Stuttgart – Es sind widerwärtigste rassistische und sexistische Beleidigungen, Gewaltfantasien und massive Bedrohungen, sie füllen ganze Seiten und sie haben nur ein Ziel: die baden-württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras. Jetzt hat Aras Konsequenzen gezogen, macht die Hetze öffentlich und geht gegen die Verfasser der Briefe, der Droh- und Schmähmails und gegen die Hetzautoren im Netz rechtlich vor. Von 33 beim Landgericht Stuttgart eingereichten Anträgen auf Herausgabe der persönlichen Daten der anonymen Autoren bei Internetanbietern wie Google hat Aras in 25 Fällen recht bekommen, wie sie dem SÜDKURIER sagte, Namen und Adressen wurden herausgegeben, die User bekommen Post von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Dort hat Aras mehr als 36 Strafanträge gestellt. Ermittelt wird in mehreren Verfahren wegen des Verdachts auf Beleidigung, Volksverhetzung und Bedrohung, wie Pressestaatsanwalt Michael Allmendinger bestätigt. Straftaten, die mit Geld- oder auch mit mehrjährigen Freiheitsstrafen geahndet werden.
In Stuttgart Stimmenkönigin
„Hängen oder Rübe runter“ fordert ein Nutzer, ein anderer schreibt: „Bei der würde ich Bremse und Gas verwechseln“. Es wird die Todesstrafe für sie gefordert, ihre „Entsorgung“ und die Abfackelung ihres Hauses. Aras wird zudem als Frau aufs Widerwärtigste beleidigt – auch Nutzer, die mit weiblichen Namen angemeldet sind, äußern sich sexistisch. Und der Migrationshintergrund der in Stuttgart als Stimmenkönigin in den Landtag gewählten Grünen-Politikerin wird zum Anlass genommen, ihr das Recht abzusprechen, überhaupt im Parlament zu sitzen.
Mord an Lübcke war die Zäsur
Für die 54-jährige Grünen-Politikerin, die in Stuttgart Familie und Kinder hat und eine Steuerberaterkanzlei aufbaute, ist der Punkt erreicht, Hass und Hetze nicht mehr in aller Stille hinzunehmen. „Ich habe das erst ignoriert und gedacht, das Netz hat nichts mit der realen Welt zu tun“, sagt sie. „Aber für mich persönlich war der Mord an Lübcke eine Zäsur. Jetzt kann und werde ich das nicht mehr ignorieren. Ich werde entschieden dagegen vorgehen. Das Netz ist keine rechtsfreie Zone.“ Aras plädiert daher auch für eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft zu Hass und Häme im Netz.

Seit sie 2016 nicht nur als erste Frau, sondern auch als erste Deutsche mit Migrationshintergrund in das Amt der Landtagspräsidentin gewählt wurde und die Themen Grundwerte und NS-Gedenkstätten verfolgt, ist sie erklärte Zielscheibe von Angriffen vor allem aus der rechten Ecke. Ob im Parlament, wo immer wieder mit Pöbeleien und Zwischenrufen versucht wird, ihr die Legitimation für das Amt abzusprechen, oder im Netz. Dort sind es besonders sexistische Gewaltfantasien, die anonym geäußert werden. „Frauenfeindlichkeit ist eine wichtige Komponente, es passt nicht ins Bild dieser Männer, dass Frauen ein Stück vom Kuchen haben wollen und sogar die Regeln mitbestimmen“, sagt Aras.

Den Beginn der Anfeindungen macht Aras Ende 2018 aus, als sie nach einem verweigerten Sitzungsausschluss die beiden Ex-AfD-Rechtsausleger Wolfgang Gedeon und Stefan Räpple von der Polizei aus dem Landtag entfernen ließ. Und den vorläufigen Höhepunkt erreichen sie im April und Juni nach den Sitzungsausschlüssen gegen Ex-AfD-Mann Heinrich Fiechtner, der eine Art Privatkrieg gegen Aras führt. Fiechtner ließ sich – mit dem Handy filmend – im Juni nach einem Sitzungsausschluss von der Polizei aus dem Parlament tragen. Etliche Hasskommentare gegen Aras auf Fiechtners Facebook-Seite beziehen sich auf diesen Vorgang, auch er selbst lässt dort keine Fragen offen. „Verlogen, voller Hass und Lügen“ sei Aras Gang an die Öffentlichkeit, schreibt er dort.
Die Polizei, sagt die Landtagspräsidentin, nehme die Drohungen und Anfeindungen gegen sie sehr ernst. Sie gilt als gefährdete Person, die Polizei ist in ihrem Umfeld öfter präsent, manche ihrer Termine werden nicht mehr veröffentlicht. Persönlich einschüchtern lässt sich Aras nicht. „Ich bin überhaupt kein ängstlicher Typ, aber man wird vorsichtiger“, sagt sie. Gedanken über eine persönliche Schmerzgrenze habe sie sich noch nicht gemacht. „Im Gegenteil. Jetzt erst recht. Es zeigt, dass ich die richtigen Themen angesprochen habe.“