Alle 90 Minuten ist die ISS über uns zu sehen – solange dauerte eine Erdumrundung der Internationalen Raumstation. Angedockt an die ISS ist seit zehn Jahren das europäische Weltraummodul Columbus – ein Forschungslabor der Extraklasse. Auf nur wenigen Quadratmetern können hier die Astronauten, die auf der ISS sind, Experimente vornehmen – in dem Hi-Tec-Weltraumlabor gibt es alles, was für die moderne Forschung nötig ist.
Und es sind vor allem Techniker und Ingenieure aus Immenstaad, die all das überhaupt möglich machen. Columbus wurde federführend von Airbus Defence and Space gebaut, gemeinsam mit Unternehmen aus zehn europäischen Ländern. "Am 7. Februar 2008 startete das US-Space-Shuttle Atlantis mit Columbus an Bord", erinnert sich Thomas Hummel, Technikchef für die Sparte bemannte Raumfahrt bei Airbus in Immenstaad. Seither ist Columbus fester Bestandteil der ISS und einer der faszinierendsten Forschungsplätze überhaupt. In dem vergleichsweise kleinen Modul befinden sich insgesamt 16 Nutzlastschränke, so genannte Racks, in denen Laborausrüstungen und technische Systeme untergebracht sind. Jedes Rack ist etwa so groß wie eine Telefonzelle, bis zu 500 Kilogramm schwer und besitzt eine eigene Stromversorgung, eigene Kühlsysteme sowie Datenleitungen. Von den 16 Racks werden zehn für die Unterbringung von wissenschaftlichem Gerät genutzt, das in vielen Fällen von Airbus erdacht und gebaut wird. "Es ist vor allem die Schwerelosigkeit, die für die Forschung hochinteressant ist", erklärt Thomas Hummel – und daher stehen Forscher Schlange, um einen Platz auf der Columbus zu bekommen.
Einen solchen Antrag müssen Wissenschaftler bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA oder beim Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) einreichen, werden sie genehmigt, werden sie offiziell ausgeschrieben. Airbus bewirbt sich meist mit drei bis fünf Konkurrenzunternehmen – viele Experimente werden dann in Immenstaad von einem Team geplant und konstruiert. "Wir arbeiten in der Regel an 30 bis 50 Projekten gleichzeitig", erzählt Hummel.
Forschungsschwerpunkte sind Materialwissenschaften, Fluidphysik, Chemie, Fernerkundung, Biologie, Biotechnologie, Medizin und Humanphysiologie sowie Technologieexperimente. "Dank einer direkten Datenleitung zur Erde ist es möglich, dass die Wissenschaftler live dabei sind, wenn die Astronauten ihre Experimente machen", erklärt Thomas Hummel. Ab Juni ist der deutsche Astronaut Alexander Gerst schon zum zweiten Mal auf der ISS und wird im Superlabor Columbus arbeiten.

Fakten zur Mission
- In zehn Jahren wurden insgesamt 1785 Experimente an Bord des Labors vorgenommen.
- 800 Terrabyte an wissenschaftlichen Daten wurden über ein Datenmanagementsystem an die Erde gesendet (das entspricht einem DVD-Stapel von 30 Metern Höhe).
- Im Columbus-Modul gibt es 16 sogenannte "Racks" – eine Art Regal -, die für Experimente, Lagerung und Infrastruktur dienen.
- 14 Mal haben europäische Astronauten im Columbus-Modul in der ISS gearbeitet.
- In zehn Jahren ist die ISS und damit Columbus 58 464 mal um die Erde geflogen, das
- Das Modul ist 6,90 Meter lang und hat einen Durchmesser von 4,50 Metern. Columbus wiegt 10 300 Kilogramm und hat eine Nutzlast von 9000 Kilogramm.
So bereitet sich die Raumfahrt auf die Mission zum Mars vor
Die Internationale Raumstation ISS ist seit 2000 dauerhaft von Astronauten bewohnt und ist ein gemeinsames Projekt der USA, Russlands, Europas, Kanadas und Japans. Derzeit läuft der Vertrag bis 2024, vorstellbar ist eine weitere Nutzung bis 2030. Die internationale Raumfahrt hat aber längst ein neues Ziel im Auge: Die Mars-Mission. Bis es soweit ist, arbeiten viele Menschen an der Realisierung dieses Traums, auch bei Airbus in Immenstaad. Viele Experimente, die derzeit auf der Columbus gemacht werden, beschäftigen sich schon jetzt mit der Frage, wie Menschen längere Zeit im Weltall leben können, wenn es keinen Nachschub von der Erde mehr gibt. Ein Überblick:
- Deep-Space-Gateway: Erst Zwischenschritt zu einer bemannten Mars-Mission könnte der Deep-Space-Gateway sein, ein Forschungsmodul, das den Mond umkreist und als Zwischenstation zu Marsmissionen dienen könnte. Das Modul soll ab 2023 aufgebaut werden. "Dort könnten zum Beispiel Versuche durchgeführt werden, die jetzt in der Columbus laufen", erklärt Thomas Hummel.
- E-Nose: Auf der Columbus wurde bereits das Experiment "E-Nose" gemacht. Die mikrobielle Verunreinigung durch Pilze, Keime und Sporen sind für Besatzung und Hardware im Weltall eine große Gefahr. Auf der Internationalen Raumstation oder auf anderen Langzeitmissionen im All werden die winzigen Lebewesen zu einem großen, sicherheitsrelevanten Problem. Mit der "E-Nose" kann eine Atemgasanalyse durchgeführt werden. Langfristiges Ziel ist es, Bio-Marker für zum Beispiel Stress oder Erkrankungen in der Atemluft zu "erschnüffeln".
- Immuno: Das Immunsystem von Astronauten wird während ihrer Missionen geschwächt, die Gründe dafür sind noch unklar. Ein umfangreiches Experimentalprogramm soll dies klären. Dabei werden unter anderem Hormone und Proteinfaktoren in Blut und Urin gemessen, außerdem das Atemgas analysiert. Damit könnten in Zukunft Blutanalysen ergänzt oder gar ersetzt werden.
- Gewächshaus EMCS: Bei einer eventuellen bemannten Marsmission geht es auch um die Ernährung der Astronauten. Doch es ist noch unklar, wie sich Pflanzen imWeltraum orientieren. Auf der Erde sind Schwerkraft und Licht entscheidend, aber welchen Einfluss haben Lichtspektrum und Weltraumstrahlung? Genau diesen Fragen geht die Forschung im "Gewächshaus" EMCS nach. Bisher wurden fast 20 000 Samen zum Keimen gebracht und deren Wachstum untersucht.
- Photobioreactor: Dieses Experiment, das derzeit bei Airbus in Immenstaad vorbereitet wird, beschäftigt sich mit der Frage, wie Sauerstoff für die Astronauten hergestellt werden kann – denn bei einer Marsmission wäre es unmöglich, genügend Sauerstoff mitzunehmen. Dazu kommen enorme Kosten – 25 000 Euro kostet es, um ein Kilo Sauerstoff ins Weltall zu bringen. "Unser Photobioreactor stellt aus CO2-haltiger Luft Sauerstoff her. Das gelingt, indem Algen das CO2 aufnehmen und daraus dann wieder Sauerstoff herstellen", erklärt Hummel. Die Algen könnten dann sogar als Nahrung verwendet werden.
Kerstin Mommsen