Der Ravensburger Polizeipräsident Uwe Stürmer spricht einfühlsam und verständnisvoll von jungen Menschen. „Ich will Straftaten nicht bagatellisieren, aber es ist durchaus normal, in der Jugend seine Grenzen auszutesten.“ Sei es im Rahmen von Mutproben oder mangelnder Aufmerksamkeit im Elternhaus – es handele sich bei Jugendkriminalität häufig nur um kurze Episoden. Damit die Täter nicht in die Berufskriminalität abrutschen, brauche es von Seiten des Staates allerdings schnelle und zielgerichtete Sanktionen, sagt Stürmer. In Ravensburg will er daher ein Haus des Jugendrechts, eine Institution speziell für straffällige Jugendliche, einrichten.

Mit Blick auf den Sicherheitsbericht 2022, den das Polizeipräsidium kürzlich vorlegte, erscheint das durchaus sinnvoll. Die Zahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren in den Landkreisen Ravensburg, Sigmaringen und Bodenseekreis war im vergangenen Jahr sprunghaft gestiegen. Gerade Ladendiebstahl war demnach 2022 ein großes Thema, selbst bei unter 14-Jährigen. Es sei natürlich schwer die Gründe dafür zu ermitteln, aber Uwe Stürmer kann sich einen Zusammenhang mit der Inflation durchaus vorstellen.

Im Sicherheitsbericht 2022 war ein sprunghafter Anstieg von Jugendkriminalität im Vergleich zum Vorjahr angezeigt.
Im Sicherheitsbericht 2022 war ein sprunghafter Anstieg von Jugendkriminalität im Vergleich zum Vorjahr angezeigt. | Bild: Simon Conrads

Das Ende der Pandemie könne ebenso eine Rolle gespielt haben, denn: „Kriminalität folgt Tatgelegenheiten“, sagt der Polizeipräsident. Während der Hochphase der Pandemie waren die Menschen vor allem zuhause und konnten schlecht Straftaten begehen. Mit dem Wegfallen der Schutzmaßnahmen gab es wieder mehr Möglichkeiten dazu. Der Vorstoß zum Haus des Jugendrechts fällt also in eine geeignete Zeit – Uwe Stürmer hat sich die Einrichtung aber schon vorher gewünscht. Denn es dauere teilweise schlicht zu lange, bis auf jugendliche Straftäter reagiert wird.

Was ein Haus des Jugendrechts ändern könnte

Stürmer erklärt, wie die Bearbeitung von Jugendkriminalität bislang abläuft: Wird ein Jugendlicher bei einer Straftat erwischt, schreibt die Polizei eine Anzeige. Die wird anschließend an einen Jugendstaatsanwalt oder eine Jugendstaatsanwältin geschickt, wo sie zunächst auf einem Stapel lande. Unter Umständen ermittele die Polizei nach, spreche mit dem Täter und den Eltern und sammele Beweise. Die Staatsanwaltschaft soll auf Basis des Jugendgerichtsgesetzes über die angemessene Reaktion auf die Straftat entscheiden.

Häufig werden die Jugendämter in Form der Jugendhilfe hinzugezogen. „Die Jugendhilfe schaut, in welchen familiären Verhältnissen ein Jugendlicher unterwegs ist und ob die Eltern in der Lage sind, Grenzen zu setzen“, erklärt Stürmer. Und die Jugendhilfe gibt Empfehlungen zum Ausmaß der Sanktionen ab. Die von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagene Bestrafung muss anschließend vom Jugendgericht bestätigt werden. Aber die Abläufe dauern: „Da wird viel verschickt, das kostet einfach Zeit.“

Kurze Arbeitswege, schnelle Konsequenzen

Das könnte sich mit einem Haus des Jugendrechts ändern. Die drei Institutionen Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendhilfe säßen darin Tür an Tür. Kurze Arbeitswege, schnelle Konsequenzen, weniger Jugendkriminalität – so die Rechnung. In das Haus des Jugendrechts würde ein jugendlicher Täter gebracht und zunächst der Polizei, genauer einem Jugendsachbearbeiter oder einer Jugendsachbearbeiterin, vorgesetzt, sagt Uwe Stürmer. Dabei handelt es sich um speziell ausgebildete Polizeibeamte, die zwar keine Sozialarbeiter wären, die aber durchaus Beziehungsarbeit mit den Jugendlichen leisten würden. Straftaten der selben Täter landen bei den selben Jugendsachbearbeitern. „Der Vorteil ist, dass die ihre Pappenheimer kennen.“ Viele Jugendsachbearbeiter hätten zu den Tätern dadurch eine gute Beziehung. „Wenn die Jugendlichen merken, sie sind nicht nur ein Aktenzeichen, hat das schon eine beeindruckende Wirkung.“

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Die Jugendsachbearbeiter würden versuchen, den Fall im Gespräch aufzuklären und die Schuld festzustellen. Anschließend würden die Jugendlichen eine Tür weitergehen, zur Staatsanwaltschaft und – wenn nötig – zur Jugendhilfe. Kein zeitaufwändiges Verschicken von Akten und Dokumenten mehr. Die Spanne von der Tat bis zur Strafe könne so deutlich verkürzt werden. „Die Institutionen arbeiten dann nebeneinander, nicht hintereinander“, sagt Uwe Stürmer. Und: „Je schneller die Sanktion erfolgt und je zielgerichteter sie ist, desto höher ist ihre Qualität.“

Dass die Verfahrensdauer durch ein Haus des Jugendrechts verkürzt werden kann, bestätigt das Polizeipräsidium Konstanz. In dessen Zuständigkeitsgebiet, in Villingen-Schwenningen, wurde im vergangenen Jahr ein Haus des Jugendrechts eingerichtet. „Aufgrund der engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit und den damit verbundenen schnellen Absprachen zwischen Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und der Polizei, konnte bereits in vielen Verfahren eine verkürzte Verfahrensdauer erreicht werden“, schreibt Dieter Popp von der Pressestelle. 294 Straftaten von jungen Menschen seien dort seit September 2022 bearbeitet worden.

Wie wäre das Haus des Jugendrechts besetzt?

Mindestens 10 Jugendsachbearbeiter der Polizei wären im Haus des Jugendrechts eingesetzt. „Also wir stemmen schon den Löwenanteil“, sagt Stürmer. Dazu käme voraussichtlich ein Jugendstaatsanwalt und einige Mitarbeiter der Jugendhilfe. Bis zum Ende des Jahres hofft Stürmer für das Projekt eine Immobilie gefunden zu haben – was nicht so einfach sei. Denn ein Polizeigebäude müsse gesichert werden, da sich darin auch Waffen befinden. Wenn geeignete Räumlichkeiten gefunden werden, könne die engere Zusammenarbeit der Behörden im Jahr 2024 beginnen. Zunächst wäre dabei als Einzugsbereich der Raum Ravensburg, Weingarten und umliegende Gemeinden angedacht. Je nachdem, wie sich das Haus des Jugendrechts entwickelt, wäre aber eine längerfristige Ausweitung denkbar – auch nach Friedrichshafen.