
PFAS. Vier Buchstaben, die derzeit Schlagzeilen machen. Sie stehen für „per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen“. Dahinter verbergen sich chemische Stoffe, die extrem langlebig sind und in vielen Industriezweigen verwendet werden – und sie sind offenbar ein großes Problem in weiten Teilen Deutschlands.
Wie eine gemeinsame Recherche von NDR, WDR und „Süddeutsche Zeitung“ ergab, lassen sich an mehr als 1800 Orten in der Bundesrepublik Belastungen mit den sogenannten Ewigkeitschemikalien nachweisen. Ein Drittel davon, also 606 Orte, liegen in Baden-Württemberg.
Was heißt das für die Menschen in der Region – oder anders: Ist der Bodensee vergiftet?
Was sind PFAS und wie gefährlich sind sie?
PFAS sind eine Gruppe von Industriechemikalien. Sie sind wasserabweisend, schmutzabweisend und fettabweisend. Von der Outdoorjacke über die Teflonpfanne bis hin zu Feuerlöschschaum: PFAS sind in zahllosen Produkten unseres Alltags enthalten.
Manche PFAS sind giftig oder stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Andere können die Entwicklung von Kindern beeinträchtigen. Die Stoffe gelangen über Luft, Nahrung und Wasser in menschliche Körper und reichern sie sich dort an.
Wie viele PFAS sind im Bodensee?
Das Fraunhofer Institut hat 2021 hohe Belastungen sowohl im Obersee als auch im Untersee gemessen.
Allerdings hat das Institut das Sediment des Sees betrachtet. Im Freiwasser ist die Belastung wesentlich geringer. Die Landesanstalt für Umwelt Baden-Wüttemberg (LUBW) untersucht den See regelmäßig auf PFAS-Verbindungen. Demnach liegt die Konzentration im Wasser im niedrigen einstelligen Bereich. In einem Liter Wasser sind also nur wenige Nanogramm PFAS enthalten.
Ist es gefährlich, im Bodensee zu schwimmen?
Die LUBW gibt Entwarnung: Eine Gefahr für badende Menschen im Bodensee besteht nicht.
Besteht eine Gefahr für das Grundwasser?
Zwischen 2015 und 2018 wurde erstmals das gesamte Landesmessnetz (rund 1900 Messstellen) auf 16 PFAS-Einzelsubstanzen untersucht. In der Umgebung des Bodensees wurden dabei keine auffälligen Werte im Grundwasser erkannt.
Für die Jahre 2022/2023 bis 2024 kündigt die LUBW eine weitere landesweite Untersuchung an. Dieses Mal auf 21 PFAS-Einzelsubstanzen. Die Messergebnisse werden online einsehbar sein.
Sind Fische im Bodensee gefährdet?
PFAS können sich auch in tierischem Gewebe anreichern. Daher ist für die LUBW „die Untersuchung auf PFAS in Fischen von besonderem Interesse“, wie die Behörde auf Anfrage des SÜDKURIER angibt. Seit 2018 gebe es regelmäßige Fischuntersuchungen. Bei den Felchen wurden bisher Werte im Bereich von 6 bis 23 Mikrogramm pro Kilogramm gemessen. Eine Warnung hat die Behörde nicht ausgesprochen.
Gibt es besonders stark betroffene Orte in der Region?
Neben den Messpunkten im Bodensee gelten in der Region noch zwei weitere Orte als Hotspots. Der Begriff „Hotspot“ wird verwendet, wenn die Konzentration von PFAS an einem Standort eine Belastung von mehr als 100 Nanogramm pro Liter erreicht, was Experten als gesundheitsgefährdend ansehen.
In der Grafik ist nur ein Fund in Singen vermerkt. Im Hegau gibt es aber noch viele weitere belastete Stellen. In allen Fällen wurden Grundwasserproben aus den Jahren 2013 bis 2017 herangezogen. Ob in Ihrem Heimatort PFAS gemessen wurden, finden Sie in dieser Karte heraus:
Ein Fall aus der Region belegt die Problematik von PFAS: Vor fast 18 Jahren brannte es auf dem Kostar-Gelände in Wehr-Brennet und bis heute finden sich die Ewigkeitschemikalien PFAS im Trinkwasserbrunnen Nagelfluh I. Sie waren seinerzeit durch den eingesetzten Löschschaum in den Boden gesickert.
Zuletzt waren die PFAS sogar wieder mit steigenden Werten im Brunnenwasser nachweisbar. Der Brunnen in Wehr ist zwar weiterhin aktiv, an die Trinkwasserversorgung ist er jedoch nicht mehr angeschlossen.
Warum sind PFAS so problematisch, wenn sie in die Umwelt gelangen?
Die Schlagzeilen der vergangenen Woche drehten sich vor allem um eine besondere Eigenschaft der Stoffgruppe: ihre Langlebigkeit. Nur bei einer Hochtemperaturbehandlung von 1000 Grad Celsius können die Moleküle vollständig zerstört werden. Das bedeutet, sind PFAS einmal in die Umwelt gelangt, werden sie nicht oder nur sehr langsam abgebaut.
Wie gelangen PFAS in die Umwelt?
Da PFAS vielfältig verwendet werden, gibt es auch viele Wege, wie sie in die Umwelt gelangen können: „Durch Abwasser auch von chemischen Prozessen, Deponien, Schlämmen aus industrieller Produktion, Altkleidern und deren Abbauprodukten“, sagt Daniel Dietrich. Er ist Professor für Toxikologie an der Universität Konstanz und berät das europäische Parlament – auch zu PFAS.
„Meist binden die PFAS an Partikel, das heißt, man findet sie im Boden oder im Sediment“. Aus dem Sediment (Ablagerungsgesteine) oder Boden könnten sich bestimmte PFAS im Wasser verteilen und somit an Pflanzen und Tierwelt gelangen und so schlussendlich auch den Menschen erreichen.
Was passiert, wenn ein Gebiet oder Gewässer mit PFAS verseucht ist?
Was bei einer starken Verseuchung passiert, zeigt das Beispiel Rastatt. Hier wurden mehr als 1000 Hektar Ackerfläche und dadurch auch das Grundwasser mit den Ewigkeits-Chemikalien verunreinigt. Als Ursache gilt mit Papierschlämmen versetzter Kompost. Die gemessenen Werte dort sind absurd hoch, auf einer Fläche liegt die Belastung bei 1,3 Millionen Nanogramm.
Seit 2013 arbeiten die Behörden inzwischen an der Aufarbeitung des Vorfalls. Dabei wurden zum Beispiel großflächige Boden- und Grundwasseruntersuchungen vorgenommen. Außerdem fördert das Land Maßnahmen zur Aufbereitung von Trinkwasser durch die Wasserversorger in der Region.
Nach Angaben des Umweltministeriums bestehe für die Bevölkerung „nach aktuellem Wissensstand weder eine Gefährdung durch Trinkwasser aus der öffentlichen Wasserversorgung noch durch den Verzehr von Lebensmitteln, die in der Region angebaut werden.“ Kosten für die Maßnahmen laut Ministerium: 11 Millionen Euro – Personalkosten und Förderung der Trinkwasserversorger nicht eingerechnet.
Wie werden PFAS reguliert?
Einheitliche Grenzwerte für alle Stoffe der Gruppe gibt es bisher nicht. Einige PFAS zählen unter der Europäischen Chemikalienverordnung (REACH) als besonders besorgniserregende Stoffe. Für diese Varianten gelten besondere Auskunftspflichten und es kann eine Zulassungspflicht entstehen. Zu den besonders besorgniserregenden Stoffen zum Beispiel PFOA. Eine Variante, die auch im Bodensee festgestellt wurde. PFOA darf seit Juli 2020 nicht mehr in der EU hergestellt werden.
Deutschland strebt gemeinsam mit den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Norwegen ein EU-weites Verbot von PFAS an. Auch Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) sagt: „PFAS dürfen nicht mehr in diesem enormen Umfang in die Umwelt gelangen. Die gesundheitlichen Folgen können wir heute noch nicht abschätzen.“
Für den Konstanzer Toxikologen Daniel Dietrich kommt diese Erkenntnis spät. Da das Wissen um die Folgen für die Umwelt seit Jahrzehnten bei Behörden, Wissenschaft und Industrie bekannt sei, erstaunt ihn die derzeitige Aufmerksamkeit: „PFAS hätten schon längst aus dem Verkehr gezogen werden müssen.“
Dieser Artikel greift auf die Ergebnisse des „ForeverPollutionProject“ zurück. Hinter dem Projekt steht ein internationales Medienkollektiv, zu dem auch „SZ“, NDR und WDR gehören.