Vor wenigen Tagen noch war Yuriy Yakovlyev fieberhaft damit beschäftigt, den Service in seinem Ausweichfirmensitz in Polen auszubauen und seinen Betrieb wieder zum Laufen zu bringen, nun findet er sich plötzlich auf einem eigenen Stand auf der Luftfahrtmesse Aero in Friedrichshafen wieder. Unter Ultraleichtflugzeugpiloten gilt Yakovlyev als Legende: Er ist Gründer, Inhaber, Chefkonstrukteur und Geschäftsführer in einem, sein Unternehmen Aeroprakt ist in Kiew – und zurzeit stillgelegt.
Seine Firma in Kiew ist noch nicht zerstört
Noch sei es vom Beschuss durch die russischen Truppen verschont geblieben, berichtet der russischstämmige Ukrainer. Aber die Mitarbeiter sind inzwischen an der Front oder geflüchtet, vorübergehend, wie er hofft. Neun Ultraleichtflieger pro Monat wurden bei Aeroprakt vor Kriegsbeginn produziert. Yakovlyev wünscht sich, dass er nach dem Krieg so schnell wie möglich wieder zurückkehren und seine Produktion wieder aufnehmen kann.

Ein Anruf, dann ging alles sehr schnell
In der Vorwoche hatten ihn Luftfahrtfreunde kontaktiert, die Szene ist bestens vernetzt. Ob er nicht nach Friedrichshafen kommen wolle? Die Messe hatte sich daraufhin sofort bereiterklärt, ihm kostenfrei einen Standplatz in der Halle B1 zu geben und nun steht er neben seinem schwarzen Aeroprakt-32-Flieger und kann es selbst kaum glauben. „Vor zwei Tagen bin ich spät am Abend am Bodensee angekommen“, sagt er. Die Maschine hat er selbst geflogen. Am Stand organisiert seine ukrainische Büromanagerin das Treiben. Er selbst klinkt sich immer wieder ein. Ein Schweizer sagt, er habe vor einigen Wochen zwei Flieger bestellt. Er sorgt sich um die Auslieferung. Die liegt auf Eis, doch er werde seine Flieger bekommen, sichert ihm Yakovlyev zu.
In Polen hat er eigentlich nur ein Vertriebsbüro, nun will er dort zumindest auch Ersatzteile produzieren und einen Kundendienst aufbauen. Denn die Kunden brauchen ihn und die sind quer über den Globus verteilt. In Deutschland waren die Aeroprakt im vergangenen Jahr die meistverkauften Ultraleichtflieger, ebenso in Australien. „Das liegt an der großen Klappe im Heck“, sagt Yakovlyev. Dort können die Farmer ihre Hütehunde reinlassen, bevor sie abheben.
Kunden fragen, wie es mit der Firma weitergeht
84 Aeroprakt fliegen am Himmel über Deutschland, weltweit sind es rund 1800. In Norwegen und Schweden seien es immerhin 35, berichtet Sigurd Brattetveid. Er vertreibt die Aeroprakt in Skandinavien, ist selbst Pilot und auch Präsident der norwegischen Leichtflugvereinigung. „Auch wir bekommen ständig Anfragen, wie es mit der Firma weitergeht und auch wie es Yuriy und seiner Familie geht“, sagt Brattetveid.
Yakovlyevs Sorge: Sein Sohn ist als Soldat an der Front
Diese Fragen sind nicht unbegründet: Yakovlyev hat nach dem Kriegsausbruch Anfang März seine Familie mit nach Polen genommen. Weil er über 60 Jahre alt ist, durfte er ausreisen. Aber sein Sohn musste zurückbleiben. „Er ist 30 Jahre alt und eigentlich Linienpilot, aber jetzt dient er als Soldat an der Front“, sagt Yakovlyev. Die Sorge um ihn versucht er mit einem freundlichen Lächeln zu überspielen.

„Schauen Sie“, sagt er und wischt über sein Handy. Dutzende Fotos hat er noch gemacht, bevor er die Ukraine verließ. Der Hangar seines Luftsportclubs, rund 60 Kilometer entfernt von Kiew, ist schwer beschädigt, das Dach getroffen, die Wände haben Risse. Drinnen ist kein einziges Flugzeug unbeschädigt geblieben: Löcher in den Flügeln, zerborstene Scheiben. Yakovlyev seufzt, als er weiterwischt.

Granaten treffen Hangar und Clubgebäude
Ein anderes Bild zeigt das Innere des Clubgebäudes, einen Aufenthaltsraum mit offenem Kamin, Holztischen und Sofaecken. Auf der Lehne eines Sessels sitzt eine schwarze Katze in einem Meer von Glassplittern. „Sie ist geblieben“, sagt Yakovlyev und muss unwillkürlich lächeln. Katzen können nach sich selbst schauen, Menschen nicht immer. Er steckt sein Handy wieder in seine Hosentasche. 1000 Kilometer entfernt ist der Krieg und plötzlich und unmittelbar ist er auch hier, am Bodensee, wo an diesem Donnerstag ein strahlend blauer Himmel über dem Messegelände liegt und Menschen mit Plastikkärtchen um den Hals um die Stände schwirren.