Das Geschehen in Kürze
- Von Februar bis März 1963 war der Bodensee komplett gefroren
- Eisdecke der Gfrörne ist bis zu einem Meter dick
- Das Jahrhundertereignis forderte vier Menschenleben, darunter Jugendliche
Erinnerungen an ein außergewöhnliches Naturereignis
Eine der am längsten dauernden Seegfrörnen der Geschichte beginnt Ende Dezember 1962 wenig spektakulär: Zwischen der Insel Reichenau und Allensbach gefriert der Gnadensee. Ein Naturereignis, das „in nahezu jedem nicht allzu milden Winter beobachtet werden kann“, wie es in einem Jubiläumsheft aus dem Jahr 2013 zu „50 Jahren ‚Seegfrörne‘“ heißt.
Der gefrorene Gnadensee Ende Dezember 1962 ist nur der Auftakt zu einem Jahrhundertereignis, das laut den uns bekannten Aufzeichnungen in der Geschichte erst wenige Male vorkam, letztmals 1880. Während des Jahreswechsels 1962/63 legt sich nach und nach eine Eisdecke über immer weitere Teile des Bodensees. Ab dem 6. Februar 1963 ist der See dann komplett zugefroren. Die mehrere Zentimeter dicke Eisschicht löst sich erst im März wieder auf, als die Temperaturen steigen.

Der Grund für die Seegfrörne sind extrem tiefe Durchschnittstemperaturen. Bereits im November 1962 werden zwischen minus 5 bis minus 8 Grad gemessen. In der Folge sinken die Temperaturen weiter: Im Dezember mehrmals auf 10 bis 14 Grad unter Null und im Januar 1963 während 15 Tagen auf minus 10 Grad, mit wiederholten Tiefstwerten unter minus 20 Grad. Schwache Luftbewegungen und ein sehr niedriger Wasserstand begünstigen die Eisbildung.
Folgen der Gfrörne für die Bodenseeregion
Am 23. Januar 1963 wird auf dem Überlinger See der Motorbootverkehr zwischen Ludwigshafen und Bodman eingestellt, wie dem SÜDKURIER-Sonderheft zur Seegfrörne zu entnehmen ist. Wenige Tage später, am 1. Februar kommt dann auch der Bodensee-Schiffsverkehr zwischen Überlingen und Dingelsdorf zum Erliegen. Ab jetzt geht es Schlag auf Schlag: Am 3. Februar ist der Bregenzer Hafen zugefroren und am 5. Februar muss die Deutsche Bundesbahn den gesamten Schiffsverkehr auf dem Obersee einstellen. Einzig die Fähren zwischen Friedrichshafen und Romanshorn sowie zwischen Konstanz und Meersburg verkehren noch.

Tagelang kämpfen die Fährschiffe gegen das Eis an und verkehren auch nachts, um die Fahrrinnen im Eis offenzuhalten. Doch die Schiffe der Verbindung Konstanz-Meersburg müssen bald aufgeben: Am 7. Februar wird der Fährbetrieb auf dieser Strecke eingestellt, die Bodenseeflotte steckt im Konstanzer Hafen in einem Eispanzer fest. Fähren gibt es jetzt nur noch zwischen Friedrichshafen und Romanshorn. Doch am 10. Februar kommt auch diese letzte Schifffahrtslinie auf dem Bodensee zum Erliegen.

Danach geht in Sachen Schiffsverkehr lange Zeit nichts mehr. Am 22. Februar versucht die Autofähre „Hegau“ von Konstanz aus, das Eis aufzubrechen, muss aber bereits nach 400 Metern umkehren. Erst als die Temperaturen im März wieder steigen, keimt langsam Hoffnung auf: In der Nacht zum 9. März werden im Raum Konstanz zum ersten Mal seit fast zwei Monaten Werte über dem Gefrierpunkt gemessen. Das Eis beginnt zu schmelzen.
Am 12. März unternehmen die Fährschiffe der Verbindung Konstanz-Meersburg erste Versuchsfahrten. Drei Tage später nimmt die Linie ihren Betrieb dann wieder auf, nach einer fünfwöchigen Zwangspause. Diese lange Einstellung des Fährbetriebs hat für Konstanz einen Verlust von rund 170.000 D-Mark zur Folge.
Nach und nach nehmen auch andere Linien den Verkehr auf dem Bodensee wieder auf: Am 17. März sind zwischen Konstanz und Meersburg auch wieder die Autofähre und die Schiffe der Bundesbahn unterwegs. Die Überfahrt ist nicht ohne Risiko, denn auf dem See treiben noch immer Eisfelder. Wann der Fährbetrieb zwischen Friedrichshafen und Romanshorn wieder in Betrieb geht, ist im SÜDKURIER-Sonderheft nicht ersichtlich. Laut eines Artikels der Stuttgarter Zeitung sind die Schiffe dieser Linie aber circa zur selben Zeit wieder auf dem See unterwegs wie jene zwischen Konstanz und Meersburg.
Eingestellter Schiffsverkehr und neue Wege für die Menschen
Zwischen Februar und März wird der zugefrorene Bodensee zu Fuß, auf dem Rad oder im Auto überquert. An manchen Tagen tummeln sich tausende von Menschen auf der Eisfläche zwischen Deutschland, der Schweiz und Österreich. Vor Friedrichshafen wird auf einem abgesteckten Eisfeld gar ein Flugplatz eingerichtet.

Das alles geht problemlos, denn die Dicke des Eises beträgt laut Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdienstes auf dem Untersee bis zu einem Meter, auf dem Überlinger See bis zu 30 Zentimetern und auf dem Obersee bis zu 20 Zentimetern.

Und so entstehen auch die Bilder, die die meisten von uns mit der Seegfrörne von 1963 verbinden: Auf unzähligen Fotos lächeln und strahlen uns Menschen jeden Alters entgegen, die auf dem See ihre Runden drehen. Ihr Stolz, unmittelbare Zeugen eines Jahrhundertereignisses zu sein, ist auch heute noch greifbar.
Die Schattenseiten der letzten großen Bodensee-Gfrörne
Denn das außergewöhnliche Naturereignis vor über 50 Jahren fordert auch seinen Tribut. Wasservögel leiden Hunger, da sich ihr Essen unter der Eisdecke des Sees verbirgt. Für sie schlagen freiwillige Helfer Futterlöcher ins Eis und die Flug- und Fahrzeugwerke im schweizerischen Altenrhein organisieren Fütterungsflüge.

Aber nicht nur Tiere, sondern auch Menschen fallen dem harten Winter zum Opfer. Vor allem zu Beginn der Seegfrörne brechen immer wieder Ausflügler im Eis des Bodensees ein. In den meisten Fällen geht dies glimpflich aus. Vier Menschen verlieren jedoch ihr Leben, darunter zwei Häfler Jungen im Alter von 13 und 15 Jahren.
- Der erste Tote ist ein 69-jähriger Mann, der am 10. Februar mit seinem Fahrrad vom schweizerischen Altenrhein aus zurück nach Wasserburg fahren will. Dort kommt er jedoch nie an: Auf einer dünnen Eisdecke bricht der Mann ein. Einen Tag später finden Flieger aus Friedrichshafen seine Leiche im Eis des Obersees. Todesursache war laut Zeitungsberichten Erfrieren oder ein Herzschlag.
- Zur selben Zeit verschwindet ein Gastwirt aus dem schweizerischen Bad Horn spurlos, nachdem er den See mit einem Moped überqueren wollte. Die Suche nach dem Mann wird eine Woche später, am 18. Februar, abgebrochen. Es wird vermutet, dass er im Eis des Obersees eingebrochen und ertrunken ist.
- Das wohl tragischste Unglück ereignet sich in der Nacht zum 23. Februar: Über dem Obersee kreisen fünf Hubschrauber und drei Dornierflugzeuge der Bundeswehr. Unter ihnen sind auf dem Eis Kräfte der Wasserschutzpolizei und der Rettungsstaffel der Bundesluftwaffe im Einsatz. Sie alle suchen nach zwei Schülern. Einer ist 13, der andere 15 Jahre jung. Erst nach mehreren Stunden werden sie wenige Kilometer vor dem Ufer des schweizerischen Güttingens auf einer treibenden Eisscholle gefunden. Beide Jungen sind tot. Ihre Leichen sind auf dem Eis festgefroren.