Die Staatsanwaltschaft Ravensburg musste sich 2022 mit deutlich mehr Verfahren beschäftigen als im Vorjahr. Leitender Oberstaatsanwalt Alexander Boger sagte beim Jahrespressegespräch in der Bibliothek der Behörde: „Mal wieder kann ich Ihnen einen Anstieg vermelden.“ Die Zahl der Verfahren stieg um acht Prozent, „was erheblich ist“, wie Boger hervorhob. Der Jurist sprach von einem „Höchststand“. So viele Verfahren habe es noch nie in der Behörde gegeben. Seit Boger die Leitung der Staatsanwaltschaft 2015 übernahm, erlebte er nach eigenen Angaben einen Anstieg von insgesamt 25 Prozent.

Von der Bagatelle bis hin zum Mord

27.247 Eingänge verzeichnete die Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr. 2021 waren es 25.069 Verfahren. Die Rede ist von bekannten Beschuldigten. Für 2022 kann die Behörde 26.488 Erledigungen vermelden. Laut Boger erstreckt sich die Bandbreite von der Bagatellkriminalität bis zum Mord. Zum Jahreswechsel waren noch 3906 Verfahren offen. Daneben liefen etwa 20.000 Verfahren gegen unbekannte Beschuldigte. Hier fallen beispielsweise Internetkriminalität und Einbrüche, aber auch jeder Fahrraddiebstahl durch Unbekannt hinein.

Der Sitz der Staatsanwaltschaft in der Ravensburger Innenstadt.
Der Sitz der Staatsanwaltschaft in der Ravensburger Innenstadt. | Bild: Santini, Jenna

„Wir sind selber ein bisschen überrascht von diesem Anstieg“, erklärte Boger im Beisein der Ersten Staatsanwältin Tanja Vobiller, Oberstaatsanwältin Christine Weiss und des Oberstaatsanwalts Wolfgang Angster. Zu entnehmen war er auch schon der Kriminalitätsstatistik, die das Polizeipräsidium Ravensburg präsentiert hatte. Die Gründe sind nicht durchweg „besorgniserregend“, sagte Boger. Während der Pandemie kam es schlicht zu weniger Schlägereien oder Ladendiebstählen. 2022 nahmen sie wieder zu. Gesetzliche Änderungen, etwa im Bereich Sexualdelikte, führten dazu, dass Verhalten strafbar ist, das es zuvor nicht war. 2016 wurde sexuelle Belästigung ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Auch herrsche ein anderes Anzeigeverhalten als früher, sagte Boger. Menschen zeigen Taten häufiger bei der Polizei an. Zudem gibt es mehr von ihnen. Boger: „Unsere Region boomt.“

Mehr Betrügereien und Pornografie

Ferner erschließen sich die Täter neue Kriminalitätsfelder. Insbesondere Betrügereien und der Umgang mit pornografischen Schriften nehmen zu. „Betrügereien im Internet sind eigentlich der neue Ladendiebstahl“, führte der Leitende Oberstaatsanwalt aus. Konkret hatten folgende Delikte 2022 Konjunktur: Geldwäsche mit 751 Fällen. 2020 waren es 182 Delikte. Boger zufolge gehört hier unter anderem die Person rein, der bei Internetbetrügereien Geld auf ihr Konto überwiesen wird. „Das ist Geldwäsche“, betonte Boger. Die Verbreitung pornografischer Schriften stieg von 202 Delikten im Jahr 2020 auf 425 Delikte im Jahr 2022 an. Oberstaatsanwalt Wolfgang Angster sagte, dass der Bereich inzwischen von zwei Kollegen bearbeitet wird, „weil wir so viele Verfahren haben“. Als Taträume nannte der Jurist Chats und WhatsApp-Gruppen.

Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung lagen 2022 bei 394 Fällen. Zwei Jahre zuvor waren es 356 Delikte. Einen Anstieg gab es auch bei den politischen Straftaten zu verzeichnen. 2022: 290 Fälle und 2020: 201 Fälle. An dieser Stelle lohnt ein Blick in das Jahr 2018. Damals waren es gerade 53 politische Straftaten. In der Pandemie stieg die Zahl dieser Vorkommnisse an. Gemeint sind beispielsweise Verstöße gegen das Versammlungsrecht, die bei Montagsdemonstrationen oder von Klimaaktivisten begangen wurden. Diese Tatbestände haben sich derweil wieder eingependelt. Bei den Klimaaktivisten sei zum Beispiel nur noch die örtliche Szene im Altdorfer Wald aktiv. „Sie melden ihre Veranstaltungen inzwischen vorbildlich an“, sagte Alexander Boger.

Die fünf häufigsten Straftaten 2022

Die fünf häufigsten Straftaten waren Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (2361), Diebstahl/Unterschlagung (2550), vorsätzliche Körperverletzung (2869), Betrug/Untreue (4215) sowie Verkehrsstrafsachen (5404), wie der Statistik der Staatsanwaltschaft zu entnehmen ist. Boger nimmt an, dass die geplante Cannabis-Legalisierung Einfluss auf den Bereich Betäubungsmittel haben wird. „Das sind viele Fälle, die da nicht mehr dabei sein werden“, erklärte der Jurist auf Nachfrage.

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Kapitaldelikte, also Mord, Totschlag oder Versuche, stehen 27 im Jahresbericht 2022. Zur Einordnung: 2021 waren es 32 Delikte, 50 im Jahr 2020 und 26 im Vorjahr 2019. Die 27 Kapitaldelikte 2022 entsprechen Bogers Ausführungen nach dem Mittel. Besonders beschäftigt hat die Staatsanwälte etwa der Mord in der Asylbewerberunterkunft in Kressbronn. Ein 31-Jähriger hatte innerhalb von 14 Minuten vier Frauen und zwei Männer mit einem Küchenmesser angegriffen. Einer der Männer war noch am Tatort seinen Verletzungen erlegen. Gegen die lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung hat die Verteidigung Revision eingelegt, berichtete Oberstaatsanwältin Christine Weiss.