Die Szenerie, welche sich den Beteiligten und Zuschauern bei dem Prozess bot, war alles andere als alltäglich: Nachdem keiner der herkömmlichen Gerichtssäle für die Dimension dieses Strafverfahrens ausreichend Platz bot, hat das Landgericht Kempten kurzerhand den großen Fürstensaal in der Kemptener Residenz zu einem Gerichtssaal umfunktioniert.

Die neun Angeklagten im Alter von 22 bis 36 Jahren, darunter auch eine Frau, nahmen mit ihren jeweils bis zu drei Verteidigern in mehreren Reihen Platz, ihnen gegenüber die Staatsanwaltschaft, am Kopf des Saals erhöht die Richter. Allein dieser Anblick vermittelte eindrücklich das Ausmaß der durch die Schleuserbande begangenen Straftaten. Den überwiegend syrischen Staatsbürgern wurde das „gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern“ zur Last gelegt – der SÜDKURIER berichtete.

Großeinsatz der Polizei

In unterschiedlicher Besetzung sollen die Beschuldigten seit Frühjahr 2019 zahlreiche Geflüchtete nach Deutschland und Österreich gebracht haben. Die gesamte Verhandlung wurde für die zumeist Arabisch sprechenden Schleuser simultan durch drei Dolmetscher aus eigens eingerichteten, schallisolierten Dolmetscherkabinen übersetzt.

Bereits im Januar hatte die Polizei die Angeklagten nach umfangreichen verdeckten Maßnahmen bei einem Großeinsatz festgenommen. Dabei arbeitete die Spezialabteilung der Staatsanwaltschaft Kempten zur Bekämpfung der internationalen Schleuserkriminalität eng mit der Münchner Bundespolizeiinspektion für Kriminalitätsbekämpfung zusammen.

Erdrückende Beweislage

Der 30-jährige Bandenchef war bereits im Dezember 2020 in Österreich auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Eisenstadt auf frischer Tat bei der Durchführung einer Schleusungsfahrt ertappt und festgenommen worden. Im Februar wurde er aufgrund eines Europäischen Haftbefehls nach Deutschland ausgeliefert. Gegen den „Patron“ war im September 2020 eine zweite Anklage erhoben worden, nachdem ihm die internationalen Ermittlungen der ungarischen Staatsanwaltschaft Bacs-Kiskun weitere Schleusungsfälle nachweisen konnten.

Nach Abschluss der Ermittlungen und Anklageerhebung im Juli startete am 12. Oktober der Mammut-Prozess mit 20 von der Staatsanwaltschaft Kempten angeklagten Schleusungen. Aufgrund der erdrückenden Beweislage gaben die Verteidiger der Angeklagten schon zu Verhandlungsbeginn zu verstehen, dass ihre Mandanten grundsätzlich zu vollumfänglichen Geständnissen bereit wären. Nach mehreren Verständigungsgesprächen kam es zu einer Absprache, bei welcher sich das Gericht mit allen Betroffenen über das zu erwartende Strafmaß für den Fall eines Geständnisses einigte.

Haft für Patron und Kernbande

Bereits am vierten Prozesstag, einige Tage früher als geplant, verkündete der Vorsitzende nun das Urteil der Strafkammer. Der von Zeugen als „Patron“ beschriebene Kopf der Bande muss für sieben Jahre und drei Monate hinter Gitter. Für zwei weitere Täter aus der bestehenden Kernbande lautete das Strafmaß zwei Jahre und neun Monate beziehungsweise vier Jahre Freiheitsstrafe.

Aufgrund der vom Gericht berücksichtigten positiven Auswirkung des Geständnisses auf das Strafmaß und der langen Untersuchungshaft von zehn Monaten erhielten vier Angeklagte, die jeweils nur bei wenigen Schleusungen beteiligt waren, Freiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten bis zu einem Jahr und neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist rechtskräftig.

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