Ob Freudenhaus 27, Haus 49, Rotes Haus oder Terminwohnungen im City Tower: Alle 13 Bordelle und ähnliche Etablissements sind auch in Friedrichshafen – wieder – geschlossen. Durch die Corona-Pandemie verbieten sich körpernahe „Dienstleistungen“ von allein, der Staat hat zudem verordnet. Für Prositutierte, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen, ist die Lage seit Monaten überaus prekär.

Über 270 Frauen als Prostituierte im Bodenseekreis registriert

Über 270 Frauen haben sich seit der 2017 eingeführten Registrierungspflicht als Prostituierte im Landratsamt angemeldet. Doch die Dunkelziffer ist viel höher, weiß Florian Nägele. Er leitet das Streetworker-Team des Vereins Arkade, der sich im Auftrag der Stadt Friedrichshafen seit vielen Jahren um Menschen am Rand der Gesellschaft kümmert – seit 2014 explizit auch um die in Sexarbeit. Denn die meisten Frauen erreichen die Sozialarbeiterinnen nur, indem sie die Betroffenen persönlich aufsuchen.

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Aus einer halben Stelle ist in Friedrichshafen inzwischen eine Vollzeitstelle geworden, weil die Stadt den Bedarf für Beratung und Hilfe anerkennt. Zusätzlich steht ein Büro als Anlaufstelle zur Verfügung. „Wir haben hier ideale Voraussetzungen, um den Frauen Unterstützung anzubieten“, freut sich Florian Nägele auch über die gute Zusammenarbeit mit dem Rathaus und der Polizei. Unter den Frauen habe es sich herumgesprochen, dass der Verein bedingungslos hilft – auch wenn sie nicht aussteigen wollen.

„Die meisten Frauen arbeiten notgedrungen übers Internet weiter.“  Florian Nägele, Leiter des Streetworker-Teams der Arkade
„Die meisten Frauen arbeiten notgedrungen übers Internet weiter.“ Florian Nägele, Leiter des Streetworker-Teams der Arkade | Bild: Lena Reiner

Doch mit der Corona-Pandemie und den geschlossenen Bordellen hat sich die Situation verschärft. Viele Frauen seien zwar zurück in ihre Heimatländer gegangen, andere wohnen bei Freiern oder Freunden. Aber viele hängen schlichtweg in der Luft. „Wo es ging, haben wir den Frauen geholfen, Hartz IV oder Geld aus der Corona-Soforthilfe zu beantragen. Aber dafür braucht es einen Wohnsitz, eine Steuer- und Banknummer. Das haben viele nicht“, erklärt Streetworkerin Dörte Christensen die existenzielle Notlage vieler Prostituierter. So habe das Arkade-Team Hilfsangebote der Wohlfahrt, Geldspenden oder Gutscheine vermittelt. „Doch die meisten arbeiten notgedrungen übers Internet weiter.“

Prostitution in Landgemeinden nicht erlaubt, aber praktiziert

Die Frauen zu erreichen, die illegal in der Prostitution arbeiten, sei eine große Herausforderung, sagt Florian Nägele. Durch Corona verstärke sich diese Grauzone. Erlaubt ist Prostitution nur in Städten ab 50 000 Einwohner, also in Friedrichshafen oder Ravensburg. Aber das Geschäft mit käuflichem Sex wird längst nicht mehr nur hier angeboten.

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Das ist ein Grund, warum die Arkade einem Förderaufruf des Ministerium für Soziales und Integration gefolgt ist. Das Land Baden-Württemberg unterstützt mit 1,4 Millionen Euro den Aufbau mobiler Beratungsteams, um sexueller Gewalt zu begegnen. Den Arkade-Antrag haben sowohl das Landratsamt Bodenseekreis als auch die Kreisbehörde in Ravensburg befürwortet, so Nägele – und damit den Handlungsbedarf in der Fläche anerkannt.

Anschubfinanzierung für kreisweite Beratung

Mit der Zusage aus Stuttgart ist das vorerst für ein Jahr finanzierte Projekt im November gestartet – mit zwei Vollzeitstellen. „Damit können wir zwei bis drei zusätzliche Streetworkerinnen speziell für die Beratung der Prostituierten rausschicken“, freut sich Florian Nägele nicht nur über die Verdopplung seines Personals für diesen Job.

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„Das eröffnet uns noch viel mehr Möglichkeiten, unsere Beratung bekannt zu machen und die Frauen bis hin zum Ausstieg zu begleiten“, sagt er. „Solch ein Angebot haben nicht mal Stuttgart oder Freiburg„, ergänzt Dörte Christensen, die eine von vier Sprecherinnen des Landesnetzwerks der Fachberatungsstellen für Prostituierte ist. Schon gar nicht eins, das bei einem freien Träger angesiedelt ist, der über Streetwork in die Beratung für Sexarbeiter eingestiegen ist.

Neue Internetseite vermittelt Erstkontakt

Wie nötig Hilfe und Beratung auch in den Landgemeinden ist, zeige ein zweites großes Dunkelfeld: die Prostitution in Asylunterkünften – „ohne genau sagen zu können, was da alles läuft“, erklärt Florian Nägele. Man sei mit Integrationsbeauftragten schon länger eng im Kontakt, um diese Problematik mit in den Fokus zu nehmen.

Inzwischen hat die Arkade eine Internetseite freigeschaltet, die sich direkt an Menschen in der Sexarbeit richtet und den Kontakt zu den Streetworkern vermittelt, und das in neun Sprachen inklusive Thai und Farsi: www.misa-arkade-ev.de