Rund 1350 Beschäftigte hat die Häfler Stadtverwaltung. Fast zwei Drittel sind Frauen. Doch wenn es um Führungspositionen geht, ist das Verhältnis genau andersherum. Zwei Drittel aller 115 Chefsessel vom Dezernenten bis zum Sachgebietsleiter sind von einem Mann besetzt – so wie es in den meisten Rathäusern im Land üblicherweise der Fall ist. Das soll sich ändern – nicht zuletzt durch die Tätigkeit von Brigitte Pfrommer-Telge. Sie ist die Gleichstellungsbeaufragte im Häfler Rathaus und wird morgen im Kultur- und Sozialausschuss des Gemeinderats erstmals über ihre Arbeit berichten.

Seit Februar 2016 gilt das neue Chancengleichheitsgesetz in Baden-Württemberg. Das schreibt Städten wie Friedrichshafen mit mehr als 50 000 Einwohnern vor, mindestens eine 50-Prozent-Stelle für eine Gleichstellungsbeauftragte zu schaffen. Das Ziel: mehr Chancengleichheit für Frauen nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch in der Stadt.
Pionierarbeit geleistet
In Friedrichshafen dauerte es noch bis Oktober 2017, bis man dem gesetzlichen Auftrag nachkam. Seither habe Brigitte Pfrommer-Telge "Pionierarbeit geleistet", bescheinigte ihr Bürgermeister Dieter Stauber, der seit Jahresbeginn ihr Chef ist und sich gestern bei einem Pressegespräch "beeindruckt von der Vielfältigkeit ihrer Tätigkeit" zeigte. Aus diesem Grund soll die Stelle auf 60 Prozent aufgestockt werden.
Netzwerke und Partner wichtig
Die 55-Jährige geht in ihrem Job auf. Vorher war sie zwölf Jahre im Sozialamt des Bodenseekreiskreises beschäftigt und habe dort "jegliche Form von Benachteiligung kennengelernt", erzählte sie gestern. Trotz der Erkenntnis, dass es bis zu einer echten Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen noch ein weiter Weg sei, habe sie mit viel Elan die Arbeit aufgenommen. Wohl wissend, dass es "Zeit, Geduld und Feingefühl" brauche und sie als Einzelkämpferin im Rathaus kaum etwas ausrichten kann, wenn sie nicht in starke Netzwerke eingebunden ist. Kooperationen und Partner habe sie von Beginn an gesucht und mannigfaltig gefunden.
Eine Dienstvereinbarung gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, die hausintern gerade abgestimmt wird, geht auf das Engagement von Pfrommer-Telge zurück. Sie wird künftig Beschwerdestelle für städtische Mitarbeiter diesbezüglich sein. Seit Mai 2018 biete sie ohnehin Beratung zu gleichstellungsrelevanten Themen im Rathaus an – für Frauen und Männer. Auch bei Auswahlverfahren sei sie beteiligt, wenn sich Frauen auf Führungspositionen beworben haben. Stark engagiert hat sich Brigitte Pfrommer-Telge ihrem Bericht zufolge aber nicht nur intern, sondern beteiligte sich an zahlreichen Projekten, die nach außen wirken (siehe unten). Nach der Kommunalwahl möchte sie auch das Thema politische Teilhabe von Frauen auf ihre Agenda setzen.
Und wie schafft man es nun, dass Frauen auch im Rathaus mehr als heute Führungsrollen übernehmen? Pfrommer-Telge sieht es als Chance, dass bis zum Jahr 2022 zehn Männer in leitender Position in Rente gehen. Mit einer Befragung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Rathaus will sie heraus arbeiten, woran es liegt, dass sich Frauen oft nicht trauen – oder es ihnen nicht zugetraut wird. "Der weibliche Nachwuchs wäre da, bildet sich aber derzeit noch nicht in der Führungsebene ab", schätzt Pfrommer-Telge ein.
Ein Plan für die Chancengleichheit
In den nächsten Monaten steht für sie ohnehin der Chancengleichheitsplan im Fokus ihrer Arbeit, auch eine gesetzliche Vorgabe. Der soll Ziele für die nächsten drei bis fünf Jahre formulieren, nicht nur, was den weiblichen Anteil in der Führungsriege anbetrifft. Es geht um Qualifizierung, andere Arbeitszeitmodelle, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Pflege und Familie oder die Möglichkeit, auch im Teilzeitjob Verantwortung zu übernehmen. "Wir müssen mit den Fachämtern darüber sprechen, was möglich, was realistisch ist", sagt Brigitte Pfrommer-Telge.
Aktionen im öffentlichen Raum
Zahlreiche Projekte und Veranstaltungen hat die städtische Gleichstellungsbeauftragte in den vergangenen Monaten initiiert oder mit begleitet, hier eine Auswahl:
- Jährliche Aktionstage: Mitarbeit an zwei Projekten zum Internationen Tag gegen Gewalt an Frauen – Potenziale und Stolpersteine von Frauen im (Berufs)-Leben – und an zwei Projekten zum Internationalen Frauentag, darunter ein Konzert mit Magdalena Grabher im Theater Atrium.
- Interkulturelles Frauenprogramm: Brigitte Pfrommer-Telge wirkte an einer Veranstaltungsreihe mit, die unter dem Motto "unter Frauen" auch diffizile Themen wie die Schwangerschaftsverhütung oder Frauenrechte im Islam an geflüchtete Frauen oder solche mit Migrationshintergrund brachte.
- "One billion Rising": Mehr als ein Drittel aller Frauen in Deutschland haben ab dem 15. Lebensjahr Erfahrungen mit (sexueller) Gewalt machen müssen. Eine Tanz-Demo gegen Gewalt fand in Friedrichshafen am 16. Februar statt.
- Plakataktion "Not for sale": Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung ist Thema einer Plakataktion, die in Friedrichshafen zu sehen war. Die Fotos von Lena Reiner sollen für die Problematik sensibilisieren.
- Präventionsprojekt "Echt krass": Eine interaktive Ausstellung im Januar 2019 thematisierte sexuelle Übergriffe unter Jugendlichen. Über 1000 Schüler aus achten Klassen wurden hier aufgeklärt.