspolitik erhielt er 2004 das Bundesverdienstkreuz.
Ein Konzept gegen Obdachlosigkeit
Die Entscheidung des Gemeinderats am Montag, die Notunterkunft K7 in Friedrichshafen in die Hände zweier freier Träger zu legen, hat eine lange Vorgeschichte.
- Ausgangslage: Der Kultur- und Sozialausschuss des Gemeinderats hatte in einer Sitzung im März 2015 die Verwaltung beauftragt, ein Konzept für die strukturelle Änderung des Betriebs der Notunterkunft in der Keplerstraße 7 zu erstellen, um einen in der Obdachlosenarbeit erfahrenen Träger mit dem Betrieb des Hauses und der Betreuung der Bewohner zu beauftragen. Um sich fachlich entsprechend beraten zu lassen, wurde Michael Schleicher als Referent eingeladen. In der Folge legte der Experte im Juli 2015 eine Expertise vor, die die aktuelle Lage analysiert und konkrete Vorschläge macht, wie sich die Situation der Obdachlosen-Betreuung in Friedrichshafen verbessern lässt. Daraufhin bat die Verwaltung vier freie Träger um ein Angebot. Im April berieten der Finanz- und Sozialausschuss nicht öffentlich erstmals über das vorgeschlagene Konzept der Arkade Ravensburg und Dornahof Altshausen. Streitpunkt: Die Stadtverwaltung wollte zu diesem Zeitpunkt nur zwei Vollzeitstellen finanzieren.
- Situationsbeschreibung: In der Notunterkunft Keplerstraße 7 sind derzeit 45 alleinstehende Männer untergebracht; teils wohnen Männer hier seit Jahrzehnten. 50 Plätze gibt es in dem vierstöckigen Bau, bis dato kümmert sich hauptamtlich ein Sozialarbeiter um die Bewohner. Nunmehr ist die Einsicht gewachsen, dass „eine gezielte und individuelle Förderung der Bewohner der Notunterkunft K 7 und damit die Erfüllung der originären Ziele mit der bestehenden Personalausstattung nicht zu leisten sind“, stand in der Gemeinderatsvorlage.
- Empfehlungen für K7: Schleicher empfahl den Aufbau einer Fachberatungsstelle für Wohnungslosenhilfe im K7 durch einen externen Träger. Dies leisten ab September nach dem Beschluss des Gemeinderats Arkade und Dornahof. Erste Aufgabe wird die Entwicklung individueller Hilfekonzepte für jeden einzelnen Bewohner mit dem Ziel „der dauerhaft richtigen Wohnungsversorgung“ sein. In einem nächsten Schritt sollten im K7 nur noch fünf Notplätze vorgehalten werden, wobei die Verweildauer der Betroffenen auf drei Monate begrenzt werden sollte. Die restlichen Flächen könnten zu abgeschlossenen Mietwohnungen umgebaut werden.
- Obdachlosigkeit vermeiden: „Durch den vorliegenden Wohnungsbericht ist die Situation analysiert und festgestellt, dass dringender Bedarf an mehr preisgünstigen Wohnungen in der Stadt Friedrichshafen besteht“, schreibt Schleicher in seiner Expertise. Erkannt wurde auch, dass hohe Mietbelastungen in Verbindung mit wirtschaftlichen Notlagen zu vermehrten Wohnungsverlusten führen werden. Um Obdachlosigkeit zu vermeiden, sollte daher eine kommunale Fachstelle aufgebaut werden, die „in der Lage ist, Wohnungserhaltung wirksam und eigenverantwortlich zu betreiben“. (kck)