Benedikt Otte blättert durch ein mehrseitiges Dokument. Es ist eine Art Auflistung verpasster Chancen. „Hier sind Ansiedlungsanfragen aufgelistet“, erläutert der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Bodenseekreis. Seine Aufgabe ist es, bestehende und künftige Betriebe der Region zu begleiten. Ihnen zu helfen, Geld, Innovation und Arbeitsplätze hierher zu bringen. Doch große Neuansiedlungen hat es in der Vergangenheit nicht gegeben.
„Alles Zukunft!“
„Ich lese: Batteriezentrum, Datencenter, biegbare Solarpanele“, sagt Otte, während er die Anfragen vergangener Jahre durchgeht. „Merken Sie was?“, fragt er dann. „Alles Zukunft!“ Tatsächlich wirken viele der über 40 Einträge zusammengenommen wie eine Liste von Markttrends, denen eine rosige Zukunft bevorsteht: Innovationen, die gute Chancen auf Millionengewinne haben. Nur ein Eintrag auf Ottes Liste hätte wohl nicht besonders lange überlebt: eine Schutzmasken-Produktion im Corona-April 2020. Hier blieb Asien der wichtigste Markt.
Aber warum wurde aus all den anderen Anfragen nichts? Ein zentraler Grund: Es fehlt an Platz. Viele Betriebe suchen nach riesigen Arealen, die es in der Region nicht gibt. Eine CO2-neutrale Produktion für Batteriezellen etwa hätte 50 Hektar benötigt. 2500 neue Arbeitsplätze hätten entstehen können, es ging um eine Investition von 2 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das große ZF-Areal entlang der Ehlersstraße in Friedrichshafen belegt nicht einmal die Hälfte dieser Fläche.

Doch es gibt auch Betriebe, die kleinere Standorte suchen: Ein Wasserstoff-Produzent würde nur 2,6 Hektar benötigen, eine Recyclinganlage für Batterien und Photovoltaik-Panele einen Hektar. Aber auch diese Interessenten entschieden sich letztlich nicht für den Bodensee als Standort. Denn neben dem begrenzten Platzangebot gibt es noch weitere Gründe, warum sich die Region letztlich als nicht allzu attraktiv herausstellt. Beispiel Friedrichshafen: Es gibt zwar einen Flughafen, aber keinen direkten Autobahn-Anschluss, zudem hält kein ICE. Viel wichtiger ist aber aus Benedikt Ottes Sicht ein anderes Thema.
Das Problem mit den Erneuerbaren
„Die Beschaffung von regenerativem Strom ist für viele Betriebe sehr relevant.“ Grüne Energie spiele inzwischen eine wichtige Rolle in den Nachhaltigkeitsbilanzen vieler Konzerne. Doch große Windanlagen und Offshore-Parks stehen nicht am Bodensee – sondern im Norden Deutschlands und vor den dortigen Küsten. Hinzu kommt: Der Bau großer Stromtrassen, die künftig Energie von Nord nach Süd leiten sollen, liegt weit hinter dem Zeitplan. Thekla Walker, Baden-Württembergs Umwelt- und Energieministerin, monierte vor einiger Zeit im SÜDKURIER: „Wenn wir den Netzausbau nicht gelöst kriegen, werden wir die Energiewende nicht schaffen und wir werden in ein Problem mit der Versorgungssicherheit hineinlaufen.“ Zuversicht klingt anders.

Doch welche Optionen bleiben Benedikt Otte nun, um für den Bodenseekreis zu werben? „Zunächst leben wir grundsätzlich in einer sehr attraktiven Region“, ist er überzeugt. Der Dreiklang aus Wirtschaft, Tourismus und Landwirtschaft sei ein absolutes Argument für die Region – und für mögliche Beschäftigte. Doch auch Wohnraum ist knapp.
Regionalplan als Chance?
Mit Interesse blickt Otte daher auf die Debatte über den Regionalplan Bodensee-Oberschwaben. Das Regelwerk legt unter anderem fest, wo künftig Flächen für Industrie und Gewerbe entstehen könnten – und auch Areale für Häuser. In seiner aktuellen Fassung sind für den Bodenseekreis in Summe 118 Hektar Fläche für Gewerbe vorgesehen, auf denen in den nächsten 20 Jahren Betriebe ansiedeln könnten. Für Wohnbau wird derzeit mit 320 Hektar an Vorranggebieten kalkuliert – zusammengenommen für die Landkreise Bodenseekreis, Sigmaringen und Ravensburg.
Noch allerdings ist der Plan nicht abgesegnet – obwohl das eigentlich schon im Sommer 2022 hätte geschehen sollen. Das dafür zuständige Ministerium für Landesentwicklung verweist auf ein komplexes Verfahren. Etwa von Umweltschützern kommt viel Widerspruch: Sie befürchten Flächenfraß und das Verpassen der Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung.
Ob nun im künftigen Regionalplan zu viel oder zu wenig Fläche steht, auf diese Diskussion möchte sich Benedikt Otte nicht einlassen. Vielmehr betont er, wie seine Organisation bereits heute die regionale Wirtschaft stärkt: „Wir sorgen dafür, dass sich die Unternehmen, die hier sind, weiterentwickeln können.“ Das geschehe beim Erfahrungsaustausch auf Tagungen, durch das Immobilienportal der Wirtschaftsförderung – und auch gemeinsam mit der Politik. Klar sei: Es gebe schon heute viele innovative Betriebe am Bodensee. „Und bitte vergessen Sie nicht, dass nicht nur große Unternehmen wichtig für die Wirtschaft sind.“ Im Kreis gebe es 14.000, teils kleine Betriebe. „Die vergisst man manchmal in der Diskussion.“