Aquakultur im Bodensee ist das Streitthema schlechthin. Das streitet Alexander Kessler, stellvertretender Vorsitzender der Genossenschaft RegioBodenseeFisch, die in Netzgehegen Felchen züchten will, gar nicht ab. "Das ist verbrannte Erde", sagt der Vertriebsleiter der Erich-Geiger-Gruppe in Unteruhldingen, der sich hauptberuflich seit über 20 Jahren mit der Fischvermarktung beschäftigt.
Kessler: "Fakten zählen nicht"
Aus seiner Sicht zählen in der Diskussion derzeit aber nicht Fakten und Studienergebnisse, sondern Emotionen, Ängste und Befürchtungen. "Mit der Fischzucht im See wird nur Schlechtes assoziiert", sagt Kessler. Aufgegeben habe die Genossenschaft ihre Pläne deshalb noch lange nicht. Noch in diesem Jahr will die RegioBodenseeFisch beim Wasserwirtschaftsamt in Konstanz die Genehmigung beantragen, zwei Netzgehege als Versuchanlage im See zu installieren. Wo, sei derzeit noch nicht klar. Der Standort beim Teufelstisch im Überlinger See sei laut einer Studie aber der beste. Die technische Machbarkeit prüft gerade eine norwegische Fachfirma.

Aus Fischern werden Händler
Wer sind die derzeit 17 Aktivisten, die sich trotz enormer Gegenwehr aus vielen Lagern für die Felchenzucht im Bodensee einsetzen? Fünf Berufsfischer sind dabei, darunter Martin Meichle aus Hagnau, Erster Vorsitzender der Genossenschaft. "Durch die Aquakultur von Sandfelchen im Bodensee habe ich wieder die Liefersicherheit für meinen Betrieb und die Wertschöpfung bleibt in der Region", erklärt er sein Engagement. Denn Fakt sei, dass ein Großteil der Berufsfischer so wenig aus dem See hole, dass sie Fische aus Aquakultur zukaufen und vermarkten müssten. "Berufsfischer werden so immer mehr zu Fischhändlern oder müssen einem Zweitberuf nachgehen, um überleben zu können", so Meichle. Sein Berufskollege Joachim Böhler aus Reichenau, Aufsichtsrat der RegioBodenseeFisch, will lieber "echte" Fische vom Bodensee vermarkten. "Wenn's zu wenig Wildfisch im See gibt, ist das Netzgehege eine tolle Alternative", sagt er.
Genossenschaft will nachhaltige Zucht beweisen
Dass die Mehrheit der rund 100 Fischer am See gegen die Netzgehege sei, wie immer kolportiert werde, sei "zwei Mal zu prüfen", sagt Alexander Kessler. Er weiß auch, dass die Politik die Aquakultur ins Gespräch gebracht hat, um den Fischern zu helfen, die sich aber offensichtlich so nicht helfen lassen wollen. Die meisten von ihnen hätten sich seiner Meinung nach in der Tiefe mit der Materie aber noch gar nicht befasst und wollten derzeit eher in Ruhe gelassen werden. Alexander Kessler glaubt viel mehr, dass die Front der Gegner unter den Fischern bröckelt, wenn die Genossenschaft nachweise, dass eine nachhaltige Fischzucht im See möglich sei. Abgesehen davon gehe die Aquakultur nicht nur die Fischer an. "Wir wollen ein Lebensmittel aus der Region für die Region."

Lieber Aquakultur statt Importfisch?
Zu den Mitgliedern der Genossenschaft gehört auch Josef Stärk vom "Seehof" in Meersburg. Auch er hat ein Problem damit, dass der meiste Fisch, der am See verkauft wird, eben nicht mehr aus dem Bodensee kommt, auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen. Allein 500 bis 600 Tonnen aus Kanada, Russland oder italienischen Seen importierte felchenähnliche Fische werden hier als Bodensee-Felchen, Felchen vom Bodensee oder nach Bodensee-Art kredenzt. "Als Gastronom wäre es wünschenswert, wenn ausreichend Bodenseefelchen in guter Qualität zur Verfügung stünden. Leider muss ich heute auf meiner Speisekarte Zander und Lachs aus Zuchtbetrieben, die nicht aus der Region sind, anbieten, um die Nachfrage nach Fisch abdecken zu können", erklärt der Küchenmeister und Geschäftsführer.

Zwei von vier großen Fischvermarktern am See sind nach Aussage von Alexander Kessler Mitglied der Genossenschaft, neben Geiger in Uhldingen auch der Fischmarkt Koch auf der Reichenau. "Wir haben das in der Hand, was importiert wird", erklärt Kessler. Will heißen: Gäbe es mit der Fischzucht im Bodensee gute Felchen, würden die Firmen keine mehr importieren. "Gut" heißt für Kessler Fische in bester Qualität, denn Ziel der Genossenschaft sei das Bio-Zertifikat.
Mit anderen Worten: Alles, was Fischzüchter anderswo in Verruf gebracht hat, "können wir hier besser machen", wirbt Alexander Kessler dafür, dass die Genossenschaft hier den Beweis dafür antreten kann.
Immer weniger Fische(r)
- Die Fangerträge haben 2017 den zweitniedrigsten Stand seit 1936 erreicht. Die Berufsfischer haben im Bodensee-Obersee nur noch 298 Tonnen Fisch insgesamt gefangen, teilte die Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) Mitte Juni mit. Der Ertrag lag damit um 47 Prozent unter dem Mittelwert der letzten zehn Jahre (562,8 Tonnen).
- Der Felchenertrag betrug insgesamt 195 Tonnen, fünf Prozent weniger als 2016 (205 Tonnen). 2015 waren es sogar nur 152 Tonnen. Das langjährige Mittel liegt bei einen Ertrag von rund 408 Tonnen Felchen aus dem Bodensee.
- Seesaibling gibt es faktisch keinen mehr. Der Ertrag habe sich "marginalisiert", schreibt die IBKF. Gefangen wurden im vergangenen Jahr gerade einmal 800 Kilogramm.
- Wirtschaftslage: 2017 hatten 96 Fischer ein Hochseepatent, 14 ein Halden- oder Alterspatent. Damit waren fünf Fischer weniger als im Vorjahr auf dem See. Mit einem mittleren Ertrag von 2,7 Tonnen pro Patent sei "weiterhin kein Auskommen mehr im Haupterwerb gegeben" schätzt die IBKF ein. (kck)