Der Tauchgang führt Günther Dietz in eine Tiefe von 60 Metern. Ein achtköpfiges Team mit Ersatztauchern, Technikern, Einsatzleiter und Schiffsführer unterstützen ihn auf seiner Mission. Versorgt wird der Berufstaucher mit einer eigens dafür hergestellten Gasmischung aus Sauerstoff und Stickstoff. Das dazu gemischte Helium sorgt dafür, dass er in dieser lebensbedrohlichen Tiefe leichter atmen kann. Der Tauchgang dient nicht seinem Freizeitvergnügen. Dietz reinigt an einer der zahlreichen Wasserentnahmestellen im Bodensee, wie zum Beispiel vor Friedrichshafen, Lindau, Bregenz oder Überlingen, einen Saugkorb, der unter anderem verhindern soll, dass Verunreinigungen in den Förderstrom der Pumpe gelangen.

Bis in diese Tiefe reichen die Rohre der Wasserwerke, um sauberes Trinkwasser zu gewinnen. Ein etwa 70 Meter langer Schlauch wird vom Kompressor an Deck seines Schiffs hinuntergelassen, wo der Berufstaucher mit einem Druck von 300 bis 400 Bar den Korb von Muscheln reinigt. Eine Aufgabe, die ihn seit ein paar Jahren zunehmend beschäftigt hält.

Eingewanderte Muschel verbreitet sich extrem schnell
„Die Muschel ist der absolute Abschuss“, sagt der Mann, der sich einerseits über die vielen Aufträge für seine Firma Bodensee-Taucher freut, sich andererseits aber Sorgen wegen der extrem schnellen Verbreitung der eingewanderten Quagga-Muschel macht. Ob Tiefe, Wassertemperatur oder Dunkelheit, dieser Muschel sei alles egal, sagt er.

Bis in eine Tiefe von 180 Metern reicht ihr bisher nachgewiesenes Verbreitungsgebiet. Sie setzt sich auf Wasserpflanzen im Uferbereich und selbst auf lebenden Muscheln und Krebsen fest, verstopft unten die Saugkörbe der Pumpen und oben vor dem Wasserwerk die Gitter des Einlassbauwerks.

Die inzwischen jährlich fällige Reinigung ist ein teures Vergnügen. Ein einziger Einsatz schlägt für den Auftraggeber mit 20 000 Euro zu Buche, teilt Dietz mit. 4000 Euro kostet ihn alleine die Gasmischung, die er für die Tauchgänge einer Reinigung braucht.
Die Larven schwimmen in die Aufbereitungsanlage
Wenig begeistert von der Quagga-Muschel ist auch die Bodensee-Wasserversorgung in Sipplingen. Die bei der Vermehrung im Wasser treibenden Larven schwimmen in die Entnahmeleitungen ein und siedeln sich nicht nur dort, sondern auch in den Förder- und Arbeitsanlagen an, wie die Sprecherin berichtet. Diese müssen deshalb seit ein paar Jahren regelmäßig aufwendig gereinigt werden. Überwiegend mechanisch mit hohem Personalaufwand, der sich ab dem kommenden Jahr in einem höheren Wasserpreis niederschlagen wird.
Damit sich die Larven nicht auch noch ins Trinkwasser ausbreiten, werden sie bei der Desinfektion mit Ozon abgetötet, Sandfilter halten die Rückstände fest. Für die Qualität des Trinkwassers ist die Quagga-Muschel also kein Problem, ein umso größeres dafür für die technischen Anlagen.
Die Trinkwasseraufbereitung wird erneuert
Noch können die hunderte von Meter langen Entnahmeleitungen vor Sipplingen innen nicht von Muscheln befreit werden. Bei einem Durchmesser von 1,3 Metern besteht aber keine Gefahr, dass sie verstopfen. Trotzdem sollen neue Rohre verlegt werden, die mit rotierenden Bürsten – Molche genannt – dem Muschelbewuchs ein Ende bereiten.
Da sich die aktuellen Trinkwasseraufbereitungsmethoden der 60 Jahre alten Anlage nur begrenzt für die Entfernung der Quagga-Larven eignen, plant die Bodensee-Wasserversorgung den Bau von Ultrafiltrationsanlagen nahe der Entnahmestelle, teilt die Sprecherin mit. Diese Anlage, auf dem neuesten technischen Stand, wird zukünftig nicht nur die Larven, sondern auch weitere Substanzen, die der Klimawandel erwarten lässt, aus den Aufbereitungsanlagen fernhalten.

Muscheln sollten gezählt werden
Dass das Muschelproblem wieder verschwindet, ist vorerst nicht zu erwarten. Im Gegenteil: 2015 oder 2016, so genau erinnert sich Karl-Heinz Weltz nicht mehr daran, kam das Institut für Seenforschung in Langenargen auf den Vorsitzenden des Tauchsportclubs in Friedrichshafen zu und bat um Unterstützung bei der Beobachtung der neu eingewanderten Quagga-Muschel. Er hat zugesagt. An einer Steilwand bei Meersburg installierten die Taucher eine Messanlage, um die Muscheln zu zählen. Dazu befestigten sie Metallrahmen einer genau definierten Größe in unterschiedlicher Tiefe des Sees. „Nach nicht einmal zwei Jahren“, sagt Weltz, „mussten wir das Projekt beenden“. Die Rahmen waren vollständig überwachsen und nicht mehr erkennbar an der Wand.

Die Schnitzereien der Jura nehmen Schaden
An zwei weiteren Stellen haben die Sporttaucher den Muschelbewuchs bewusst beobachtet. In 40 Metern Tiefe liegt eine alte Seefontäne vor Meersburg im See. Seit vielen Jahren taucht Weltz dort hinunter. Seit zwei Jahren ist die Steinsäule komplett mit Muscheln überzogen.


Das gleiche Problem beobachtet er am Wrack der Jura, das seit mehr als 150 Jahren unbeschadet vor Bottighofen liegt. Seit Kurzem sind die schönen Holzschnitzereien des Schaufelraddampfers dicht bewachsen und werden nach Ansicht von Karl-Hein Weltz bleibende Schäden davontragen.


Die Weiße Flotte hat noch kein Problem
Auch schwimmende Yachten bleiben nicht verschont. Innerhalb einer Saison sei ein Unterwasserschiff ohne den schützenden Anstrich dicht bewachsen, berichtet Kurt Trinkl, Taucher bei Ultramarin in Kressbronn-Gohren. Mit einem normalen Hochdruckreiniger lassen sich die ungebetenen Gäste nicht entfernen. Sie müssen mühsam abgekratzt werden. Noch profitiert die Flotte der Bodensee-Schiffsbetriebe von ihrem effizienten Unterwasseranstrich. Dort sind bislang keine Probleme mit der Muschel aufgetreten. Jedoch beobachte man die Situation genau, wie ein Sprecher sagt.
Es kommt zu Nahrungskonkurrenz im See
Doch welchen Schaden richtet der Einwanderer am fragilen Ökosystem des Bodensees an? „Die Quagga-Muschel ist ein sogenannter Filtrierer“, erklärt Thorsten Rennebarth. Damit stehe sie in Nahrungskonkurrenz zu vielen anderen Arten im See, beispielsweise auch zu vielen Zooplankton-Organismen, die wiederum vielen Fischen als Nahrung dienen. „Bei der großen Zahl an Quagga-Muscheln ist zu erwarten, dass es wegen der Nahrungskonkurrenz zu Verschiebungen im Nahrungsnetz des Sees kommt“, sagt der Mitarbeiter des Instituts für Seenforschung. Wie groß dieser Einfluss ist und welche Tiere im See stärker oder weniger stark betroffen sind, sei leider noch nicht genau bekannt.