Das hätte seiner Meinung nach nicht passieren dürfen: Wenn es nach Janaka Kulasinghage geht, dann hätte die Bluttat von Kressbronn nicht geschehen müssen.
Am 26. Juni kam es zu einem tödlichen Messerangriff. Ein 38-jährige Syrer wurde in der Kressbronner Asylunterkunft erstochen. Er ist nach allem, was bisher bekannt wurde, das zufällige Opfer eines 31-jährigen Mannes aus Nigeria, dem jegliche Perspektive für sein weiteres Leben fehlte.
Für Janaka Kulasinghage ist es eine Tat mit Ansage. Denn wie nach dem Tötungsdelikt bekannt wurde, randalierte der 31-Jährige sieben Wochen zuvor schon einmal in der Asylunterkunft und bedrohte seine Mitbewohner mit einem Messer. Nach seiner Verhaftung und einer Begutachtung im Zentrum für Psychiatrie durfte der Nigerianer in die Asylunterkunft zurückkehren – blieb dort aber wohl weitgehend sich selbst überlassen und wurde zur Gefahr für seine Mitbewohner.

Janaka Kulasinghage ist 46 Jahre alt. Er stammt aus Sri Lanka, 2013 beantragte er politisches Asyl. Sein erstes Jahr in Deutschland verbrachte er in der Asylbewerberunterkunft in Kressbronn. Er schildert, wie bedrückend das Leben dort ist.
Wir lassen beide Seiten zu Wort kommen: Mit Janaka Kulasinghage einen Mann, der ein Jahr lang Erfahrungen als Bewohner einer Asylunterkunft des Bodenseekreises sammelte. Und die Ausländerbehörde, die für die Betreuung von rund 550 Personen in insgesamt 20 Unterkünften zuständig ist.
Dass Integration gelingen kann, beweist Janaka Kulasinghage
Kulasinghage ist der lebende Beweis dafür, dass Integration funktionieren kann. Die Realität in der Asylunterkunft in Kressbronn, die er kennenlernte, ist eine andere. Auch er erlebte Fälle von Gewalt. Einmal schlugen zwei Männer mit Holzstöcken aufeinander ein. Er hörte es, weil es im Nachbarzimmer passierte. Er habe dann so oft wie möglich seine eigenes Zimmer zugeschlossen.
Eigentlich, sagt Janaka Kulasinghage, hätte er immer versucht, mit den Leuten ein paar Worte zu wechseln. „Wie geht es Dir, hast Du Arbeit gefunden?“ Wenn es gut ging, habe man auch mal gemeinsam etwas gegessen.
„Du musst aber aufpassen, was Du mit den Leuten redest.“ Angesichts der vielen Nationalitäten, Religionen und kulturellen Unterschiede habe er immer wieder beobachtet, dass es den Leuten am Grundwissen für einen menschlichen Umgang fehlte. „Wie geht man respektvoll miteinander um?“ Das, sagt der 46-Jährige, sei für Deutsche vielleicht eine Selbstverständlichkeit, in der Asylunterkunft gebe es dazu aber ganz verschiedene Vorstellungen.
Aber wer bringt es ihnen bei? Es gebe zwar einen Integrationskurs, Grundgesetz und Menschenrecht stehen dann auf dem Stundenplan. Damit ende der staatlich organisierte Lernprozess schon wieder.
Eine als Übergang gedachte Zeit, die für manche ewig dauert
Taschengeld und eine Unterkunft seien für die ersten Wochen nach der Ankunft gut und wichtig – doch diese ersten Wochen dauerten für manche mehrere Jahre. Manche hätten sich darin gut eingerichtet, andere verzweifelten oder würden aggressiv.
Natürlich steht nicht täglich die nackte Gewalt in den Fluren. Aber die Langeweile, die fehlende Tagesstruktur, so die Schilderungen des 46-Jährigen, führten dazu, dass ein Teil der Bewohner bis in die späte Nacht hin Lärm produziert, während andere schlafen wollen.
Der 46-Jährige nutzte die Zeit im Asylheim, um Deutsch zu lernen. Er knüpfte in der (Kirchen-)Gemeinde Kontakte zu Einheimischen, die ihm zu Freunden und zu Lebensberatern im besten Sinne wurden. Die ihm auch mal den Telefonhörer reichten und die Rechnung für einen Anruf zu seiner Frau und seinen beiden Kindern nach Sri Lanka bezahlten.
„Die Asylleute müssen lernen, wie das Leben in Deutschland geht.“Janaka Kulasinghage, anerkannter Asylbewerber
Schon nach einem Jahr fand Janaka Kulasinghage eine Arbeitsstelle und bestreitet sein Leben seitdem aus eigener Kraft. Sein Ziel war es immer, so bald wie möglich seine Familie nachzuholen.
„Die Asylleute müssen lernen, wie das Leben in Deutschland geht“, fordert der Familienvater aus Sri Lanka. Er würde Deutschkurse massiver einfordern. Aber das wiederum, sagt er, lasse sich nicht verordnen, sondern funktioniere über Motivation. Es brauche eine Perspektive. Die wiederum müssten Teams an Helfern aufzeigen, die sich regelmäßig in den Unterkünften blicken lassen. Er denkt an Sozialarbeiter und Psychologen – und letztlich an Unterstützer, die den Kontakt zwischen Baracke und Dorf herstellen.
Aus dem Verständnis und dem Mitleid heraus, an was es den Leuten mangelt, habe er immer wieder versucht, das Gespräch mit ihnen zu suchen, sie nach ihrem Leben und ihren Träumen zu fragen. Seine Möglichkeiten seien beschränkt gewesen. „Du musst aufpassen, was Du mit ihnen redest. Geht es um die politische Situation, werden sie vielleicht aggressiv. Religiöse Themen könnten schwierig sein. Oder wenn man über ihre Familien zu Hause redet, was löst man dann damit aus? Es gibt viele Wunden, bei jeder Person.“
Er sei sich sicher, dass auch der 31-jährige Mann aus Nigeria, der mutmaßlich einen Mitbewohner erstochen hat, an inneren Verletzungen litt. Kulasinghage fordert deshalb die Ausländerbehörde dazu auf, sich mit den hier gestrandeten Persönlichkeiten intensiver auseinanderzusetzen und sie aus ihrem Trott zu reißen.
Für Kulasinghage endete der Weg glücklich mit Empfang seiner Familie
Er vermute, sagt Kulasinghage nach seinen eigenen Erlebnissen in der Unterkunft damals, dass sich wohl niemand so richtig für den Mann aus Nigeria interessierte. „Es macht mich aber auch traurig, dass viele von den Leuten dort kein Deutsch lernen möchten.“ Von 20 Leuten, die mit ihm damals in der Unterkunft zum Deutschkurs hätten gehen können, seien 15 im Bett geblieben. Die Perspektivlosigkeit nehme ihnen die Motivation, und die mangelnde Motivation verschließe ihnen jede Perspektive. Ein Teufelskreis.
Kulasinghage hat seinen Weg gemeistert. Seit 2020 ist er anerkannter Asylbewerber. Zwei weitere und für ihn frustrierende Jahre dauerte es jedoch, bis seiner Familie ein Visum ausgestellt wurde. Acht Jahre nach seiner Flucht aus Sri Lanka, am 19. Juli 2021, schloss er seine Frau und seine beiden mittlerweile fast erwachsenen Kinder am Flughafen in Frankfurt in den Arm.