„Und wieder kamen meine Kinder zu spät in die Schule“: Familie Walker aus Langenargen hat die Nase voll. Was vor allem in der zweiten und dritten Januarwoche auf der Bodenseegürtelbahn zwischen Lindau und Friedrichshafen los war, spottet für sie jeder Beschreibung und macht sie nur noch wütend. Dieses Mal an sechs Tagen in Folge standen die Kinder am Bahnhof in Langenargen, doch der Zug um 7.16 Uhr kam nicht.
An sechs Tagen kam der Frühzug nicht
An vier Tagen kutschierte das Elterntaxi nicht nur den eigenen Nachwuchs nach Friedrichshafen in die Schule. An zwei Tagen ging das arbeitsbedingt nicht. Da mussten die Kinder nach 22 Minuten Warten am kalten Bahnsteig den nächsten Zug fahren lassen. Der kam nur mit einem Waggon, schilderte die Tochter, und der war schon voll. „Nicht alle Kinder konnten in den Zug gequetscht werden. Um 7.41 Uhr rief meine Tochter an, dass sie den nächsten Bus nehme“, schildert Familie Walker in einem Beschwerdebrief an Landrat Lothar Wölfle. „Es ist für alle unerträglich. Wieso gibt es hier keine Lösungen?“, fragen die Eltern entnervt.
Land muss Druck machen
Solche Beschwerden bekam der Landrat seit Jahresbeginn wieder vermehrt, bestätigt Robert Schwarz, Sprecher des Landratsamts im Bodenseekreis. „Einige schildern sehr detailliert ihre Erlebnisse.“ Die Antwort von Lothar Wölfle an die Langenargener Familie klingt resignierend. Er habe gehofft, dass sich mit dem öffentlichen Druck, den die Bahnkonferenz im Landratsamt am 28. November mit Vertretern der Deutschen Bahn und dem Landesverkehrsministerium aufgebaut habe, etwas ändere. Mehr als die Beschwerden nach Stuttgart weiterzuleiten, könne er leider nicht machen. Letztlich müsse das Land als Auftraggeber Druck bei der Bahn machen. „Ich höre aber auch aus dem Verkehrsministerium Stimmen, dass man dort langsam mit seinem Latein am Ende ist“, schreibt Landrat Wölfle an Familie Walker.
Auch für Jürgen Löffler, Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Bodo, sind die Klagen der Bahnnutzer nichts Neues. In den vergangenen zwei bis drei Wochen sei es zu einem enormen Anstieg von Beschwerden gekommen, bestätigt auch er. Grund dafür sind tagelange Streckensperrungen vor allem im Allgäu, Zugausfälle und nur teilweise eingerichtete Schienenersatzverkehre. „Im Allgäu herrscht seit den Schneefällen das perfekte Chaos“, fasst Jürgen Löffler zusammen.

Am 16. Januar hatte die DB Regio mitgeteilt, dass die enormen Schneemengen „eine große Herausforderung“ für die Bahn seien. Auch wenn die Bahnstrecken wieder freigeräumt werden konnten, müssten nun „durch Schnee und Eis verursachte Schäden an Schienenfahrzeugen beseitigt werden“, hieß es in einer Pressemitteilung. Niederflurzüge, die im Regionalverkehr fahren, seien durch Eisbrocken oder vereiste Schneeverwehungen beschädigt worden. Insbesondere kaputte Verkabelungen und verbogene Teile am Fahrzeugboden würden dem Unternehmen zu schaffen machen.
Einschränkungen auch auf der Gürtelbahn
In der Mitteilung ist von 17 beschädigten Triebwagen der Baureihe VT 650 sowie Neigetechnikzügen der Baureihe VT 612 die Rede, die in der zentralen Werkstatt in Ulm zur Reparatur anstanden. Dadurch fehlten nach DB-Angaben nicht nur Züge auf den Strecken im württembergischen Allgäu und im bayerischen Bereich nach Memmingen und Lindau. Da diese Fahrzeuge auch auf der Bodenseegürtelbahn zwischen Friedrichshafen und Radolfzell sowie zwischen Ulm, Biberach und Aulendorf eingesetzt werden, kam es eben auch hier durch fehlende Fahrzeuge zu "Einschränkungen". Zwischen Markdorf und Friedrichshafen wurde bis zum 18. Januar ein Zusatzverkehr mit Bussen eingerichtet.
Knapp ein Viertel der Verkehrsleistung fiel aus
Diese 17 fehlenden Züge sorgten im Regionalverkehr für reichlich Chaos auf den Strecken. Planen konnten Bahnreisende kaum. Zwischen Ulm und Aulendorf sowie zwischen Sigmaringen und Lindau lag die Zugausfallquote nach Angaben der DB Regio Baden-Württemberg in der zweiten Januarwoche bei knapp zehn Prozent, in der dritten sogar bei 23,6 Prozent. Das heißt: Knapp ein Viertel der gesamten Verkehrsleistung auf den Strecken des „Aulendorfer Kreuzes“ fiel aus. Auf der Bodenseegürtelbahn lag die Zugausfallquote in der ersten Januarwoche bei knapp drei Prozent, in der zweiten Woche bei zwei Prozent. In den ersten drei Wochen des neuen Jahres fielen im gesamten Netz zwischen 324 und 361 Züge aus. In der vergangenen Woche hat sich laut Statistik der DB-Regio der Verkehr wieder normalisiert.
Reisescheck als Wiedergutmachung
Die DB-Kundenzentrale in Stuttgart zeigt sich zumindest schuldbewusst. „Ich möchte mich für den Zugausfall und die beengten Platzverhältnisse im Folgezug entschuldigen“, teilte eine Mitarbeiterin der Langenargener Familie zunächst mit. Die Forderung nach einer Entschädigung für die vielen Autofahrten, die Walkers unternehmen mussten, um die Töchter zur Schule zu bringen, blieb anfangs unbeantwortet. Am Dienstag kam nach nochmaligen Schriftverkehr der Code für einen Reisegutschein im Wert von 20 Euro – als „Geste der Wiedergutmachung“, wie in der E-Mail steht. Und: „Danke, Sie haben sich die Zeit genommen, uns ausführlich über Ihre Eindrücke in Kenntnis zu setzen. Ihre Kritik haben wir erfasst und den verantwortlichen Fachbereichen zur Verfügung gestellt.“
Bahn führt Buch
Auf ihrer Internetseite dokumentiert die DB Regio Baden-Württemberg öffentlich und wöchentlich die Betriebslage im Regionalverkehr. Die Bahn führt also Buch darüber, auf welchen Strecken wieviele Züge ausfallen oder wie (un)pünktlich sie sind. Die Übersicht zeigt Angaben der jeweils letzten zehn Wochen für jede Strecke – von Los 1, der "Frankenbahn" bis zu Netz 19, der Strecke Singen – Schaffhausen. Bei der Bodenseegürtelbahn lag die Zugausfallquote in der ersten Kalenderwoche des neuen Jahres am höchsten – bei 2,9 Prozent. Aktuelle Informationen sind abrufbar unter: www.bahn.de/regional/view/regionen/bawue/info/puenktlichkeit-uebersicht.shtml