Die Wanderin Scarlett S. aus dem nordrhein-westfälischen Bad Lippspringe gilt seit 10. September 2020 als vermisst. Die damals 26-Jährige war allein auf dem Schluchtensteig im Schwarzwald unterwegs, wollte die 22 Kilometer lange letzte Etappe von Todtmoos durch das Wehratal nach Wehr wandern – und kehrte nie von ihrer Tour zurück.
Ein letztes Lebenszeichen von der vermissten Wanderin ist auf Bildern einer Kamera in einem Supermarkt in Todtmoos festgehalten. Seither gibt es kein Lebenszeichen von der jungen Frau. Aufwendige Suchaktionen von Polizei und Bergwacht blieben erfolglos.
Scarlett S.: Die letzten Tage vor dem Verschwinden
Scarletts Mutter hat sie am 12. September 2020 als vermisst gemeldet. Scarletts Schwester gab nach der Vermisstenmeldung im sozialen Netzwerk Facebook bekannt, dass ihr Auto in Stühlingen gefunden wurde. Von dort aus wollte sie ihre Wanderung Richtung Wehr starten.
Laut Angaben der Schwester wollte Scarlett bereits am Freitag (11. September) zurückfahren und eine Freundin in Mainz besuchen. Auf Basis von Zeugenaussagen und der vorliegenden Handy-Daten kann die Polizei Ende September 2020 Scarletts Reise bis zum Zeitpunkt des Verschwindens nahezu nahtlos nachvollziehen.

So steht fest, dass Scarlett S. vom Schluchsee nach St. Blasien wanderte. Allerdings übernachtete sie nicht in St. Blasien, sondern fuhr mit dem Bus zum nächsten Etappenziel nach Todtmoos und übernachtete dort von Dienstag auf Mittwoch, 9. September 2020, in einem Hotel. Sie fuhr morgens wieder nach St. Blasien, um die Etappe nach Todtmoos auch zu Fuß zu bewältigen. Nach der zweiten Nacht in dem Hotel brach die 26-Jährige am morgen des 10. Septembers zur letzten Etappe nach Wehr auf.

Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen die Vermisste mit kompletter Wanderausstattung am selben Vormittag beim Einkaufen in einem Supermarkt in Todtmoos. Scarlett verließ das Geschäft und schlug dann den Weg in Richtung Einstieg zum Schluchtensteig ein. Noch in Todtmoos verliert sich ihre Spur. Es gibt keine Hinweise, dass sie ihr Ziel, die Stadt Wehr, erreicht hat.

Wo ist Scarlett S.?
Am 13. und 14. September 2020 wird bei einer weiträumigen Suche vor allem im Schluchtensteig bei St. Blasien nach der vermissten Wanderin gesucht. Im Einsatz waren unter anderem die Feuerwehren Todtmoos, Ibach und Wehr, die Rettungshundestaffel Hochschwarzwald mit 35 Suchhunden, die Bergwachten Bernau und Todtmoos sowie ein Polizeihubschrauber und die Besatzung der Drohne der Kreisfeuerwehr. Der Einsatz von Drohnen und Hubschrauber war notwendig, denn rechts und links vom Schluchtensteig ist unwegsames Gelände. Auch Wärmebildkameras kamen zum Einsatz.
Ein Hellseher aus Nordrhein-Westfalen schaltete sich am 14. September ein und übergab der Polizei Hinweise zur vermissten Frau aus dem Südschwarzwald. Demnach sollten die Polizisten im Bereich des Dachsberges suchen. Die Beamten gingen der Spur des Sehers Michael Schneider nach, allerdings ohne Erfolg. Ein Polizeisprecher sagte damals: „Wir wissen einfach nicht, was passiert ist.“

Was die Polizei weiß: Die Vermisste ist eine sehr geübte Wanderin, war schon mehrmals alleine unterwegs und entsprechend gut ausgerüstet. Der Schluchtensteig hat sechs Etappen, die jeweils rund 20 Kilometer lang sind. Laut Polizei ist Scarlett mehrere Etappen an einem Tag gelaufen.
Nach Hinweisen aus der Bevölkerung durchkämmte die Bergwacht am 19. September das Gelände zwischen Todtmoos und Wehr. Zwei schwierigere Steilpassagen im Bereich Todtmoos-Wehratal standen hier im Fokus. Mit einer Drohne wurden felsige Abschnitte geprüft, die vom Boden aus nicht eingesehen werden konnten. Die Suche blieb ohne Erfolg.

Danach stellte die Polizei die Suche nach Scarlett S. ein. Die Polizei ist allen Erkenntnissen nachgegangen, alle Kontakte sind überprüft worden. Erst wenn neue Hinweise vorliegen, wird erneut gesucht, lautete die Begründung damals. Derweil machten sich immer wieder Privatpersonen auf die Suche nach der 26-jährigen Vermissten. Die Polizei geht inzwischen von einem Unglück aus.
Zwei Wochen nach Scarletts Verschwinden wurde am 25. September im Sozialen Netzwerk Facebook die Gruppe ‚Bitte findet Scarlett‘ gegründet. Das Ziel: Die vermisste Frau zu suchen und zu finden. Die Gruppe hat rund 13.000 Mitglieder (Stand Oktober 2022). Hier werden Bilder und Informationen zu privaten Suchaktionen und Scarlett S. veröffentlicht. Patricia Lindinger gehört zu den Initiatoren der Gruppe.
Theorien werden zur Belastung für Angehörige von Scarlett S.
Neben dem Engagement vor Ort findet im Oktober 2020 via Internet ein reger Austausch statt. Im sozialen Netzwerk Facebook haben sich viele Gruppen formiert, die ausschließlich die Suche nach Scarlett S. zum Thema haben. Diese Gruppen bieten seither viel Raum für Spekulationen, Halbwahrheiten und Gerüchte werden hier miteinander verquickt. „Mit jeder neuen Theorie werden auch die Angehörigen zusätzlich belastet“, sagte Michael Biermann, Sprecher der zuständigen Polizei Paderborn.

Etwa zehn Wochen nach der Vermisstenmeldung, im November 2020, setzte die Kriminalpolizei Paderborn, die zu dem Zeitpunkt die Ermittlungen in diesem Fall verantwortet, erneut einen Hubschrauber ein. Dabei wurden die technisch anspruchsvollen und unwegsamen Bereiche des Wehratals abgesucht. Auch diese Suchaktion blieb erfolglos.
Familie und Freunde suchen weiter
Februar 2021: Fünf Monate sind seit Scarletts Verschwinden vergangen. Familie und Freunde geben die Suche nach ihr aber nicht auf. Mit einer großflächigen Anzeigenkampagne in den Landkreisen Waldshut und Lörrach sowie in den sozialen Netzwerken suchten sie weiter nach Scarlett. Die Ermittlungen zu dem Fall dauern weiter an. Doch die Suche nach Scarlett ist von Seiten der Polizei abgeschlossen. Aber: Die Polizei geht weiterhin von einem Unglück und nicht von einem Verbrechen aus.
Mai 2021: Die Suche nach der vermissten Wanderin wird nach wie vor insbesondere von einer privaten Suchgruppe fortgeführt. Primär wurde auf dem Schluchtensteig gesucht, sagt Patricia Lindinger, eine der Initiatoren der Facebook-Gruppe „Bitte findet Scarlett“. Auch andere Bereiche wie der Weg über Zell im Wiesental nach Wehr wurden abgesucht. Als Suchgebiet kommt eine Fläche von etwa 100 Quadratkilometern infrage.

Wurde Scarlett S. ermordet?
Die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen leitet im September 2021 ein Todesermittlungsverfahren ein. Grundlage hierfür war eine im August 2021 bei der Kriminalpolizei Paderborn erstatteten Anzeige. Damit ging die Zuständigkeit auf die Kripo Waldshut-Tiengen über.
Ein solches Verfahren wird dann eingeleitet, wenn der Vorwurf im Raum steht, dass eine Person eines nicht natürlichen Todes gestorben sein könnte. Weitere Zeugen wurden vernommen. Aus den Ermittlungen ergeben sich jedoch keine Hinweise auf ein Gewaltverbrechen.

Teilnehmer der Facebook-Gruppe „Bitte findet Scarlett“, mit den Initiatoren Patricia Lindinger und Joschka Hackl, drehen im November 2021 für die Sendung „Wenn Menschen verschwinden“ vom Sender Sat.1 Gold. In dieser Zeit startete die Gruppe auch eine Aktion mit Wandersteinen: Steine werden bemalt und mit dem Hashtag „#BittefindetScarlett“ versehen. Dann werden die Scarlett-Steine draußen verteilt. Der Finder kann sich so über den Vermisstenfall informieren.
„Aktenzeichen XY ungelöst“: Vermisstenfall wird fürs Fernsehen aufbereitet
Ein Fernsehteam der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ dreht im März 2022 an zwei Tagen im Kurort Todtmoos und in dessen Umgebung. Fälle für die Sendung werden nur auf Geheiß der Staatsanwaltschaft behandelt. Durch die enorme Reichweite der Sendung erhofft sich Scarletts Familie den Eingang wichtiger Hinweise.

Die Folge zu Scarletts Verschwinden wurde im Juni 2022 bei Aktenzeichen XY ungelöst“ ausgestrahlt. Während und kurz nach Ausstrahlung der Fernsehsendung sind 75 Hinweise eingegangen. Die Hinweise hatten insbesondere die Sichtung der jungen Frau rund um Wehr und Todtmoos zum Inhalt.
Mitte Juli 2022 hat die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen bereits 147 Hinweise erhalten. Alle Hinweise wurden auf Plausibilität überprüft. Bei manchen war eine nähere Abklärung nötig. Die heiße Spur war aber nicht dabei.

Frau findet Sonnenbrille: Gehört sie Scarlett?
Eine Wanderin findet Ende Juli 2022 auf der letzten Etappe des Schluchtensteigs eine Sonnenbrille, meldete den Fund aber erst Mitte August der Polizei. Die Sonnenbrille ist höchstwahrscheinlich identisch mit dem Modell, das Scarlett S. auf der Wanderung getragen hat. Im September untersuchte die Kriminaltechnik die Sonnenbrille auf DNA-Spuren. Eine erneute Suche durch Kräfte der Bereitschaftspolizei, Bergwacht und örtlichen Polizeibehörde im Umkreis des Fundortes blieb erfolglos.
Die kriminaltechnische Untersuchung der Sonnenbrille ist im Dezember 2022 noch nicht abgeschlossen. Die gefundene Brille sorgt bei der Staatsanwaltschaft nicht für Euphorie, zumal: Objektiv betrachtet könne keine konkrete Aussage getroffen werden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, noch DNA-Spuren an der Brille zu sichern. Auch die Hinweise aus der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ lieferten keine neuen Erkenntnisse.
Scarlett: Knochenfund sorgt für Aufregung
Im Oktober 2022 war die Polizei erneut im Schluchtensteig unterwegs, nachdem dort drei Knochenfunde gemeldet worden waren. Diese Knochen seien vor Ort gesichert worden, sagte Michael Blozik, stellvertretender Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen: „Die jeweiligen Überprüfungen der Knochen ergaben jedoch, dass es sich um Tierknochen handelte.“
Todesermittlungsverfahren wird eingestellt
Die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen stellte am 21. Februar 2023 das Todesermittlungsverfahren ein. Die Akte Scarlett S. wurde damit aber nicht abgeschlossen. Dass das Verfahren eingestellt wurde, bedeutet, dass der Verbleib der Scarlett S. nach der Überprüfung aller Hinweise und Erkenntnisse nicht aufgeklärt werden konnte.
„Der Vorgang wird nun wieder von der Polizei als Vermisstenfall behandelt bis das Schicksal der Vermissten geklärt ist“, erklärte Rahel Diers, Sprecherin der Staatsanwaltschaft.