„Die Befreiung des Menschen muss bereits auf Erden beginnen.“ Für diese Überzeugung und gegen Gewalt und Korruption der Mächtigen kämpfte Bischof Oskar Romero in seiner Heimat El Salvador. Er büßte seinen Einsatz für die Armen und Entrechteten mit dem Tod. Am 24. März 1980, nach dreijähriger Amtszeit, wurde er von hinten erschossen. Die Komposition der Kantoren Marita und Georg Hasenmüller erzählt in 16 Bildern voller Intensität vom Leben und Sterben eines mutigen Mannes, der auch im Bewusstsein akuter Todesgefahr sein Ziel nicht aus den Augen verlor. „Wenn sie mich töten, werde ich im Volke wieder auferstehen.“ „Ich wollte einst für meinen Chor, den Jungen Chor St. Columban, ein Stück komponieren“, sagt Marita Hasenmüller. Der Theologe Rainer Steib schrieb ihr damals den Text, in Zusammenarbeit mit ihrem Mann entstand die Musik zu „Oskar Romero“, einer modernen Passion, die zum Katholikentag 1992 in Karlsruhe uraufgeführt und heute zum fünften Mal in Friedrichshafen gespielt wird. „Manche singen das Werk seit 25 Jahren“, sagt die Kantorin und legt großen Wert darauf, dass dies alle auswendig tun. „Das Stück ist zu dicht, als dass man an den Noten kleben könnte“, sagt sie, und, „wenn auswendig, dann ist es inwendig“.
Plötzliche Gewehrsalven lassen das Publikum zusammenzucken. Drei aufgebahrte Tote werden hereingetragen, gefolgt von einer schwarz gekleideten Prozession, den etwa 60 Sängern des Chors. Ein Freund Romeros, Rutilio Grande, wurde mit seinen Gefährten erschossen. „Rutilio, was haben sie dir getan“, singt der Chor als Refrain zum Solo von Michael Betz.
Als Oskar Romero wird er beim Sektempfang im Präsidentenpalast, vor seiner Ernennung zum Bischof, noch als Mann rechts der Mitte gefeiert. Doch der Tod seines Freundes macht ihn schon bald zum Sprachrohr seines unterdrückten Volkes. Rhythmisch anspruchsvoll singt der Chor vom innerlich zerrissenen Bischof, der vom konservativen zum kämpferischen Christen wird. Das Zwiegespräch von Frauen- und Männerstimmen spiegelt den inneren Dialog, Synkopen schaffen dramatische Spannung, die der Chor mitreißend präsentiert. Rumbarhythmen zaubern lateinamerikanisches Kolorit. Kopfschüttelnd lenkt der Botschafter des Vatikans die Aufmerksamkeit des Publikums auf die nächste, eine gesprochene Szene. Romero möchte gegen dessen Anweisung eine Messe feiern, die das Unrecht des Regimes thematisiert. „Ich habe die Zustimmung des Volkes“, sagt Romero, „und ich übernehme die volle Verantwortung“. Stellvertretend für dieses Volk singt das Publikum mit dem Chor und sieht in Romero einen Hoffnungsschimmer in Zeiten ohne Licht. Ein Saxophonsolo, einfühlsam gespielt von Kuno Bucher, blickt diesem sehnsüchtig entgegen. Ein Sprechgesang löst die Predigt Romeros gegen die ungerechte Entlohnung der Kaffeepflücker ab. „Namenlos“ wiederholt der Chor, immer schneller, lauter, eindringlicher, um abrupt zu enden und Raum für Marita Hasenmüllers Solo zu schaffen.
Im Wechsel mit dem Sprechgesang prangert sie mit ihrem klaren Sopran Folter, Missbrauch und Unterdrückung an. Namen Verschollener werden verlesen, das Entsetzen mündet in einem Trauermarsch. Und wieder bindet das Musical nach einem Vorspiel der Band das „Volk“ mit ein.
Die Wahl zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz wird zum Desaster und spaltet die Kirche in El Salvador. Während nach diesem Gespräch der Sopran innig „ich träume von einer Welt in der jeder seinen Nächsten liebt“ singt, steht Romero in seinen Traum versunken reglos vor dem Altar. „Kein Leben, kein Leben“, hartnäckig unterlegt das Ostinato in den Männerstimmen eine intensiv gespielte Szene. Im Scheinwerferlicht der sonst dunklen Kirche saust der Gewehrkolben eines Soldaten auf einen Arbeiter nieder und Justitias Waage gerät aus dem Gleichgewicht. Romero hält seine letzte Predigt. „Ohne Wurzeln im Volk ist eine Regierung machtlos“, sagt er und fordert die Soldaten auf, nicht länger die Brüder zu töten. Ein Raunen im Chor – Vorsicht, Kommunisten, Sozialisten – bringt die Luft zum Knistern. Das Vaterunser, a capella und homophon, wird von einem Schuss jäh unterbrochen. Der Zuhörer, versunken in die Schönheit der Melodie, zuckt zusammen, Romero sinkt getroffen zu Boden. „Ein Bischof muss sterben, aber Gottes Wort wird niemals untergehn“, singt der Chor und wiederholt nach langem Applaus das Vaterunser, das jetzt wie eine Infusion in den Körper eindringt und das Publikum ergriffen in sein sicheres Zuhause entlässt.