Wann sollen die wegen der Corona-Pandemie geschlossenen innereuropäischen Grenzen wieder aufmachen? Um diese Frage tobt ein heftiger politischer Streit, seit Bundesinnenminister Horst Seehofer Hoffnungen auf eine baldige Öffnung eine Absage erteilt und die Corona-Grenzkontrollen bis zum 15. Mai verlängert hat – auch gegen den heftigen Widerstand aus Südbaden, wo die Grenze zur Schweiz Familien und Paare trennt.
Massive Kritik an dem CSU-Politiker kommt aus der Opposition. Und auch der Koalitionspartner SPD drängt auf rasche Öffnungen. Parteichef Norbert Walter-Borjans sagte unserer Redaktion: „Der durch Corona erzwungene Rückfall in alte Zeiten mit trennenden Grenzen ist ein besonders belastendes Symbol, das wir so schnell wie möglich überwinden müssen. Dieses Ziel werden wir aber schneller erreichen, wenn wir abgestimmt mit unseren Nachbarn die nächsten Schritte planen und an einem Strang ziehen.“
Walter-Borjans warnt vor Alleingängen, diese könnten zu herben Rückschlägen im Kampf gegen das Coronavirus führen. Nötig sei eine grenzübergreifende Abstimmung im europäischen Raum. Lockerungen beim Grenzverkehr an europäischen Binnengrenzen seien zudem keine Länderangelegenheit, mahnt er deutsche Ministerpräsidenten.
Auch Kurz ist liberaler
Seehofer hatte sich in einem Interview gegen eine rasche Wiederaufnahme von Reisen zwischen Deutschland und Österreich ausgesprochen. Der CSU-Politiker warnte vor „leichtsinnigen Öffnungen, die später in Gestalt erhöhter Ansteckungszahlen zurückschlagen. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte vor einigen Tagen gesagt, er könne sich eine Öffnung der Grenze zu Deutschland „in absehbarer Zeit“ durchaus vorstellen. Mit seiner Aussage wies Seehofer nicht nur die Überlegungen aus Wien zurück. Auch in einigen anderen europäischen Ländern, etwa Tschechien, wird über Grenzöffnungen diskutiert. Zudem hatten zahlreiche deutsche Politiker aus grenznahen Regionen Seehofer zu einer baldigen Lockerung gedrängt.
Entsprechend kräftig bläst Seehofer nun der Gegenwind aus der Opposition ins Gesicht. So sagte Franziska Brantner, europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag: „Wir brauchen jetzt einen Fahrplan zur Öffnung der Binnengrenzen. Die Personenfreizügigkeit ist essenziell für die EU und ihre Zukunft und darf nicht willkürlich durch Seehofer ausgesetzt bleiben.“ Europäer seien eben nicht nur Arbeitskräfte, so Brantner, „sondern Menschen, die gerade in Grenzregionen europäisch leben und auch lieben“. Deswegen brauche es in den Grenzregionen dringend Erleichterungen und Öffnungen für die Betroffenen. „Seehofers willkürliche Politik muss ein Ende haben.“
Seehofer soll „auf Internetseite schauen“
Hart ins Gericht mit Horst Seehofer geht auch der stellvertretende FDP-Chef und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki. Unserer Redaktion sagte er: „Der Bundesinnenminister sollte häufiger auf die Internetseite seines Ministeriums schauen. Dort kann man nämlich nachlesen, dass auch die Bundesrepublik Deutschland die europäische Freizügigkeit gewährleisten muss.“
Ein Sprecher Seehofers verteidigte die Verlängerung der Grenzkontrollen, diese seien mit den Ministerpräsidenten abgesprochen gewesen. Er räumte aber ein, dass die Situation derzeit für viele Bewohner der Grenzregionen ungewohnt und schwierig sei.
Unionsfraktions-Vize Andreas Jung (Wahlkreis Konstanz) und sein Parteikollege Felix Schreiner (Waldshut) hatten sich in den vergangenen Tagen dafür starkgemacht, auch Paaren ohne Trauschein ein Wiedersehen zu ermöglichen. „Nur mit Ausnahmen kommen wir hier nicht mehr weiter. Wir leben hier gemeinsam und unsere Region ist so verflochten, dass die Ausnahme die Regel ist“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Inzwischen ließ die Bundespolizei dem Vernehmen nach einige Bürger einreisen, deren Partner in Deutschland leben. Zugleich gibt es offenkundig aufgrund des enormen Andrangs Probleme bei der Einreise in die Schweiz.