In der Diskussion um die Zukunft der Gäubahn und die Anbindung der Zugreisenden aus dem Südwesten nach Stuttgart – Zürich, Konstanz oder Singen – liegt eine neue Idee auf dem Tisch: Die Verlängerung der Stuttgarter S-Bahn über Horb und Rottweil bis nach Singen, also fast an den Bodensee.
Beim Gäubahn-„Faktencheck“ in Stuttgart sprachen sich mehrere Vertreter der Region am Freitag dafür aus, diese Möglichkeit gründlich zu prüfen.
Damit könnte ab 2025 eventuell doch eine umstiegsfreie Fahrt zum neuen Stuttgarter Tiefbahnhof zumindest von Singen aus möglich sein, bis in acht bis zehn Jahren die neue direkte Anbindung der Gäubahn über den Stuttgarter Flughafen fertig ist.
Singens OB Häusler für Prüfung
„Ich bin nicht enttäuscht, weil ich keine Erwartungen hatte. Sagen wir: Ich gehe hier mit einem vorsichtigen Optimismus raus“, ist das Fazit von Bernd Häusler.

Der Singener Oberbürgermeister war zum großen Gäubahn-„Faktencheck“ am Freitag nach Stuttgart ohnehin nicht mit der Hoffnung angereist, entgegen der Pläne der Deutschen Bahn und der Stadt Stuttgart eine Option zum Erhalt einer direkten Schienenverbindung zum neuen Stuttgarter Tiefbahnhof mitzunehmen. Die bekam er auch nicht.
Aber dafür eine andere Option, und das zumindest ist ein greifbares Ergebnis des „Faktenchecks“: die erwähnte Verlängerung der Stuttgarter S-Bahn von Horb über Rottweil bis nach Singen. Der Vorteil: Damit würde zwar die Gäubahn weiterhin in Stuttgart-Vaihingen oder an einem neuen Haltepunkt im Stuttgarter Norden enden. Aber Reisende könnten via S-Bahn weiter ohne Umstieg zum neuen Stuttgarter Tiefbahnhof und zu weiteren Fernverkehrs-Anschlüssen oder zurück nach Singen kommen, bis die neue Gäubahn-Strecke über den Flughafen zum Tiefbahnhof eines fernen Tages fertig ist.
Ist auch Konstanz noch in Reichweite?
Die Anbindung an Rottweil war ohnehin schon in der Diskussion, die Diskussion über Singen ist neu und brachte sogar die Frage auf, ob Konstanz noch in Reichweite wäre. „Für uns am Ende der Gäubahn würde das in der Interimszeit jedenfalls etwas Positives bringen, auch Richtung Konstanz“, sagte Häusler.
Die Stuttgarter haben Bedenken
Widerspruch kam prompt vom Verband Region Stuttgart, dem Träger der S-Bahn – eine Verlängerung nach Singen würde zahlreiche neue Fahrzeuge erfordern, die Taktung der S-Bahn überfordern; zudem hätten die S-Bahnen weder Toiletten, die für eine solche Fahrt nötig seien, noch seien die Bahnsteighöhen der Bahnhöfe mit den S-Bahn-Zügen kompatibel.
„Eine solche Verlängerung wäre nicht trivial“, meint auch Gerd Hickmann, tief in die Thematik involvierter Abteilungsleiter aus dem baden-württembergischen Verkehrsministerium.
Wolf: Doch keine Alibiveranstaltung
Dennoch zog Guido Wolf, Tuttlinger CDU-Landtagsabgeordneter, der als Vorsitzender des Interessenverbandes Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn (GNBB) alle Beteiligten der Bahn, aus Bund, Land, Stadt und Region Stuttgart sowie die Anrainer und Verbände zum „Faktencheck“ eingeladen hatte, am Ende ein positives Fazit. „Wir haben die Sorge mancher, dass das hier eine Alibiveranstaltung wird, widerlegt“, bilanzierte Wolf und lobte die vorausgegangene „sehr sachliche Diskussion“.
In dieser waren über mehrere Stunden die Vor- und Nachteile von fünf verschiedene Varianten vorgestellt worden, um die Gäubahn bei der geplanten Kappung in Vaihingen ab Sommer 2025 interimsmäßig an den neuen Tiefbahnhof besser anzuschließen. Darunter neue Streckenführungen über Tübingen, Renningen oder eine Einschleusung der Gäubahn in die Stuttgarter S-Bahn-Stammstrecke – allesamt Varianten, die Wolf am Ende empfahl, nicht weiterzuverfolgen.
Erhalt der Gleise im Talkessel wird ausgeschlossen
Die „Variante 0“ freilich – der von Anliegern und Umwelt- und Fahrgastverbänden geforderte Erhalt der Gäubahngleise im Talkessel direkt zum Bahnhof – hatten Stadt Stuttgart und die Bahn zuvor als nicht machbar erneut kategorisch ausgeschlossen.
Die Gleise, die innerhalb der Stadt zum Hauptbahnhof führen, sollen weg – so wie es einst beschlossen und planfestgestellt wurde, als man noch von einer Gäubahn-Kappung von maximal sechs Monaten ausging. Die Stadt braucht die durch den Tiefbahnhof frei werdenden alten Gleisflächen dringend für den Wohnungsbau und die Stadtentwicklung der Landeshauptstadt, wie Bürgermeister Peter Pätzold ausführte.
Brücken müssten dann noch saniert werden
Und für die Bahn brachte Florian Bitzer, Bahn-Gesamtleiter Inbetriebnahme Stuttgart-Ulm und Digitaler Knoten Stuttgart, völlig neue Verhinderungsgründe für die „Variante 0“ an – veraltete Brückenbauwerke in der Stadt, die beim Weiterbetrieb der Gäubahn über 2025 hinaus teuer und zeitaufwendig generalsaniert oder gar ganz neu gebaut werden müssten, Infrastruktur-Probleme mit einem möglichen Restbahnhofsgleis sowie gravierende Sicherungsprobleme mit dem erforderlichen Oberleitungsnetz. „Das hat mich schon beeindruckt“, sagte der Singener OB Häusler anschließend dazu.

Für Matthias Lieb, Landesvorsitzender des Verkehrsclubs VCD und des Fahrgastbeirats Baden-Württemberg, waren die Präsentationen von Stadt und Bahn dagegen „weitere Scheinargumente“, um sich überhaupt nicht mit den Chancen für einen Erhalt der Gäubahngleise befassen zu müssen. „Für mich ist deutlich geworden, dass man nicht will, und nicht, dass es nicht geht“, so Lieb.
Das findet der FDP-Landtagsabgeordnete lustig
Auch Hickmann räumte ein, dass die neuen Gegenargumente der Bahn im Lauf der ganzen Jahre noch nie genannt worden waren. Und als „lustig“, bezeichnete es ironisch der Rottweiler FDP-Landtagsabgeordnete Daniel Karreis, dass die Brückenbauwerke laut Bahn gerade noch bis zum 31.12.2025 sicher sein sollten, ab 1. Januar 2026 aber generalsaniert werden müssten.

„Die Landesregierung hat das Ziel, die Zahl der Fahrgäste auf der Schiene zu verdoppeln. Aber es ist traurig: Wir bringen die Menschen auf die Straße.“Stephan Fischer, Amt für Stadtplanung und Umwelt der Stadt Konstanz
Eher enttäuscht gab sich am Ende Stephan Fischer vom Amt für Stadtplanung und Umwelt der Stadt Konstanz. „So, wie es aussieht, wird es für uns in Konstanz und der Region keine direkten Anbindungen und wirklich realistischen Möglichkeiten einer komfortablen Verbindung geben“, so Fischer. Er sprach auch eine andere mögliche Folge der Gäubahn-Kappung an: „Die Landesregierung hat das Ziel, die Zahl der Fahrgäste auf der Schiene zu verdoppeln. Aber es ist traurig: Wir bringen die Menschen auf die Straße“, so Fischer.
Enttäuscht die einen, zufrieden die anderen
Guido Wolf dagegen zeigt sich am Ende zufrieden. „Ich hatte schon Sorge, dass die Emotionen alter Stuttgart 21-Schlachten wieder aufleben. Das war nicht der Fall.“ Er wirbt dafür, die S-Bahn-Weiterführung mittels externer Expertise zu untersuchen. „Das könnte ein klares Signal Richtung Süden sein, um die Solidarität der Anlieger zu bündeln und die Akzeptanz zu erhöhen“, glaubt Wolf.
Schon im ersten Quartal 2023 soll es belastbare Ergebnisse dazu geben. Bis dahin dürfte vielleicht auch eine am Freitag völlig ausgeblendete Frage geklärt sein: Wie es rechtlich um die Betriebspflicht der Bahn für die Gäubahn bestellt ist. Das Eisenbahnbundesamt (EBA) lässt damit, ganz im Tempo der Bahn, seit geraumer Zeit auf sich warten.