Auf einer Parteiversammlung in Schwäbisch Gmünd am 24. Januar erhob Alice Weidel schwere Vorwürfe gegen das Ordnungsamt der Stadt Überlingen. In ihrer Rede zog die Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion einen Vergleich, wonach die Kontrollen an der deutschen Staatsgrenze nicht funktionierten, im Ordnungsamt einer Kleinstadt aber umso härter und mit unlauteren Mitteln durchgegriffen werde. Als Beispiel nannte sie „eine Bäckerei in Überlingen“.

Ab Minute 26:30 kommt Weidel auf Überlingen zu sprechen:

Weidel berief sich in ihrer Rede auf Aussagen einer Bäckerin, die ihr folgenden Fall geschildert habe: Demnach sei ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes – Weidel bezeichnet ihn als „Lümmel“ – in die Bäckerei gegangen, ohne Corona-Maske, habe sich zunächst nicht als Mitarbeiter des Ordnungsamtes zu erkennen gegeben. Weidel in ihrer Rede in Schwäbisch Gmünd: „Brezel eingetütet – zack, Ausweis raus, ‚ich bin vom Ordnungsamt'. Strafsatz 2000 Euro.“

Wut in Weidels Stimme

Unter aufbrausendem Applaus rief Weidel mit immer lauter werdender Stimme ins Mikrophon: „Da muss man sich mal vorstellen, wo dieser Staat, wo diese Ordnungsämter gelandet sind. Das ist unglaublich, dass man hier hingeht und eine Kultur der Bespitzelung heranzüchtet. Wir wollen in Freiheit leben, wir wollen nicht bespitzelt werden. Wir wollen nicht gegängelt werden.“

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Zeitler weist Vorwürfe zurück

Überlingens Oberbürgermeister Jan Zeitler weist Weidels Behauptungen zurück. „Der Stadtverwaltung Überlingen ist kein derartiger Vorgang, geschweige denn ein Bußgeld in dieser Höhe für das Bedienen eines Kunden, der keine Mund-Nasen-Bedeckung in einem Ladengeschäft trägt, bekannt.“

2000 Euro gar nicht möglich

Für einen vergleichbaren Verstoß wäre auch nie eine Geldbuße in Höhe von 2000 Euro fällig, sondern maximal 250 Euro. Der Regelsatz liege bei 70 Euro, betont der Überlinger Oberbürgermeister.

Den von Weidel geschilderten Vorwurf kann es laut Zeitler schon deshalb nicht gegeben haben, weil sich das Verfahren nur gegen eine Person richten könne, die keine Maske trägt. „Nicht aber gegen die Bäckereifachverkäuferin.“

Oberbürgermeister Jan Zeitler: „Wir verwehren uns gegen die Bezeichnung von Kollegen des Ordnungsamtes als ...
Oberbürgermeister Jan Zeitler: „Wir verwehren uns gegen die Bezeichnung von Kollegen des Ordnungsamtes als ‚Lümmel‘.“ | Bild: Hilser, Stefan

Zeitler in einer Stellungnahme gegenüber dem SÜDKURIER: „Wir weisen Frau Weidels Anschuldigung entschieden zurück, nach der sich Bedienstete der Stadt Überlingen als ‚Agent Povocateur‘ betätigt haben. Ein solches Verhalten wird von allen Vorgesetzten und Beschäftigten des Ordnungsamtes für abwegig und als absolut inakzeptabel betrachtet. Gleichzeitig verwehren wir uns entschieden gegen die Bezeichnung von Kollegen des Ordnungsamtes als ‚Lümmel‘.“

Stadt verlangt eine Entschuldigung

Zeitler verlangt von Weidel eine Richtigstellung und eine Entschuldigung, und beschreitet dafür notfalls auch den Rechtsweg. In einem über das Pressereferat der Stadt versandten Schreiben kündigte Zeitler an: „Im Rahmen der Fürsorgepflicht als Arbeitgeber, als auch zur Wahrung des Ansehens von Stadt und der Stadtverwaltung Überlingen, erlaubt sich die Stadtverwaltung, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, damit diese Aussage richtiggestellt wird, beziehungsweise eine Entschuldigung seitens Frau Weidels erfolgt.“

Christoph Högel, AfD-Landtagskandidat im Bodenseekreis: „Ich nehme stark an, dass Frau Dr. Weidel sich diese Geschichte keineswegs ...
Christoph Högel, AfD-Landtagskandidat im Bodenseekreis: „Ich nehme stark an, dass Frau Dr. Weidel sich diese Geschichte keineswegs ausgedacht hat.“ | Bild: Arndt, Isabelle

Weidel reagiert auf Presseanfrage nicht

Auf SÜDKURIER-Anfrage an Alice Weidel und an ihren Pressesprecher, sie mögen den Namen der Bäckerei benennen, oder den von ihr geschilderten Fall näher erläutern, kam bislang keine Reaktion. Die Redaktion forderte stellvertretend den im Bodenseekreis für die AfD zur Landtagswahl kandidierenden Christoph Högel dazu auf, Stellung zu dem Vorfall zu beziehen. Er antwortete, nachdem dieser Bericht bereits veröffentlicht war, deshalb erfolgt hier eine aktualisierte Version mit seiner Stellungnahme. Högel schreibt: „Da ich die Veranstaltung weder besucht, noch online gesehen habe und auch zu dem Vorfall keinerlei Kenntnis habe, kann ich hierzu als Unbeteiligter schlicht keine Aussage machen. Ich nehme allerdings stark an, dass Frau Dr. Weidel sich diese Geschichte keineswegs ausgedacht hat.“

Bäcker kennen Vorfall nicht

Offensichtlich gab Weidel eine Wanderlegende weiter, die seit Frühsommer 2020 durch Überlingen waberte. Recherchen des SÜDKURIER zeigten damals schon, dass an dem Gerücht von angeblichen Kontroll-Einkäufen durch das Ordnungsamt der Stadt Überlingen nichts dran ist. Eine Berichterstattung über unzutreffende Gerüchte lehnte die Redaktion damals ab.

Bäcker Markus Kränkel: „Mir ist der Vorfall nicht bekannt. Von Schikane habe ich nichts mitbekommen.“
Bäcker Markus Kränkel: „Mir ist der Vorfall nicht bekannt. Von Schikane habe ich nichts mitbekommen.“ | Bild: Stefan Hilser

Nun, nach der Behauptung durch Weidel, fragte der SÜDKURIER bei allen sieben Bäckereibetrieben nach, die im Stadtgebiet Brezeln verkaufen. Kein einziger bestätigte, dass es diesen von Alice Weidel geschilderten Fall tatsächlich gegeben habe.

Bäcker Kränkel: „Mir ist so ein Vorfall nicht bekannt“

Hier ein Auszug aus den vorliegenden Rückmeldungen. Christa Diener von der gleichnamigen Bäckerei, die in Überlingen mehrere Filialen betreibt, antwortete: „Bei uns im Geschäft hatten wir keinen solchen Vorfall.“ Auch Josef Baader von der gleichnamigen Bäckerei aus Frickingen mit Filiale in Überlingen kennt so einen Vorfall nicht.

Markus Kränkel von der gleichnamigen Bäckerei aus Meersburg, mit Filiale in Überlingen: „Mir ist so ein Vorfall nicht bekannt. Vielmehr haben wir den Eindruck, dass die für unsere Verkaufsstellen zuständigen Ordnungsämter sehr mit Augenmaß in dieser Sache unterwegs sind. Präsenz und Kontrolle muss sicher sein, aber von Schikane habe ich nichts mitbekommen.“