Verdrehen einige eifrige Mitglieder der Querdenker die deutsche Geschichte zu ihren Gunsten? Legen sie angesehenen Persönlichkeiten Aussagen in den Mund, die diese nie getan haben? Diese Frage kann man mit Ja beantworten, wenn man beobachtet, wie häufig die Widerstandskämpferin Sophie Scholl von Querdenkern als Vorbild zitiert wird – obwohl die Studentin (1921-1943) mit der coronakritischen Bewegung auch bei angestrengter Suche nichts zu tun hat.
Das Zitat ist ein Kuckuckszitat
Oder doch? Das Zitat, mit dem einige Querdenker dieser Tage hausieren gehen, geht so: „Der größte Schaden entsteht durch die schweigende Mehrheit, die nur überleben will, sich fügt und alles mitmacht.“ Als Urheberin wird Sophie Scholl genannt, die von den Querdenkern auf diesem Weg klammheimlich vereinnahmt wird. Das Zitat wirkt auf den ersten Blick nicht auffällig. Scholl ruderte tatsächlich gegen eine überwältigende Mehrheit an. Ihre Aktion (sechs NS-kritische Flugblätter, verteilt in München) scheiterte, die Mitglieder der Gruppe wurden hingerichtet.

Ein Blogger entlarvt die Fälschung
Die tapfere Studentin aus Ulm inspirierte die Querdenker? Ein Wiener Blogger (“falschzitate“) widerlegt die angebliche Allianz zwischen Weißer Rose und den heutigen Demonstranten. Gerald Krieghofer schreibt dazu: „In den Briefen und Flugblättern der ‚Weißen Rose‘ kann der Satz schon deswegen nicht gefunden werden, weil der politische Ausdruck ‚schweigende Mehrheit‘ vor dem Jahr 1945 im deutschen Sprachraum fast unbekannt war.“
Die „schweigende Mehrheit“ ist jung
Erst in den 60er Jahren taucht er auf – in Folge einer Fernsehrede des US-Politikers Richard Nixon. Auch die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle sprach von der schweigenden Mehrheit, doch war auch das deutlich nach dem Zweiten Weltkrieg. Sophie Scholl konnte die Redewendung nicht gekannt haben. Das Zitat ist kalt gefälscht, Quelle unbekannt. Ein Kuckuckszitat.

Scholls Neffe bei den Querdenkern
Während der Friedenskette am ersten Oktobersamstag in Konstanz zeigten sich einige Besucher in T-Shirts, die mit einer Weißen Rose bedruckt waren. Am selben Wochenende trafen sich etwa 600 Querdenker in Salem (Bodenseekreis). Dort sprach auch Julian Aicher, der Neffe von Sophie und Hans Scholl. Er rückte allerdings von allzu direkten Parallelen ab. Er sehe keine Verbindung zwischen Querdenkern und Weißer Rose, sagte er.
Woher der Wind eigentlich weht, zeigt eine Äußerung der AfD-Politikerin Beatrix von Storch vom Februar 2019 – also lange vor der Coronakrise und vor den Querdenkern. Von Storch zitiert Sophie Scholl mit Worten, die sie kurz vor der Hinrichtung niederschrieb: „Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagten sie nicht, es auszusprechen.“ Dieses Mal ist das Zitat echt, doch ist die Absicht dieselbe wie bei den Corona-Skeptikern: Sie schmücken sich mit fremden Federn – und vergleichen die Bundesrepublik des Jahres 2020 mit der NS-Diktatur 1943.