„Mein Vater hat darauf bestanden, dass wir gehen“, erzählt Olena Mandziuk. Sie, ihre Mutter, ihre Schwiegermutter und ihr 14-jähriger Bruder Anatolii flohen im März aus der Westukraine nach Deutschland. „Als wir gegangen sind, haben wir in unserer Stadt zwar noch nicht so viel vom Krieg mitbekommen, aber mein Vater ist beim Militär und in unserer Stadt sind drei Militärstützpunkte. Für ihn war klar, wir sollten das Land verlassen“, berichtet die junge Frau. Kaum waren sie unterwegs, sei einer der Stützpunkte zerbombt worden.
Von der Ukraine sind die vier per Bus nach Polen gefahren und von dort mit einem Ukrainer, der in Polen lebt, im Minibus nach Deutschland bis zum Bullenhof der Familie Felix. Zweieinhalb Tage waren sie unterwegs. „Ich habe in der Ukraine Agrarwissenschaften studiert und 2018 ein Praktikum hier auf dem Hof gemacht. Seither besteht unsere Familienfreundschaft. Als der Krieg begann, bekamen wir einen Anruf und die Einladung von Familie Felix“, erklärt die 22-Jährige, weshalb sie gerade im Deggenhausertal landeten.

Sie sei überwältigt gewesen, sagt ihre Mutter Nataliia. „Der Empfang war sehr herzlich und ich weinte, als wir hier ankamen und in Sicherheit waren“, beschreibt sie die erste Zeit. Am Anfang hätten sie immer Angst gehabt, wenn Flugzeuge über ihnen flogen. „Ich habe eine App auf meinem Handy, die Alarm auslöst, wenn Luftangriffe gemeldet werden“, erzählt ihre Tochter, „in der ersten Nacht ging sie los, weil ich vergessen hatte, sie zu deaktivieren. Ich schreckte hoch und musste erst einmal realisieren, dass alles gut ist.“ Olena ist schwanger und kämpfte in den ersten Wochen mit Schwangerschaftsbeschwerden. „Jetzt bin ich gut versorgt, Familie Felix hat mir geholfen, eine Hebamme und eine Ärztin zu finden“, erzählt sie.
Ihre Männer würden nie zugeben, dass sie Angst haben
Ihr Vater, ihr Schwiegerpapa, ihr Ehemann und dessen Bruder mussten zurück bleiben. Im Moment gehe es ihnen soweit gut. „Sie würden aber nie zugeben, dass sie Angst haben“, sagt Olena. Wenn möglich, würden sie ihrer Arbeit nachgehen, aber der Krieg sei einfach überall im Alltag präsent: Sperrstunden, Benzinknappheit, Preissteigerungen, Arbeitslosigkeit und Flüchtende aus anderen Teilen des Landes, die in Schulen einquartiert sind, prägten das Alltagbild zuhause.
„Die Menschen reißen sich zusammen und versuchen so gut es geht, den Alltag zu leben“, erzählt Nataliia. Kontakt mit den Männern halten sie übers Internet, aber außer ihnen moralische Unterstützung zu geben, könnten sie für sie wenig tun. „Meine Kinder Olena und Anatolii halten mich aufrecht. Und wir freuen uns alle auf das Baby“, sagt Nataliia. Es sei schön, zu wissen, dass der kleine Junge in Sicherheit auf die Welt kommen könne. Während sie das sagt, stehen Nataliia Tränen in den Augen.
Dass ihr Mann die Schwangerschaft nicht miterleben kann, darüber ist Olena sehr traurig. Sie hatten Ende Februar geheiratet, wenige Tage nachdem der Krieg begann. „Mein Vater wurde für eine Stunde vom Militär freigestellt, so konnte er an der Trauung teilnehmen. Während der Zeremonie hat die Sirene geheult und wir haben den Priester gefragt, ob wir in den Keller sollen“, erzählt die 22-Jährige. Der Pfarrer habe verneint und darauf vertraut, dass Gott es nicht zulassen würde, dass die Kirche zerstört würde. Die Trauung fand stand. Zeitgleich seien im hinteren Teil der Kirche Spendenessen an Soldaten ausgegeben worden. Keine zwei Wochen später waren sie dann schon auf der Flucht.

Wohl auf dem Bullenhof fühlt sich auch Sohn Anatolii. „Ich helfe ein wenig auf dem Hof, am liebsten auf dem Traktor“, sagt er und lacht. Er nimmt am ukrainischen Onlineunterricht zuhause teil und hält telefonisch Kontakt zu seinen Freunden, von denen die meisten in Polen sind. „Und ich fahre gerne Fahrrad und habe hier auch ein Rad geschenkt bekommen“, freut sich der 14-Jährige. Warum er nicht hier in die Schule gehe, um Deutsch zu lernen und andere Jugendliche kennenzulernen? Anatolii schaut etwas verlegen zu seiner Mutter. „Er ist ein schüchterner Junge, auch zuhause ist er sehr häuslich und hier besonders unsicher, wegen der Sprache. Er sagt, er helfe lieber auf dem Hof“, erklärt Nataliia.

Sie selbst kocht, wäscht und hilft ebenfalls auf dem Hof. Am liebsten füttert sie die Kälbchen. „Ich muss mich beschäftigen, um nicht zu viel nachzudenken“, sagt sie. Sobald sie alle Papiere zusammen habe, habe sie Aussicht auf eine Arbeit in einem Hotel in der Nähe. Dort arbeitet auch bereits Olenas Schwiegermutter.
Große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung
Über eine WhatsApp-Gruppe sind sie mit anderen ukrainischen Flüchtlingen im Deggenhausertal vernetzt. Und im Familientreff in Wittenhofen treffen sie sich manchmal. Dann leiht Hubert Felix ihnen das Auto und Nataliia fährt. Schnitzel und Würstchen hätten sie schon gegessen, das sei lecker und für die Familie Felix haben sie ukrainischen Borschtsch gekocht.

„Als der Krieg begann, war für uns auf dem Hof sofort klar, dass wir die Familie hierher einladen würden“, sagt Landwirt Felix. „So konnten wir ihnen helfen und sie helfen mir ein wenig auf dem Hof. Es ist also gut für alle.“ Auch Svetlana Blumenthal hilft gerne. Die gebürtige Ukrainerin wohnt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Limpach und lebt schon seit 20 Jahren in Deutschland. Auch für sie war sofort klar, dass sie ihren Landsleuten helfen würde. „Seit Kriegsbeginn engagiere ich mich für Geflüchtete und helfe, wo es geht“, sagt sie. Sie half als Dolmetscherin auch der Reporterin und den geflüchteten Mandziuks beim Gespräch.