Es ist kurz vor sieben. An der Bushaltestelle Immenstaad-West sammeln sich aus unterschiedlichen Richtungen Kinder und Jugendliche. Manche von ihnen kommen zu Fuß aus Richtung Haltestelle Kirche. Denn wer hier öfter fährt, weiß: An der Haltestelle West hat man noch Chancen auf einen Sitzplatz. Pünktlich fährt die Seelinie 7395 die Haltestelle an. Schon von Weitem ist klar: Der Bus ist voll, fast alle Sitzplätze sind belegt. Ein Teil der Wartenden steigt dennoch ein, von einem Verstärkerbus ist nämlich noch nichts zu sehen.

Auch ich bin kurz unsicher, ob ich ein langes Warten in der Kälte riskieren soll. Was, wenn der Verstärkerbus ausfällt? In der Bahn- oder Bodo-App finde ich nämlich keine Möglichkeit, mir das tatsächliche Fahren von Verstärkerbussen anzeigen zu lassen oder ihre Verspätungen einzusehen. Dann kommt er aber tatsächlich, der zweite Bus mit der 7395 auf der Anzeigetafel.
Nach und nach steigen immer mehr Fahrgäste zu
Viele Sitzplätze sind hier ebenfalls bereits belegt. Abstand halten ist unmöglich: Bis zu Airbus gibt es keine Möglichkeit, allein in einer Zweierreihe zu sitzen. Durch die dort Aussteigenden entsteht kurzzeitig etwas Platz im Bus, der in Fischbach rasch wieder gefüllt wird: Die ersten Schüler bleiben in den Gängen stehen. Ein Blick nach draußen zeigt: In den etwas früher fahrenden Bus derselben Linie steigen auch noch an jeder Haltestelle weitere Schüler ein. Auch in den Verstärkerbus steigen weiter Fahrgäste zu. „Komm, fahr weiter, hier ist voll“, kommentiert ein Fahrgast mehrfach; eine kleine Beschwörungsformel, um den Bus davon abzuhalten, noch mehr Fahrgäste zusteigen zu lassen.
Die 14-jährige Ana Carolina aus Immenstaad erklärt: „Viele wissen gar nicht, dass der Verstärkerbus existiert oder haben Angst, dass er ausfällt. Deshalb steigen sie in den ersten Bus.“ Im Verstärkerbus selbst bekomme sie in Immenstaad meist noch einen Sitzplatz, der sei im Vergleich zum vorausfahrenden Bus eigentlich immer „einigermaßen leer“ und werde dann erst in Fischbach voller.

An der Haltestelle gegenüber der St.-Elisabeth-Realschule leert sich der Bus deutlich, am Stadtbahnhof strömen die übrigen Fahrgäste nach draußen. Weitere Linien fahren ein, mal reguläre Linien, mal Verstärker- und mal Schulbuslinien, abwechselnd Stadt- und Regionalverkehr. Die meisten Busse sind voll, die große Mehrheit der Fahrgäste sind Schüler, erkennbar an den Schulranzen. Besonders dicht drängen sich diejenigen, die am Stadtbahnhof noch weiterfahren müssen und hier in einen bereits vollen Bus umsteigen. Gegen 7.40 Uhr herrscht dann auf einmal Stille am Bahnhof. Es gibt keine Ansammlungen mehr, keine Pulks, keine Warteschlangen beim Einsteigen. Nur die Buslinie 9, die von hier zur St.-Elisabeth-Realschule fährt, ist ein letztes Mal überfüllt.
Michaela Röttger hat sich mit der weiterhin bestehende Problematik von zu vollen Bussen, speziell für Schüler aus Richtung Immenstaad, an den SÜDKURIER gewandt. Die zweifache Mutter betont: „Ich kann das nicht nachvollziehen. Nicht, weil ich irgendwie überbesorgt bin, sondern weil das nicht zusammenpasst. In meinem Beruf wird auf Abstand geachtet und sogar die Bahn achtet seit diesem Monat verstärkt auf Abstand und ermöglicht etwa in einem Abteil nur die Reservierung von zwei von sechs Plätzen.“ Im Bus hingegen rissen die Maßnahmen dann einfach ab.
Viele Eltern fahren Kinder inzwischen mit dem Auto zur Schule
Ihre beiden Töchter, die das Karl-Maybach-Gymnasium in Friedrichshafen besuchen, gehören zu denen, die morgens in den Sieben-Uhr-Bus steigen: „Sie gehen in die neunte Klasse und die K1, sind also beide nicht volljährig und nicht motorisiert.“ Manchmal nehme sie die beiden mit dem Auto mit, da sie selbst in Friedrichshafen arbeite. Auch da sieht sie ein Problem: „Morgens steppt vor dem Gymnasium der Bär. Viele Eltern fahren ihre Kinder direkt vor die Tür, obwohl die Schule über den Elternbeirat schon mehrfach darum gebeten hat, das nicht zu tun.“ Die Problematik sei nicht neu, habe sich aber durch die Corona-Pandemie verschärft. Die Busse, die oft so voll wie in Zeiten vor der Pandemie seien, stellten nun einfach zusätzlich ein Infektionsrisiko dar und lieferten einen Grund mehr, auf das Auto zu wechseln.

Während die Problematik grundsätzlich alle Personengruppen betreffe, die morgens mit dem Bus fahren, sieht sie bei den Schülern auch aufgrund ihrer Lebenssituation eine besondere Schwierigkeit. Zum einen arbeiteten viele Berufsgruppen im Homeoffice. Sie selbst ist im Kulturbereich tätig und aktuell vom Shutdown durch die aktuelle Corona-Verordnung betroffen: „Die Schüler müssen allerdings ihr Programm durchziehen.“
Zu spät zur Schule zu kommen ist keine Option
Doch noch einen weiteren Unterschied sieht sie als wesentlich an. „Als Erwachsener ist man für sich selbst verantwortlich. Ist ein Bus zu voll, steigt man nicht ein und wartet auf den nächsten. Dass man dann etwas später zur Arbeit kommt, kann man erklären.“ Schüler hingegen, gerade die jüngeren, würden sich so etwas nicht trauen: „Da ist der Druck viel zu groß, gerade auch bei den Fünftklässlern.“ Zudem würden, so die Erfahrung ihrer beiden Töchter, derzeit viele Klausuren bereits in der ersten Stunde geschrieben: „Da riskiert man nicht, zu spät zu kommen.“

Zur Einordnung: Die Buslinie 7395 fährt um 7 Uhr in Immenstaad-West ab und kommt um 7.20 Uhr am Stadtbahnhof an. Von dort aus sind es noch wenige Gehminuten zur Schule. Der reguläre Folgebus würde erst um 7.40 Uhr, also gleichzeitig mit dem Unterrichtsbeginn, am Stadtbahnhof eintreffen. Einen Bus früher zu nehmen würde bedeuten, bereits um 6.38 Uhr abzufahren und um 7 Uhr anzukommen, also eine halbe Stunde auf den Unterrichtsbeginn warten zu müssen.
Michaela Röttger hofft, dass es bald Lösungen für die Bussituation gibt. Den aktuellen Einsatz von Verstärkerbussen hält sie für ungenügend: „Zumindest zwischen Immenstaad und Friedrichshafen fährt nicht mehr als der übliche Verstärker, der auch vor Corona schon zu den Stoßzeiten eingesetzt wurde.“ Weitere Busse und das Einholen regelmäßiger Rückmeldungen zum Erfolg der Maßnahmen würde sie sich wünschen: „Eventuell wären ja auch tatsächlich Schulbusse möglich. Dann könnte man auch auf dem Schulweg sicherstellen, dass die Schüler unter sich bleiben und so Kontakte reduzieren.“ Die RAB hat sich auf Anfrage des SÜDKURIER bislang nicht geäußert.