Der Bodenseekreis ist noch eine heile Welt? Von wegen. Auch hier werden Jugendliche und junge Heranwachsende (18- bis 20-Jährige) zu Straftätern. Das zeigt der Jugendkriminalitätsbericht 2022, den Polizeipräsident Uwe Stürmer gemeinsam mit Alexandra Häßler vom Jugendamt am Dienstag, 19. September im Jugendhilfeausschuss des Bodenseekreises vorstellt. Darin sind Zahlen enthalten, die aufhorchen lassen.
Diebstähle, Körperverletzungen, Drogendelikte
Dem Bericht zufolge wurden im Vorjahr insgesamt 2049 Tatvorwürfe registriert. Am häufigsten kommen Diebstähle, Körperverletzungen und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz vor. „Alle drei Deliktarten zeigen eine Steigerung: Während die Körperverletzungsdelikte und die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz um etwa sechs Prozent angestiegen sind, verzeichnen die Diebstähle aller Art einen enormen Anstieg um 63 Prozent“, heißt es darin. Deutliche Steigerungen in den Zahlen gebe es außerdem bei der Bedrohung, Sachbeschädigung und Missbrauch von Ausweisen.

Werden wirklich immer mehr Jugendliche kriminell?
Ein Blick in den Sicherheitsbericht 2022 des Polizeipräsidiums Ravensburg zeigt: Auch wenn es seit 2021 einen enormen Anstieg bei der Jugendkriminalität gibt, bewegen sich die Fallzahlen im Zehn-Jahres-Vergleich auf einem recht gleichbleibenden Niveau. „Wir haben durch die Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 deutliche Ausreißer nach unten, das muss man bei der Beurteilung der Zahlen unbedingt berücksichtigen“, sagt Polizeisprecher Oliver Weißflog. Fakt ist: Laut Statistik sind die Jugendlichen und jungen Heranwachsenden (18- bis 20-Jährige) im Bereich des Polizeipräsidiums Ravensburg im Jahr 2022 nicht krimineller als noch 2013. 2013 wurden 3102 Straftaten registriert, 2022 waren es 3038. „Im bundesweiten Vergleich sind das eher niedrige Zahlen“, erläutert Weißflog, „das liegt unter anderem an unserer eher ländlichen Lage und dem Wohlstand.“ Gibt es also Entwarnung?
Viele junge Täter sind noch Kinder
Die Statistik der Jugendgerichtshilfe zeigt, dass es im Vorjahr lediglich in 244 Fällen zu einer Anklage kam. 2021 waren es noch 256. Und das, obwohl es 2022 doch mehr Straftaten gab? Wie passt das zusammen? Hier liefert der Sicherheitsbericht der Polizei eine mögliche Antwort, die viele erschrecken dürfte: Viele junge Täter sind 2022 noch keine 13 Jahre alt gewesen – und damit überhaupt nicht strafmündig. Während es 2021 noch 380 tatverdächtige Kinder gab, sind es 2022 bereits 535. „Ob das ein einmaliger Ausrutscher war, etwa als Auswirkungen der Pandemie mit Schulschließungen, oder zum Trend wird, sehen wir erst in dem Bericht für 2023, der kommendes Frühjahr erscheint“, erklärt Weißflog.
Die Zunahme der Kinderkriminalität ist ein Thema, das die Polizei ernst, aber nicht panisch beobachtet. „Es zeigt uns, wie wichtig es ist, auf Prävention zu setzen“, sagt Weißflog und verweist auf polizeiliche Programme in Schulen. Oder das Projekt „Respekt ist ein Bumerang“, in dem es um Gewalt gegen Polizeibeamte geht. Polizeipräsident Stürmer hat das Thema Jugendkriminalität längst zur Chefsache gemacht. Sein Ziel: schnelle und zielgerichtete Sanktionen. Deshalb will er in Ravensburg ein Haus des Jugendrechts einrichten, eine Institution speziell für straffällige Jugendliche.
Die meisten Verfahren werden eingestellt
Die Tatsache, dass nicht nur Jugendliche kriminell werden, sondern auch immer mehr Kinder, die vor Gericht gar nicht belangt werden können, reicht als alleinige Erklärung für weniger Gerichtsverfahren aber nicht aus. Dahinter stecken noch weitere Gründe. Zum einen gab es mehr sogenannte Diversionsverfahren, also außergerichtliche Einigungen. „Auf der anderen Seite hat die Justiz den größten Anteil der Verfahren mit oder ohne Auflagen eingestellt“, heißt es im Bericht. Und drittens habe sich die Sanktionsmöglichkeit über eine Ordnungswidrigkeit gegenüber dem Vorjahr fast halbiert. Wir erinnern uns: Es gab Zeiten, da wurden Jugendliche straffällig, weil sie gegen Quarantänen verstoßen haben oder bekamen Ordnungsgelder, weil sie sich in Gruppen getroffen haben.
Kinder und Jugendliche haben soziale Ängste entwickelt
Was allerdings auch nach der Pandemie übrig blieb, ist das Thema Schulverweigerung: Seit dem Homeschooling ist das Schulschwänzen auf hohem Niveau. „Die Ursachen haben sich vom klassischen Schwänzen hin zu sozialen Ängsten verschoben, stark beeinflusst durch die Pandemie und ihren teils sehr einschränkenden Maßnahmen“, heißt es im Bericht der Jugendhilfe. In ihrer Beratung gehe es regelmäßig um Themen wie Zukunftsängste, Straftatenbegehung aus Langeweile oder gestiegener Alkohol- und Drogenkonsum.