Beim ersten Konzert von Grace Kelly als "Young Artist in Residence" des Bodenseefestivals stellt sich nur eine Frage: Wohin sich das perfekte Spiel dieser 25-jährigen Saxophonistin eigentlich noch entwickeln soll.
Beim Auftritt in Friedrichshafen mit dem New Jazzport Orchestra, der Bigband des Friedrichshafener Jazzclubs, verstrahlt sie die Vollkommenheit einer Frühvollendeten. Ihr samtener Ton in der Eigenkomposition "Man with the hat" – sie widmet es ihrem Mentor Phil Wooods – klingt nach der Lebenssumme eines sehr erfahren Jazzmusikers. Das Stück selbst könnte auch bereits in den 1950ern geschrieben worden sein. Grace Kelly hat den Modern Jazz völlig absorbiert, bewegt sich darin wie ein Fisch im Wasser und spielt doch von höherer Warte. Ihre Soli vereinen die Hingabe an den kreativen Fluss mit Übersicht und Selbstkontrolle – so mildert sie die exaltierten Phrasen mit runden Schwüngen ab, als habe sie das Ungezügelte bereits hinter sich gelassen.
Erklären lässt sich das wohl nur mit der Lerngeschwindigkeit eines Ausnahmetalents, denn eine Aufziehpuppe ist Grace Kelly nicht. Die junge Frau wirkt äußerst authentisch und direkt, sie macht ausführliche Ansagen, macht Späße und hat sichtlich Vergnügen am herausragenden New Jazzport Orchestra. Nach nur einer gemeinsamen Probe am Vorabend des Konzerts zeigt sich die Bigband in Hochform – differenziert und präzise, druckvoll und funky gelingt eine Nummer wie "Bigfoot" von David Sanborn und Marcus Miller, bei der Kelly zum eigenen Solo tanzt.
Als Sängerin tritt Grace Kelly ebenfalls in Erscheinung und stellt sich, wie Melody Gardot, Fredrika Stahl und andere Vertreterinnen des "jungen" Jazz, auf den sicheren Boden der Tradition: In Peggy Lees "That's my style" hat ihr Gesang den Monroe-Sexappeal der 60er Jahre, und durch Gershwins "But not or me" gleitet sie so leicht wie Ginger Rogers durch die Kulissen eines Revuefilms. Trotzdem ist da eben nicht nur das von vornherein Gekonnte. Kelly will mehr: Ihr Saxophonsolo in "Caravan" hat den Nachdruck eines Goldsuchers, der auf eine Ader gestoßen ist. Und bei "Night in Tunisia" schüttelt sie sich, als liefen ihr bei der Umsetzung ihrer spielerischen Ideen Schauer über den Rücken. Zu einem Höhepunkt wird "Strasbourg / Saint Denis" von Roy Hargrove, zusammen mit dem Trompeter Markus Ziegler. Zum Höhepunkt wird es auch deshalb, weil Hargrove, selbst ein Youngster, das Stück an den Souljazz von Cannonball Adderley anlehnt. Geschmeidig, lässig, ohne Schroffheiten lassen Kelly und Ziegler im Dialog Klang gewordene Schmetterlinge aus den Trichtern steigen. Den spontanen Jubel des Publikums hat Grace Kelly sich verdient. Um jetzt noch wesentlich voranzukommen, müsste diese große Stilistin ihr Spiel vielleicht eher vergröbern, anstatt es noch weiter zu verfeinern.