Der Austausch von Menschen, Waren und Dienstleistungen in Europa ist gewollt. Eine kuriose und ökologisch fragwürdige Begleiterscheinung der europäischen Idee ist dagegen der Austausch von Biomüll, den Oberschwaben und Vorarlberg künftig betreiben. Sogar der Landrat aus dem Kreis Ravensburg, Harald Sievers, kommentiert auf Anfrage unserer Redaktion, dass die Sache aus ökologischer Sicht „nicht zufriedenstellend“ sei.

Landrat Harald Sievers: „Aus Umweltgesichtspunkten ist dieses Ergebnis nicht zufriedenstellend.“
Landrat Harald Sievers: „Aus Umweltgesichtspunkten ist dieses Ergebnis nicht zufriedenstellend.“ | Bild: Landratsamt Ravensburg

Es geht um Biomüll, der im Kreis Ravensburg produziert, aber in Vorarlberg verwertet wird. Und um Biomüll aus Vorarlberg, der ab dem Jahr 2024 im Kreis Ravensburg ankommen wird. Warum behält nicht jeder seinen Müll für sich?

Klappe auf, Klappe zu Video: Hilser, Stefan

EU-Vergaberecht zwar ökonomisch, aber nicht ökologisch

Der Export des Mülls von Oberschwaben nach Österreich und umgekehrt hat etwas mit dem EU-Vergaberecht zu tun. Es besagt, dass der Anbieter, der das wirtschaftlichste Ergebnis vorlegt, automatisch den Zuschlag erhält. Und das war nach einer Ausschreibung des Kreises Ravensburg die Firma Loacker in Vorarlberg.

Im Kreis Ravensburg gibt es eine eigene Entsorgungsfirma, nämlich die Firma AWB (Amtzeller Werk für Biogas). Nur: Sie hat bei der Ausschreibung, die der Kreis Ravensburg für die Verwertung ihrer Jahresmenge von 10.000 Tonnen vorgenommen hat, eben nicht das wirtschaftlichste Angebot vorgelegt.

Mülltourismus von und nach Österreich

Nun wird der Ravensburger Müll also quer durch den Bodenseekreis über die Grenze gekarrt, hunderte Lastwagen-Ladungen voll, bevor er in Vorarlberg in einer Biogasanlage verstromt wird. Das Ergebnis nennt sich dann Ökostrom.

Doch der Mülltourismus geht nicht nur in diese Richtung, sondern auch in die andere. Als Vorarlberg – ebenfalls dem EU-Vergaberecht unterliegend – nach dem günstigsten Anbieter für die Verwertung seines eigenen Bioabfalls suchte, wurde die Behörde nicht etwa bei der in Vorarlberg ansässigen Firma Loacker fündig. Sondern, kaum zu fassen, bei AWB in Amtzell im Landkreis Ravensburg!

Das ist Biomüll aus dem Bodenseekreis. Auch er wird in Amtzell entsorgt.
Das ist Biomüll aus dem Bodenseekreis. Auch er wird in Amtzell entsorgt. | Bild: Hilser, Stefan

Kreistag in Ravensburg fordert eine Lösung

Der Vertrag gilt ab 2024. Ab dann fahren die Müllfahrzeuge aus Vorarlberg hundertfach in Richtung Oberschwaben. Das stinkt zum Himmel, befand man im Kreistag von Ravensburg. Der Vorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion, der frühere Bundestagsabgeordnete Rudolf Bindig, teilte dem SÜDKURIER mit, dass er mit seinem Einwand zunächst auf Unverständnis gestoßen sei. „Das sei eben so nach dem europäischen Vergaberecht, da könne man nichts machen“, habe die Kreisverwaltung geantwortet. Nach Wortmeldungen aus allen Fraktionen habe die Verwaltung dann aber versprochen zu reagieren. Das sei aber nur halbherzig geschehen.

Kreisrat Rudolf Bindig: „Das ist ein Stück aus dem Tollhaus.“
Kreisrat Rudolf Bindig: „Das ist ein Stück aus dem Tollhaus.“ | Bild: Bindig

Und so gab Bindig bereitwillig der ARD-Satire-Sendung „Extra 3“ ein Interview (direkt zur Sendung, ab Minute 20:32). Rudolf Bindig gegenüber dem Fernsehteam: „Das ist ein Stück aus dem Tollhaus.“

Zurück in den Ravensburger Kreistag. Dort machte Rudolf Bindig den Vorschlag, dass die 10.000 Tonnen Ravensburger Biomüll nach Amtzell gebracht und mit 10.000 Tonnen aus Vorarlberg verrechnet werden.

Landratsamt: Biomüll ist nicht gleich Biomüll

Ganz so einfach scheint das nicht zu sein. Das Landratsamt Ravensburg teilte auf Anfrage mit, dass sich die beteiligten Regionen und Unternehmen Anfang März treffen und Möglichkeiten ausloten. Die Sammelsysteme und die Art des Biomülls und damit die Kalkulationsgrundlagen würden sich unterscheiden. „Biomüll ist nicht gleich Biomüll“, betont die Behörde. Und der Preis, der zwischen Landkreis und dem österreichischen Entsorger vereinbart wurde, dürfe sich nicht verändern. Gleichwohl werde dazu angeregt, zur Vermeidung von Leerfahrten den jeweils anderen Müll auf der Rückfahrt mitzunehmen. Ob das gelingt, müssten aber die Firmen untereinander klären.

Für Rudolf Bindig ist das ganze Thema sogar „noch kurioser“, wie er dem SÜDKURIER gegenüber schildert. „Die Ravensburger Sammelfahrzeuge bringen nämlich den Biomüll bereits auf den Hof des Entsorgers in Amtzell, dort wird er auf größere Lastwagen verladen und nach Vorarlberg gefahren, statt gleich in Amtzell verwertet zu werden.“

Wo entsorgt der Bodenseekreis seinen Biomüll?

Nach Informationen des Landratsamtes in Friedrichshafen fielen im Bodenseekreis im Jahr 2022 insgesamt 16.284 Tonnen Biomüll an. Zur Verwertung wird er in die Anlage der AWB in Amtzell gebracht. Im Bodenseekreis gibt es keine derartige Anlage.

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