Da wird einer Schlagzeuger und heißt mit Nachnamen auch noch „Bong“. Das ist wie ein Trompeter, der „Tröt“ heißt. Aber Kurt Bong hat es nicht verdient, einen halbgaren Musikerwitz ertragen zu müssen. Der Mann ist ein Großer in der deutschen Jazzgeschichte, zur Krönung seines Berufslebens wurde er Leiter der hr-Bigband und hat ihr Renommee verschafft. Nun tritt er noch einmal an. „Ich werde bald 80. Eigentlich wollte ich nichts mehr machen. Aber Jürgen Deeg hat mich reaktiviert“, sagt der noch immer fitte Drummer, Arrangeur und Hansdampf auf allen Jazzbühnen. Mitgebracht zu diesem 15. Jazzport Summer Special hat er den Saxofonisten Tony Lakatos – ein Name, bei dem Kenner mit den Ohren schlackern – und aus alter Verbundenheit ist der Bassist und Keyboader Thomas Heidepriem kurz entschlossen auch noch an den See gereist.
Das Konzert wird zur Reise durch den Bigband-Jazz – „eine Zeit, die ich von A bis Z mitmachen durfte", sagt Bong. „Heute gibt es ja kaum noch Bigbands“. Aber Bong ist nicht bitter, sondern nostalgisch und in Sachen Bigband-Jazz heiß das: oft ausgesprochen fetzig. Natürlich erweist das NJPO den Göttern des Genre die Ehre, Basie und Ellington – aber da sind eben auch Arrangements, die Kurt Bong zu Songs der Jazzrock-Formationen Blood, Sweat & Tears (BS&T), und Chicago geschrieben hat; Medleys, in denen das New Jazzport Orchestra und Tony Lakatos zusammenpassen, als hätten sie wochenlang zusammen geprobt. Lakatos sieht ein wenig aus wie Van Morrison, der ja auch Saxofon spielt – allerdings hobbymäßig. Lakatos dagegen ist von den ersten Sekunden an ein Meister auf dem Spielfeld: Sonor, locker, und seidenweich führt er im BS&T-Medley durch den Klassiker „Hi-De-Ho“, macht ihn mit der Bigband zu einem mit Erotik durchsetzen Soul- und Gospel-Jazz.
Und weil er weiß, was die Leute wollen, gibt er es ihnen zur Gänze erst nach hübschen Tändeleien. Das zeigt der andere BS&T-Klassiker „Spinning Wheel“, der im Original ja in der Melodie des „Lieben Augustin“ endet. Was macht also Lakatos? Er improvisiert über diese Melodie und liefert das eigentliche Thema als Kurzzitat hinterher. Wer da nicht grinst, hat den Witz nicht verstanden.
Das NJOP ist keineswegs nur Begleitband eines Starsolisten. In Chicagos „25 or 6 to 4“ rollt es, angetrieben von einem hundsgemein finsteren Bassbeat, als Feuerwalze durchs Foyer. Das Orchester beherrscht aber natürlich auch den völlig anders gelagerten Bigband-Swing. Besonders atmosphärisch gelingt Ellingtons „Take the A-Train“, das Kurt Bong besonders liegt: vor seiner Jazzkarriere machte er eine Lehre als Lokführer bei der Deutschen Bahn; und so schiebt dieser „A-Train“ übers Gleis wie eine jener Dampfloks, die er selbst noch gefahren ist.
Wenn Bong nicht als Leiter vor der Bigband steht, sitzt er hinter dem Saxofon und denkt auch hier in erster Linie daran, dass der Laden beisammen bleibt. So setzt er an die Stelle ausgiebiger Soli ins laufende Spiel seiner Mitmusiker knappe Ausschmückungen, sogenannte „Fills“, die Druck mit Eleganz verbinden. Beides kennzeichnet auch das Spiel von Tony Lakatos, der in Bongs hr-Bigband ständiges Mitglied war. Der Mann zeigt noch in den wildesten und längsten seiner Improvisationen eine Planhaftigkeit, durch die nie ekstatischer Wildwuchs entsteht. Sein Spiel ringelt sich am eigene Instinkt entlang wie eine Ackerwinde am Bambusstab. Das Ergebnis kann nur formschön sein.
Mit gleich vier Stücken fallen die Konzertteile für kleine Kombo vielleicht ein wenig ausgiebig aus, aber sie geben eben auch dem dritten Gast Thomas Heidepriem Gelegenheit, sich zu entfalten – teils mit eigenen Stücken, die den Jazz mit groovenden Pop-Elementen anreichern und von Nikolai Gersak an der Hammondorgel zugleich zurückgebeamt werden zu den Wurzeln des Acid Jazz.
Am Ende dieses 15. Jazzport Summer Specials sieht Kurt Bong so richtig glücklich aus. Nicht an die große Glocke gehängt wird eine schlechte Nachricht: Es soll das letzte Summer Special in diesem Rahmen gewesen sein. Dem Verein Jazzport wurde vom zuständigen Dezernat der Stadt mitgeteilt, dass dieses Konzertformat im Foyer des GZH zu teuer sei. Damit dürfte das Foyer fürs Summer Special gestorben sein.