4053,50 Euro soll Klimaaktivist Samuel Bosch an die Stadt Ravensburg zahlen. In einem Bescheid vom 18. Februar stellt ihm die Stadt die Kosten für die Räumung des Baumhauses Ende Dezember vergangenen Jahres in Rechnung. In der Begründung heißt es: Boschs Aktion, besonders ein Transparent über einer Ampelanlage, habe die Verkehrssicherheit gefährdet. Durch seine Weigerung, die Aktion zu beenden, habe er die Maßnahmen von Polizei und Feuerwehr veranlasst. Die Rechnung ist innerhalb eines Monats zu begleichen, ein Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung.
Die Baumbesetzer werden trotzdem Widerspruch einlegen. „Die Versammlungsauflösung war rechtswidrig, daher sind auch die Räumung und der Kostenbescheid rechtswidrig“, sagt Klimacamper Ingo Blechschmidt. Er beruft sich auf die rechtlich geschützte Versammlungsfreiheit. „Die Versammlungsfreiheit gilt auch für spontane Versammlungen. Immer wenn zwei Menschen zusammenkommen, um ihre politische Meinung kundzutun, handelt es sich um eine Versammlung. Die Baumbesetzung war eine spontane Versammlung“, sagt er. Eine Gefährdung der Verkehrssicherheit sieht er nicht, zudem wäre das Baumhaus sonst früher geräumt worden, so Blechschmidt.
Stadt: Es bestand eine Gefährdung für die Aktivisten, Unbeteiligte und die Verkehrssicherheit
Die Stadt Ravensburg hält dagegen. Versammlungen müssten zwar nicht genehmigt, wohl aber angemeldet werden, um Vorbereitungen durch Behörden und Polizei zu ermöglichen. Die Baumbesetzung sei nicht nur nicht angemeldet gewesen, sie habe aus Sicherheitsgründen nicht stattfinden dürfen. „Polizei und Stadt haben die Besetzung dennoch lange Zeit geduldet, weil es sich um sehr junge Menschen handelte und auch, weil das proklamierte Ziel des Klimaschutzes ja auch dem Gemeinderat und der Stadtverwaltung überaus wichtig ist“, teilt Ravensburgs Pressesprecher Alfred Oswald mit.
Als die jungen Leute trotz ausdrücklicher Untersagung in gefährlicher Höhe ein Transparent über der Straße angebracht hätten, habe die Stadt aus Sicherheitsgründen einschreiten müssen. „Es bestand eine Gefährdung für die Aktivisten selbst, für unbeteiligte Passanten und für die Verkehrssicherheit„, begründet Oswald. Vom Recht auf Versammlungsfreiheit seien die Aktionen zu keinem Zeitpunkt gedeckt gewesen: „Die Aktivisten hätten allerdings viele Möglichkeiten gehabt, andere Arten von Versammlungen anzumelden und durchzuführen – etwa eine Demo mitten in der Stadt. Dazu wurden ihnen immer wieder Angebote gemacht, die sie nicht annahmen“, schreibt er.
Rechtsanwalt: Argument der Verkehrsgefährdung hätte nur das Abhängen des Transparentes erlaubt
Das sieht der in Frankfurt tätige und bei „Fridays for Future Bodensee„ engagierte Rechtsanwalt Manuel Mutter anders. „Das Bundesverfassungsgericht hat die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit als schlechthin lebenswichtig für die Demokratie benannt“, sagt er. Damit sei die Versammlungsfreiheit ein hohes Grundrecht und ein Grundrecht gegen den Staat. Dieses Grundrecht sei nur durch den Verweis auf gleichwertige Grundrechte aufzuheben. „Gleichwertige Grundrechte sind das Leben und die körperliche Unversehrtheit, die Menschenwürde und der Bestand des Staates“, so Mutter.
Die Klimaaktivisten hätten keines dieser Rechte verletzt. „Die Corona-Auflagen dienen dem Schutz des Lebens vor einem tödlichen Virus. Die Teilnehmer haben diese Auflagen jedoch erfüllt – sie haben Masken getragen und Abstand gehalten“, sagt er. Das Argument der Verkehrsgefährdung hätte seiner Ansicht nach das Abhängen des Transparents über der Straße erlaubt, nicht aber die Räumung des Baumhauses: „Jede Maßnahme des Staates muss einzeln begründet sein. Ich kann nicht wegen eines Plakats, das gegebenenfalls gefährlich ist, eine ganze Versammlung auflösen“, sagt Mutter.
Die Klimaaktivisten bleiben optimistisch. „Das Geld werden wir wohl auslegen. Wenn wir den Widerspruch gewonnen haben, werden wir es zurückfordern“, sagt Blechschmidt. Sie werden auch weiter bei der Stadt Ravensburg auf mehr Klimagerechtigkeit dringen. Ein Plakat am Untertor, das Unbekannte beschädigt haben, ist schon wieder ordentlich befestigt.
„Die Stadt Ravensburg und der Landkreis sollen einen Pfad einschlagen, der dem Pariser Klimaschutzabkommen entspricht“, sagt Blechschmidt. Die Aktivisten fordern den Ausbau des ÖPNV, ein durchgängiges und komfortables Radwegenetz und den Umstieg auf 100 Prozent Ökostrom. Auch verlangen sie eine Überarbeitung des Regionalplans unter Klimaschutzaspekten.

In Sachen Klimaschutz engagiert sich die Stadt bereits seit Jahren. Mit einer „Klimakommission“ und dem daraufhin beschlossenen „Klimakonsens“ sollen Klimaschutz und Nachhaltigkeit gefördert werden. Umweltamtsleiterin Veerle Buytaert zählt auf, was die Verwaltung für die nächsten Monate geplant hat: „In Sachen Mobilität arbeiten wir auf Verbandsebene an einem Verkehrsentwicklungsplan“, sagt sie. Dieser soll für den Gemeindeverband Mittleres Schussental Klimaneutralität und eine massiver Steigerung der Umweltverträglichkeit erreichen.
Noch vor den Sommerferien soll für Ravensburg ein Klimamobilitätsplan beschlossen werden, der eine CO2-Reduktion um 40 Prozent bis 2030 vorsieht. Auch die Radverkehrskonzeption soll dieses Jahr fertig werden, weiter werden Perspektiven für eine autofreie Innenstadt und umweltfreundliche Mobilität in Altstadt und Bahnstadt geprüft. „Beim Verkehr ist es wichtig, nicht Restriktionen zu erlassen ohne Alternativen anzubieten. Wir wollen ja auch eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung“, sagt Buytaert. Allerdings sei dafür viel Konzeptionsarbeit nötig, ehe etwas umgesetzt und damit sichtbar werden könne.