An den ersten Seehasenfestzug kann sich Walter Münnich gut erinnern. Er war 1949 Erstklässler: "Wir waren erst vor drei Wochen aus der Evakuierung ins zerbombte Friedrichshafen zurückgekommen, und dann gab es dieses Fest, mit einer Wurst für jedes Kind, das war ein Riesenerlebnis!" Er lief als Marienkäfer mit, in einem Kostüm aus Pappe und Krepppapier. Mitten im Umzug gewitterte es. "Das Krepppapier löste sich von den Flügeln und die Farbe lief uns die Beine runter." Trotzdem war die allgemeine Begeisterung so groß, dass eine Woche später ein weiterer Festzug organisiert wurde. Da war Walter Münnich aber schon in den Ferien.
"Die ist auf Ideen gekommen, die damals niemand für möglich hielt"
An die Anfänge des Seehasenfests erinnert der Leiter des Seehasen-Archivs, Karl Hess, beim Altstadtforum. Im zerstörten Friedrichshafen sollten wieder Lebensfreude und Optimismus einziehen. Ein Fest für Kinder und Jugend wünschten sich "die Macher", wie Hess sie nennt: Die Idee kam von Stadtrat und ZF-Vize Konstantin Schmäh, kräftig unterstützt von seiner Schwester Elisabeth Schmäh. "Die ist auf Ideen gekommen, die damals niemand für möglich hielt", sagt Hess. Zum Festausschuss gehörten der gerade gewählte Bürgermeister Max Grünbeck, der Oberschullehrer und Chormeister Paul Schmidt und der Journalist Peter Hilsenbeck, der den ersten Seehasen gab.
Die Macher entwarfen eine Gründungsurkunde, von Zeichenlehrer Fritz Kettnacker in Schönschrift auf Pergament gebracht und mit einer Zierleiste geschmückt. Sie bestimmt, jedes Jahr am vierten Montag nach Pfingsten ein Kinderfest zu halten. "Es solle führen ein Schiff Buben und Mägdlein über den See. Selbige sollen ziehen nach Mittag in einem lustigen Zug mit bunten Fähnlein und Standarten nach einem fröhlichen Ort", heißt es in der Urkunde, die Hess im Archiv verwahrt. Sie sieht auch vor, dass jedes Kind eine Wurst, einen Wecken und einen bekömmlichen Trunk bekommt – eine Herausforderung. 1949 waren Lebensmittel noch rationiert und Fleisch für 4000 Kinder nicht vorgesehen. "Da hat der französische Kommandant Albert Merglen dem Komitee ausgeholfen, ist nach Donaueschingen gefahren und hat die Genehmigung besorgt", berichtet Hess.
"Damals war das reine Not"
Viele solcher Geschichten hat er ausgegraben: die vom ersten Schützenkönig Kurt Albrecht etwa, der 1949 das Armbrustschießen gewann – und einen lebendigen Hasen nach Hause nehmen durfte. Oder die von seinem Nachfolger Johann Weißhaupt, der dem Archiv Schützenkette und Schärpe vermachte, die Hess verschollen glaubte. Er berichtet, wie Konstantin Schmäh und Paul Schmidt das zweite Friedrichshafener Heimatlied schrieben, das bis heute gesungen wird – das erste von 1946 erschien ihnen zu sehr von der Nachkriegszeit geprägt. Er hat Festabzeichen gesammelt, vom ersten Blechhasen über das Pappabzeichen von 1950 bis zu den Tüchlein von 1953 und 1954. Die Fotos, die er zeigt, haben Symbolwert: Schon bei den ersten Festen wehten neben der deutschen und der Häfler Flagge auch die aus Österreichisch und aus der Schweiz.
Kinder tragen mit Blumen und Früchten geschmückte Füllhörner als Zeichen der Hoffnung auf bessere Zeiten. Auf anderen Bildern laufen Mädchen barfuß. "Damals war das reine Not", sagt er.
Karl Hess kennt alle 16 Seehasen. Der jüngste, Peter Sikora, hörte ihm an diesem Abend im "Schwanen" aufmerksam zu. Danach bringt er auf den Punkt, worauf es seit 1949 beim Seehasen ankommt: "Er sollte gut mit Kindern umgehen können, das ist das Wichtigste."