Am Osterwochenende wird die touristische Saison am Bodensee eingeläutet. Eigentlich ein Grund zur Freude für die Gastronomen. Dennoch blicken viele von ihnen mit gebremster Zuversicht in die Zukunft. Sie finden einfach kein Personal.
64 unbesetzte Stellen spuckt die Job-Suchmaschine Stepstone aus, wenn man nach „Koch/Köchin“ für Konstanz und Umgebung (30 km) sucht. Beim Anbieter Indeed sind es 168. Beides Stand Mitte März, Tendenz steigend.
Julia Röpke arbeitet im fünften Jahr im Strandhotel Löchnerhaus auf der Reichenau. Seit 2022 ist sie Direktorin des Hauses, das im Besitz der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist. „Die aktuelle Situation ist eine große Herausforderung für uns alle“, sagt sie. „Wir sind kein Saisonhaus mehr und haben von Mitte Februar bis Mitte Dezember geöffnet.“

Das bedeutet, dass das Löchnerhaus weniger Saison- und mehr Ganzjahreskräfte beschäftigt. Und das eigenen Angaben zufolge inklusive Ganzjahresverträgen, übertariflicher Bezahlung, Unterbringung in Dienstwohnungen im Haus, Vollverpflegung, Dienstfahrrad. „Und trotzdem suchen wir derzeit mehrere Mitarbeiter mit Nachdruck“, so Julia Röpke.
Der Bedarf an Köchen und ausgebildetem Personal im Gaststättengewerbe sei kein neues Phänomen, teilt die Agentur für Arbeit mit. Die Nachfrage nach Fachkräften sei in der Bodenseeregion überdurchschnittlich hoch. Die Corona-Pandemie habe die Situation verschärft, da zahlreiche Arbeitnehmer während der Lockdowns in andere Bereiche abgewandert und dort verblieben seien.
Laut Agentur ebenfalls problematisch für den hiesigen Markt: der attraktive Stellenmarkt in der Schweiz. Hinzu kommt, dass sich nicht genügend Menschen für eine Ausbildung als Koch oder Köchin entscheiden würden – Arbeitszeit und Entlohnung gelten demnach als unattraktiv.
Im Sommer wird es ernst
Julia Röpke benötigt im Löchnerhaus 40 Mitarbeiter, um Hotel- und Restaurantbetrieb im Frühling und Sommer mit voller Kraft fahren zu können. Derzeit habe sie 33 Angestellte unter Vertrag – zuletzt seien drei abgesprungen. Immerhin: Im Service sei das Team komplett. „Hier habe ich das Glück, mit Matthias Albiez einen Profi gewonnen zu haben, der Schulungen mit Ungelernten macht“
Doch was, wenn im Sommer die nötigen zwei bis drei Köche fehlen? Julia Röpke atmet tief ein. „Dann würden wir wohl oder übel weniger Umsatz in Kauf nehmen müssen und könnten nicht die gesamte Terrasse nutzen.“ Auch die kleine Karte nachmittags wäre dann nicht umsetzbar.
Arbeitsagentur setzt auf Berufsorientierung
Damit sich die Situation bessert setzt die Agentur für Arbeit auf Berufsorientierung für junge Menschen: Beratungsgespräche, Betriebspraktika und Ausbildungsmessen. Aber reicht das? Gastronomen berichten dem SÜDKURIER, dass sie oft Personen vermittelt bekommen, die nicht geeignet sind oder mit sprachlichen Barrieren zu kämpfen hätten.
Die Arbeitgeber seien laut Arbeitsagentur dennoch gegenüber Bewerbern sehr positiv eingestellt, die nicht genau auf eine ausgeschriebene Stelle passen. Wenn Motivation und Leistungsbereitschaft vorhanden seien, seien die Gastronomen gerne bereit, mehr Zeit und Energie für die Einarbeitung aufzuwenden.

Zur Einarbeitung kommt es auf der Mainau oft gar nicht erst. Schon im vergangenen Jahr wurde das gastronomische Angebot aufgrund von Personalmangel heruntergefahren. Ein Szenario, das auch in der nahenden Saison droht.
Gastronomiedirektor Thorben Beck blickt mit gemischten Gefühlen in die Zukunft: „180 Positionen in der Gastronomie hätten wir zu vergeben, aber nur 140 davon sind tatsächlich besetzt.“ Als erste Maßnahmen wurden in den neun Gastronomiebereichen der Insel mehr Ruhetage eingeführt sowie Öffnungszeiten angepasst.
Ein zusätzlicher Ruhetag federt nicht nur Personalengpässe ab. Er kann sogar dafür sorgen, dass die Freizeit für die das Personal planbarer und damit die Arbeit in der Gastronomie attraktiver wird. Denn das Gastgewerbe als Konsum- und Freizeitbranche arbeitet dann, wenn die Gäste es nicht tun: vor allem abends und am Wochenende. Das ist ein Wettbewerbsnachteil.

Ines Kleiner ist Geschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga und weiß um die Herausforderung für ihre Branche. Sie sieht in der Ausbildung von Fachkräften den Schlüssel zur Lösung des Problems und die Gastronomen auf einem guten Weg. „Anstrengungen der Branche zur Verbesserungen ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt erfolgen bzw. sind bereits erfolgt“, sagt sie.
Nach den Einbrüchen in der Corona-Krise sei eine deutliche Erholung zu erkennen, so die Dehoga-Geschäftsführerin. Erleichterungen bei der Fachkräfteeinwanderung aus dem Ausland könnten zudem dazu beitragen, das Problem zu lindern.
Auch auf der Mainau setzt man auf Arbeitskräfte aus dem Ausland: Dort werden einige kirgisische und georgische Studentinnen über die Saison für den Service eingestellt. „Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht“, sagt Thorben Beck.
Auch in Radolfzell das Problem Fachkräftemangel
Ortswechsel. Innenstadt von Radolfzell. Seit 2012 führt Gökalp Onay das Steakhouse Zinnkrug, das seit 2013 den Namen Porterhouse trägt. Die Spezialitäten sind ausgefallene Steaks, Burger oder original neapolitanische Pizza. „Das kann nicht jeder kochen“, sagt der Geschäftsführer.
Auch Onay sucht ausgebildete Fachkräfte: zwei Köche, einen Spüler und eine Servicekraft. Auch im Porterhouse drohen Konsequenzen. „Wenn wir die bis Saisonstart Ende März nicht finden, müssen wir einen Ruhtage mehr einführen und Sonntagabend komplett schließen“, sagt Gökalp Onay.

Der Fachkräftemangel gehört neben massiven Kostensteigerungen im Energie- und Lebensmittelbereich zu den großen Herausforderungen, vor der die Betriebe aktuell stehen. „Er wurde durch Abwanderungen von Mitarbeitenden während der Corona-Lockdowns verschärft“, sagt Dehoga-Geschäftsführerin Ines Kleiner. Vor der Pandemie sei die Beschäftigungsentwicklung „stark positiv“ verlaufen. Dann kam die Krise.
Während der Pandemie nahm die Zahl laut Dehoga-Angaben abwanderungsbedingt auf bis zu 116.000 ab (Stand März 2021). Mittlerweile ist die Beschäftigungsentwicklung wieder positiv. Letzter Stand der amtlichen Statistik: 130.000. „Die Entwicklung geht also wieder in die richtige Richtung, der Vorkrisenstand ist allerdings noch nicht erreicht“, sagt Ines Kleiner.
Für Gastronomen wie Gökalp Onay wird die Zeit knapp. Er weiß um die Bedeutung der kommenden Wochen und Monate. „Radolfzell ist ab Mitte September eine tote Stadt“, sagt er. „Wenn der Sommer nicht erfolgreich ist, haben viele Gastronomen existenzielle Probleme. Zwischen April und Mitte September müssen wir alles verdienen, um den Winter überleben zu können.“