Derzeit laufen bereits Warnstreiks, auch bei uns in Friedrichshafen. Wie sehr schaden diese Warnstreiks den Unternehmen vor dem Hintergrund, dass die Werke ausgelastet sind?

Ein Warnstreik sollte eines der letzten Mittel sein, denn Streiks bewirken eine Eskalation. Bei einem solchen Warnstreik geht es immer auch um den Produktionsstopp. Wenn es den Unternehmen nicht gelingt, diesen zu kompensieren, entstehen Ausfälle. Das betrifft insbesondere ganztägige Warnstreiks. Je voller die Auftragsbücher sind, je enger getaktet die Produktion ist, desto eher führen Streiks zu Produktions- und Umsatzeinbrüchen.

Was würde ein 24-Stunden-Streik für die MTU in Friedrichshafen bedeuten?

Ein Tag Produktionsausfall würde bei uns einen Verlust von rund einer Million Euro an Wertschöpfung ausmachen. In unserem Unternehmen könnten wir das vielleicht noch mühsam wieder aufholen, in anderen Unternehmen mit Großserienproduktion hätte ein 24-Stunden-Streik sofort direkten Ergebnisdurchschlag.

Was sagen Sie zum aktuellen Stand der Verhandlungen?

Meine persönliche Lesart ist, dass es auf die richtige Balance ankommen wird. Auf der einen Seite steht die IG Metall, die sechs Prozent mehr Entgelt fordert, zudem das Recht auf eine zeitweise Inanspruchnahme einer 28-Stunden-Woche sowie einen Zuschuss für Beschäftigte, die reduzieren wollen. Auf der anderen Seite stehen viele Unternehmen in der Elektro- und Metallindustrie vor großen Herausforderungen. Das sind beispielsweise die Digitalisierung, die Entwicklung neuer Antriebsarten oder die Automatisierung – da sind erhebliche Investitionen nötig. Zudem verändern sich die Märkte und wir als Arbeitgeber wollen auch in Zukunft die Arbeitsplätze hier vor Ort sichern. Daraus resultiert die härteste Auseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern der vergangenen Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte. Momentan scheint es nur wenig Bewegung zu geben. Wichtig ist jetzt, dass wir aufeinander zugehen. Wir sind dazu bereit.

Was das Thema Arbeitszeit betrifft: Die Forderung nach Recht auf Teilzeit – da scheint sich etwas zu bewegen. Allerdings müsste es im Gegenzug auch möglich sein, Wochenarbeitszeit von derzeit 35 Stunden nach oben auszuweiten. Wir haben Fachkräftemangel, die Betriebe haben streckenweise große Probleme, die Produktion zu bewerkstelligen. In den Verhandlungen wurde eine erste Bereitschaft signalisiert, darüber zu reden. Auch beim Thema Rückkehr in Vollzeit scheint sich etwas zu tun.

Schwierig bleibt es beim Entgeltausgleich. Denn da sagen wir als Arbeitnehmer ganz klar, dass diese Forderung diskriminierend für alle anderen Arbeitnehmer ist, die bereits in Teilzeit arbeiten. Wir halten diese Forderung schlicht für rechtswidrig.

Was bedeutet das in Bezug auf die Streiks?

Wenn eine der Forderungen rechtswidrig ist, wovon wir als Arbeitgeber ausgehen, dann wären auch die Streiks für die Forderungen insgesamt rechtswidrig. Im Raum steht die Frage, ob der Arbeitgeberverband rechtliche Schritte einleitet. Das werden unter Umständen auch die Unternehmen individuell prüfen müssen. Wenn die Situation eskaliert, wäre es nötig, gegen die Streiks juristisch vorzugehen. Wir wollen aber momentan keine Verschärfung der Situation.

Die Forderung nach Entgeltausgleich bei Arbeitszeitreduzierung scheint ja der Knackpunkt in den Verhandlungen zu sein. Was ist denn dagegen einzuwenden, dass Beschäftigte vorübergehend auf 28 Stunden reduzieren und dafür in bestimmten Fällen – Kinderbetreuung, Pflege – einen Lohnausgleich bekommen?

Zunächst ist fraglich, ob das wirklich die Aufgabe der Arbeitgeber sein kann. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Sollte man hier dennoch zu einer tariflichen Lösung kommen, muss sie kostenneutral und rechtssicher sein. Denn der Vorschlag der IG Metall ist in der gegenwärtigen Form rechtswidrig und belastet die Unternehmen zusätzlich. 80 Prozent der Teilzeitkräfte sind Frauen. Viele von ihnen arbeiten 20 Stunden pro Woche. Und genau diese Gruppe von Arbeitnehmern würde keinen Zuschuss bekommen.

Dagegen würden aber – so die Vorstellung der Gewerkschaft – alle diejenigen in den Genuss eines Zuschusses kommen, die von 35 auf 28 Stunden reduzieren, wenn sie Pflege leisten oder Kinder unter 14 Jahren haben. Der Arbeitgeberverband hat ein Rechtsgutachten vorliegen, das klar sagt: Ein solches Vorgehen wäre Diskriminierung. Wir können nicht den einen etwas geben und den anderen nicht. Wir dürfen als Arbeitgeber keine rechtswidrigen Forderungen erfüllen. Das geht nicht.

Das Argument der Gegenseite, dass dann einfach alle Teilzeitbeschäftigten einen Zuschuss bekommen könnten, zieht nicht. Denn dann wäre die unternehmerische Freiheit eingeschränkt. Es kann eben nicht jeder seine Arbeitszeit selber aussuchen. Das ist der kritische Punkt.

Würde eine solche Möglichkeit, vorübergehend seine Arbeitszeit zu reduzieren, nicht doch gesellschaftlich Sinn machen? Das große Problem ist ja häufig, dass Arbeitnehmer aus einer Teilzeit nicht wieder in die Vollzeit zurückkehren können. Macht die Forderung dann nicht doch Sinn?

Dass es derzeit keinen Rechtsanspruch gibt, von Teilzeit wieder in Vollzeit zurückzukehren, ist ein Problem, das der Gesetzgeber angehen muss. Dass Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit in bestimmten Lebenssituationen absenken können, gibt es teilweise bereits auf betrieblicher Ebene, zum Beispiel bei Rolls-Royce Power Systems in Friedrichshafen. Vorstellbar wäre das unter Umständen auch auf tariflicher Ebene, allerdings nur bei Flexibilität sowohl nach oben als auch nach unten. Die Arbeit muss halt gemacht werden. Deshalb schlagen wir vor, dass es Arbeitnehmern auch möglich sein muss, mehr als 35 Wochenstunden zu arbeiten, wenn sie das selbst wollen.

Ein weiteres Argument für die Reduzierung der Arbeitszeit ist, dass man so dem Fachkräftemangel begegnen könnte, weil man mit dem 28-Stunden-Modell vor allem Frauen locken könnte. Was sagen Sie dazu?

Alles, was den Fachkräftemangel behebt, ist gut. Noch einmal: Ich habe nichts gegen das Angebot von Teilzeitjobs. Ich glaube auch, dass das Thema Rückkehr zur Vollzeit angegangen werden muss. Ich störe mich, und auch der Arbeitgeberverband stört sich, vor allem am Thema Zuschuss. Den finanziellen Ausgleich für eine Teilzeitbeschäftigung halten wir grundsätzlich für rechtswidrig. Da müssen andere Modelle gefunden werden, wenn man zu einer tariflichen Einigung kommen möchte, die uns kostenseitig nicht belastet.

Welche Möglichkeiten bietet MTU schon heute ihren Mitarbeitern?

Wir haben hier in Friedrichshafen auf betrieblicher Ebene schon sehr viel gemacht, um die Arbeitszeit zu flexibilisieren. Wir haben mobiles Arbeiten umgesetzt, wir bieten unseren Mitarbeitern bereits die Möglichkeit an, für zwei Jahre die Arbeitszeit auf 20 Stunden zu reduzieren – verbunden mit der Garantie, anschließend wieder in Vollzeit arbeiten zu können. Eingeführt wurde auch eine Pflegezeit für nahe Angehörige. Die kann unter bestimmten Voraussetzungen maximal für drei Monate genommen werden. Dabei zahlen wir 50 Prozent des Bruttoentgelts.

Wäre es denn vorstellbar, das Konzept der MTU auf die ganze Branche zu übertragen?

Da wäre ich vorsichtig. Man muss den unterschiedlichen Größen der Unternehmen Rechnung tragen. Ich glaube, es ist wichtig, vernünftige Lösungen zu finden, die für alle akzeptabel sind. Deswegen ist eine tarifliche Regelung kompliziert.

Am Donnerstag steht die vierte Verhandlungsrunde an. Glauben Sie, dass es eine Annäherung geben wird?

Darum werbe ich sehr. Es zeigt sich ja, dass beide Seiten gute Argumente haben und ihre Berechtigung haben. Es geht darum, Beschäftigte angemessen zu beteiligen und das Arbeitsvolumen nach wie nach unten zu flexibilisieren. Wichtig ist dabei aber, dass wir in der Balance bleiben. Denn die Branche ist im Umbruch, wir stehen vor der Digitalisierung und die Automobilindustrie steht vor großen Umwälzungen. Wir als Arbeitgeber haben ein großes Interesse daran, die Arbeitsplätze hier in Deutschland sicher zu machen. Es ist wichtig, dass beide Seiten weiter miteinander reden und dass die Positionen sich nicht verhärten. Wir brauchen möglichst schnell einen vernünftigen Abschluss.

Die Beschäftigten fordern sechs Prozent mehr Lohn – warum ist das in Ihren Augen nicht realistisch? Glauben Sie, da werden sich beide Seiten auf einander zubewegen?

Das ist natürlich schwer zu sagen. Am Ende müssen wir alle durch dieselbe Tür raus, durch die wir reingegangen sind. Wir werden uns in irgendeiner Form einigen.

Fragen: Kerstin Mommsen

Zur Person

Marcus A. Wassenberg ist seit Finanzvorstand der Rolls-Royce Power Systems AG. Außerdem ist er Arbeitsdirektor und Geschäftsführer der Rolls-Royce Power Systems-Tochter MTU Friedrichshafen GmbH. Wassenberg ist außerdem Vorstandsmitglied im Arbeitgeberverband Südwestmetall. Wassenberg wurde 1966 in Grevenbroich geboren. Er begann seine berufliche Karriere bei der Treuhandanstalt in Ostdeutschland und war als Wirtschaftsprüfer u.a. für die BDO Deutsche Warentreuhand AG tätig. Seit 2012 war er Finanzvorstand der Senvion SE. Seit 2009 zeichnete der Ökonom als Senior Vice President Management Control für den Finanzsektor der Senvion SE verantwortlich.