Eigentlich wollte er an diesem strahlenden Frühherbsttag bei der Weinlese sein, räumte Thomas Strobl mit bittersüßer Miene ein. Statt aber in der Sonne an frischer Luft an Rebstöcken und seinem Teint zu arbeiten, fand sich der CDU-Politiker und baden-württembergische Innenminister am Freitag bis in den Abend im Zeugenstand eines Landtags-Untersuchungsausschusses wieder.
Konfrontiert mit Detailfragen, auf die Strobl mit zunehmender Sitzungsdauer dünnhäutiger, ja genervt reagierte und sich im Wesentlichen dreier Antwortstrategien bediente: eine Antwort zu geben, ohne dabei zu konkret zu werden, in einigen Detailfragen entweder zu erklären, damit sei er nicht befasst, wisse nichts darüber oder wolle auch davon gar nichts wissen, oder die Art der Fragestellung und vermeintlich unterstellte Tatsachenbehauptungen zu kritisieren. Das Bild, das er dabei abgab: Das eines Ministers, der nach eigenen Angaben zwar für alle Vorgänge in seinem Ministerium selbstredend die Verantwortung übernimmt – sich aber zugleich für vieles nicht zuständig erklärt.
Strobl macht von Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch
Am späten Abend, nach bereits zehnstündiger Sitzungsdauer und noch weit vom Sitzungsende entfernt, brach Strobl dann noch unter dem Druck der Fragen von SPD-Obmann Sascha Binder mit seiner vorherigen Ankündigung, vor dem Ausschuss nicht von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen zu wollen. Dieses wird gemeinhin nur in Anspruch genommen, um sich nicht selbst zu belasten. Die Frage, ob ihm die Staatsanwaltschaft Stuttgart, die gegen den Innenminister wegen der Weitergabe eines Schreibens an einen Journalisten ermittelt, wie auch offenbar dem Journalisten ein Angebot zur Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldzahlung gemacht habe, wollte Strobl nicht beantworten. Eine solche Offerte würde bedeuten, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ein – wenn auch geringfügiges Vergehen – ergeben hätten. Für den Polizeiminister wäre die Annahme eines solchen Angebots ein Eingeständnis, sich strafbar gemacht zu haben. Ein Supergau.
Am Anfang stand eine Sex-Affäre
Eigentlich untersucht der Ausschuss die Vorgänge rund um die Sex-Affäre des suspendierten Inspekteurs der Polizei (IdP) des Landes, die Umstände von dessen Aufstieg an die Polizeispitze, die Beförderungspraxis in der Landespolizei generell sowie den Umgang mit sexueller Belästigung in der gesamten Landesverwaltung.
Der Polizeiinspekteur, ein Shootingstar in Uniform, der für die Zukunft der Landespolizei stehen sollte – ausgerechnet der Mann, die die neue Wertekampagne gegen Extremismus, Rassismus und Diskriminierung der Landespolizei ersann und maßgeblich verantwortete –, soll im Herbst 2021 eine junge Kommissarin mit Hinweis auf seinen Einfluss bei ihrer Beförderung sexuell belästigt haben. Die Frau zeigte den Vorgang an.
Untersuchungsausschuss
Seitdem ist der Mann suspendiert, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Polizei ist bis in die Spitze erschüttert, die juristische und disziplinarische Aufarbeitung der Vorwürfe lassen unterdessen auf sich warten.
Aber Strobl, der Innenminister, der in der ersten öffentlichen Sitzung des Gremiums als einziger Zeuge geladen war, wittert nach Wochen und Monaten der großen medialen und politischen Aufmerksamkeit vor allem um seine Person und seine Rolle in der Affäre eine ganz andere Zielrichtung.

Der Untersuchungsgegenstand sei in den Hintergrund gerückt und die Aufarbeitung einer „parteipolitischen, ja persönlichen Auseinandersetzung“ gewichen, machte Strobl in seinem eineinhalbstündigen Eingangsstatement deutlich.
Sich selbst sieht er „substanzlosen, ja bösartigen“ Vorwürfen seitens der politischen Opposition ausgesetzt, vor allem seitens SPD und FDP. Diese hält Strobl schon längst nicht mehr im Amt für tragbar. Mehrfache Rücktrittsforderungen und eine Abstimmung im Parlament hat der CDU-Mann überstanden, der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann stützt seinen Regierungspartner und hält sich raus.

Strobl selbst war am Rande in den Strudel der Affäre geraten, weil er ein Anwaltsschreiben des suspendierten Beamten an einen Journalisten weitergeben ließ, sein Ministerium dies aber gegenüber Staatsanwaltschaft und Öffentlichkeit zunächst verheimlichte und der Staatsanwaltschaft zudem auch Ermittlungen zur mutmaßlichen undichten Stelle nicht erlaubte. Strobl und sein Amts-Chef entschuldigten sich später dafür.
Am Freitag nun wiederholte der Innenminister seine Rechtsauffassung – wozu er auch auf eigene Kosten ein Gutachten eines Medienrechtlers hatte anfertigen lassen –, dass er mit der Weitergabe des Schreibens kein Dienstgeheimnis verletzt sah, sondern genau das Gegenteil erreichen wollte: maximale Transparenz und Öffentlichkeit in der Affäre herzustellen.
Das Schreiben, per Fax in der Zentralstelle des Ministeriums eingegangen, beinhaltete ein Gesprächsangebot an Strobl, in einem von ihm „als unangenehm empfundenen vertraulichen Ton, ein Angebot, das ich als brandgefährlich empfunden habe“, sagte Strobl. Er habe es schnellstmöglich öffentlich machen wollen, um dem Verdacht der Hinterzimmerdeals schon im Vorfeld zu begegnen, so der Politiker.
Wegen der Weitergabe ermittelt die Staatsanwaltschaft sowohl gegen Strobl als auch gegen den Journalisten. Am Vortag war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft dem Journalisten das Angebot zur Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldzahlung gemacht, dieser aber abgelehnt habe. Strobl selbst verweigerte dann die Aussage zur Frage, ob er auch ein solches Angebot erhalten hatte.
Ging es beim Auswahlverfahren mit rechten Dingen zu?
Aber wie kam der suspendierte Inspekteur vergleichsweise jung und schnell in das Spitzenamt, nachdem er erst kurz zuvor Vize-Chef des Landeskriminalsamts geworden war? Ging bei der Bewertung und dem Auswahlverfahren alles mit rechten Dingen zu, wurde das Prinzip der Besten-Auswahl verfolgt, und was wusste Strobl darüber?
Mehrere Stunden drehte sich die Befragung Strobls durch SPD-Obmann Sascha Binder um Details dieser Besetzung – und der Innenminister wiederholte ein ums andere Mal, an diesen Prozessen nicht beteiligt gewesen sei.