Die Bläsersection hat es immer schwer. Hinten steht sie, dicht an dicht am Rand der Bühne, und die Sänger ziehen vorne ihre Show ab. Zum Glück gibt es den Funk. Da fallen die Bläser zwar auch fast in die Backstage-Zone, aber ohne sie ist kein Staat zu machen.
Auch bei Funkhaus nicht – diese neun Kopf starke All-Star-Gruppe mit Musikern aus der Region, die man von den Bluesblasters, dem New Jazzport Orchestra, den Bands Indoor Picnic und Shakin' Bones her kennt. Im Theater Atrium feiert die Kombo eine mehr als drei Stunden lange Party. Kracher folgt auf Kracher: "Car Wash" von Rose Royce, wenigstens die Hälfte der schärfsten Nummern von James Brown, „Let's go crazy" von Prince – und überall sorgen die Bläser für den Überdruck im Kessel. Aber auch Frontfrau Agathe Paglia und ihr Mikrofonpartner Gabor Racsmany lassen ordentlich Dampf ab – sie mit Tina Turner-Timbre, er mit einer Geschmeidigkeit und Eleganz, die selbst gerappten Passagen einen weichen Flow verleihen. Schon bald stehen die Stühle im vollen Atrium in den Ecken und das Publikum tanzt – Songs von Chaka Khan, Mother's Finest und sogar „Roxanne“ von Police, das die Band nahtlos in Stevie Wonders „Higher Ground“ einschleust.
Aber das ist nur ein Teil der Party – ihr größerer Teil läuft zeitgleich nebenan im Casino, und die beiden Veranstaltungen nehmen sich gegenseitig nicht die Butter vom Brot. Die Verein Klangkultur Bodensee hat ins Casino zu seinem Rockfest eingeladen. Heftig kracht's bis Mitternacht und am heftigsten gleich zu Auftakt: Die Youngster der Band Breaking Down spielen dröhnenden Metal mit Mähdrescher-Gitarren, der bisweilen an die frühen Metallica erinnert – nur, dass die Metal-Könige keinen solch gutturalen Death Metal-Gesang zu bieten haben. Dass die Band zwischen ihren punktgenau gespielten Sound-Apokalypsen so nette Ansagen macht, erstaunt. Und was man ebenfalls kaum glaubt: Wie hervorragend abgemischt der Sound aus den Boxen kommt. In Sachen Soundtechnik wird nur das Beste und Teuerste aufgefahren. Die Mitglieder von Klangkultur Bodensee investieren nicht wenig in ihr liebstes Hobby. Und es wird damit keineswegs Klangblech aufpoliert: Jede der fünf Bands des Rockfests ist spieltechnisch erstklassig aufgestellt.
Auch Bobo's Blues Boyz, die schon mal nebenan im Atrium gespielt haben, im Rahmen von Alp Aytacers „Special Mix“-Konzertreihe. Der Blues, der hier gespielt wird, kriecht schmerzhaft über Glasscherben und klingt zugleich rüde hingerotzt. Das ist Musik mit halb gebelltem, halb gesägtem Gesang, die an die Leiden einer Schnecke erinnert, die über eine geschliffene Messerschneide zuckelt. Tom Waits' „Heartattack and vine“ klingt, wie das Original, nach ausgeschlagene Zähnen und einer Spelunke voller Messerstecher; „Ice cream man“, ebenfalls von Tom Waits, vermählt Swing mit Punk zum höchst obskuren Pärchen.
Randale und Rabaukentum finden zusammen bei Bobo's Blues Boyz; und das Bemerkenswerteste ist vielleicht, dass hier der Vater an der E-Gitarre mit dem Sohne am E-Bass in derselben Band musiziert.
Danach dann das Trio Omikron – Gitarre, Bass, Schlagzeug und reichlich viel Wumms. Omikron, das ist der fünfzehnte Buchstabe des griechischen Alphabet und die Nummer eins bei den Luftgitarristen im Publikum. Da trifft der Rock'n'Roll von Motörhead auf die fahle Düsternis der frühen Black Sabbath und das Schlagzeug inszeniert mit dem Bass ein so wildes Trommelfeuer, dass unter den Schwingungen selbst das auf dem Tresen stehende Bier in der Flasche nachschäumt. In Sachen Wucht kommen Omikron einer Livesession von Neil Youngs Crazy Horse nahe.
Und genauso heftig geht es weiter – mit Ownstuff. Trotzig klingt der Name, nach steifer Oberlippe. Sie ist auch berechtigt, denn die Songs der fünf Mann haben es in sich. Zehnfach in Bügelstärke gewälzt Boogie-Riffs treffen auf AC/DC und Motörhead; und sein Rory Gallagher-T-Shirt trägt der Frontmann auch nicht nur zur hohlen Zierde. Hochnervös wummert der Bass, die doppelte Gitarrenspitze groovt mit Bleifuß auf dem Gaspedal. Jetzt, wo AC/DC sich langsam aber sicher von den Bühnen schleichen, sind Ownstuff doppelt wertvoll.
Den Kronkorken von der Bierflasche hebt am Schluss die druckvolle Spiellust der Powerflowers. Zwar ist das Programm der Band durchaus in der Flower Power-Ära angesiedelt, aber verträumter Hippie-Pop ist nicht angesagt – sondern "Notbush City Limits" von Ike & Tina Turner, "La Grange" von ZZ Top oder "Whole Lotta Love" von Led Zeppelin, mit einem dicht und fein geknüppelten Schlagzeug- und Percussion-Solo und Rap-Passagen, die in ihrer Härte an Rage Against The Machine erinnern. Und auch bei "Radar Love" von Golden Earring flüstert die Power nicht durchs Blümchen. Frontmann Ingo Jaegers Stimme hat den Biss eines wütenden Tom Robinson, Ilona Obermüller hinkt stimmlich den Rock'n'Roll-Ludern des alten Schlags nicht hinterher; wenn bei den Blues Pills mal die Frontfrau ausfällt, hat sie den Job. Fulminanter hätte das Ende dieser großen Sause nicht sein können.
Und die nächste kommt bestimmt. Zweimal im Jahr will Klangkultur Bodensee das Rockfest künftig im Casino Kulturraum veranstalten. Die nächsten Bands dürften schon in Stellung gebracht sein.