In Stockach wurde eine junge Mutter, Sabrina P., mutmaßlich von ihrem Freund getötet. Die Ermittlungen laufen noch. In Markdorf erschießt ein Mann seine getrennt lebende Frau in einem Geschäft – nachdem er sich mit dem Taxi vorfahren ließ. Zwischen den beiden Fällen liegen nur sieben Tage und 40 Kilometer.

Dass eine Frau von ihrem eigenen Partner oder Ex-Partner getötet wird, ist in den meisten Fällen keine überraschende Affekt-Tat. Oft ist es das tragische Ende einer Beziehung, die schon lange von physischer und psychischer Gewalt geprägt war. Das sagen die Expertinnen der Beratungsstellen und Frauenhäuser, mit denen wir für diese Recherche gesprochen haben. Sie arbeiten tagtäglich daran, Frauen auf ihrem Weg raus aus Gewaltbeziehungen zu helfen.

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In Konstanz, Singen, Stockach, Sigmaringen oder Tiengen. Wir haben sie gefragt: Was können Freunde oder Nachbarinnen tun, wenn sie helfen wollen? Welche Frühwarnzeichen gibt es bei Betroffenen? Wo beginnt häusliche Gewalt überhaupt? Warum fällt Frauen die Trennung oft so schwer?

Womit beginnt häusliche Gewalt?

Häusliche Gewalt beginnt fast immer mit psychischer Gewalt, sagt Bettina Häberle. „Verletzungen oder ein blaues Auge – wenn Gewalt so offenkundig sichtbar wird, existiert sie meistens schon eine längere Zeit in einer Beziehung. Subtiler“, erklärt die Leiterin der Beratungsstelle häusliche Gewalt der Caritas Sigmaringen.

Die 48-Jährige arbeitet seit über zehn Jahren in der Beratungsstelle. Demütigungen und Beleidigungen seien meist die ersten Anzeichen, die Männer versuchten, ihre Frauen zu isolieren. Typische Sätze seien: ‚Deine Freundinnen sind kein guter Umgang für dich‘ oder ‚Deine Familie mischt sich in alles ein.‘ Die Frauen, die bei Bettina Häberle Hilfe suchen, glaubten oft, es dem Partner nie Recht machen zu können, alles falsch zu machen.

„Ihr Selbstbewusstsein wurde in vielen Fällen gezielt systematisch untergraben. Die Betroffenen fangen noch mehr an, dem Partner gefallen zu wollen, aber es wird nicht wertgeschätzt“, sagt sie. „Das ist bereits häusliche Gewalt.“ Ein wichtiges Merkmal: Ein Machtungleichgewicht in der Beziehung. „Da geht es nicht um Liebe, sondern um Macht und Kontrolle.“

Susanne Biskoping vom Frauenhaus Singen.
Susanne Biskoping vom Frauenhaus Singen. | Bild: Frauenhaus Singen

Susanne Biskoping arbeitet seit 20 Jahren im Frauenhaus Singen. „Zentrales Muster ist die Idee des Mannes, dass die Frau kein eigenes Subjekt ist. Dass sie ‚zu ihm‘ gehört. Er kontrolliert Kontakte und Handys und die Kleidung seiner Partnerin. Er unterstellt permanente Untreue. Das Opfer wird langsam immer unsicherer.“ Gedanken wie: ‚Vielleicht bilde ich mir das alles nur ein?‘, seien typisch. Sie appelliert: „Wenn Sie sich unsicher sind, rufen Sie bei uns an!“

Wann kommt es zu körperlicher Gewalt?

Die Expertinnen sehen ganz bestimmte kritische Punkte in einer Beziehung, an denen die Gefahr steigt, dass psychische Gewalttäter erstmals zu körperlicher Gewalt greifen. „Wenn man zusammenzieht, beim ersten Kind, nach der Hochzeit. Bei Pflegebedürftigkeit einer Person“, zählt die Sigmaringer Sozialpädagogin Bettina Häberle auf.

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Ein Auslöser könne ebenfalls sein, wenn die Frau zurück in ihren Beruf wolle. Weil der Mann dann das Gefühl habe, dass seine Macht und Kontrolle schwinden könnten. Als extrem gefährlich schätzen alle Beraterinnen, die wir befragt haben, die Trennung ein.

Susanne Biskoping vom Frauenhaus Singen erklärt: „Die Frauen bei uns berichten von Todesangst in der Trennungsphase. Sätze, die wir häufig hören, sind: ‚Der bringt mich um, der flippt aus‘. Das ist eine berechtigte Angst. Diese Männer haben meist eine ganz starke Fixierung, einen Besitzanspruch auf Frau und Kinder. ‚Wir sind ein Blut‘, hören wir dann manchmal.“

Die Frauen müssten dann im Grunde wie untertauchen. „Die potenziellen Täter müssen viel mehr in die Pflicht genommen werden, wir im Frauenhaus helfen den Opfern, aber der potenzielle Täter sucht sich eine Neue. Wir brauchen mehr Antiaggressionstrainings, mehr präventive Arbeit. Das ist keine Privatsache, das geht uns alle an“, fordert sie.

Wie unterscheidet sich der Streit in einer gesunden Beziehung von häuslicher Gewalt?

Auch in einer Beziehung auf Augenhöhe, sagt Sozialpädagogin Bettina Häberle, dürften mal die Fetzen fliegen. Der Unterschied zu häuslicher Gewalt sei der Umgang mit einem Streit. „Spricht man gemeinsam darüber, wie die Streitkultur ist? Oder bestimmt nur einer und die andere hofft, dass nicht mehr zum Eklat kommt? Kann die Frau auch ihre Wünsche äußern, sagen: ‚Ich möchte nicht, dass du mich beschimpfst?‘“, erklärt die Diplom-Sozialpädagogin.

Welche Anzeichen für häusliche Gewalt gibt es?

Es gibt einige Anzeichen von häuslicher Gewalt in einer Beziehung, die für das Umfeld der Betroffenen wahrnehmbar sein können. Ein häufiges Warnzeichen dafür, dass eine Frau in einer häuslichen Gewaltbeziehung steckt, ist laut den befragten Expertinnen Isolation.

Ann-Dorothée Zühlke vom Frauen-und Kinderschutzhaus Kreis Waldshut.
Ann-Dorothée Zühlke vom Frauen-und Kinderschutzhaus Kreis Waldshut. | Bild: Frauen- und Kinderschutzhaus Waldshut

„Ein Anzeichen, das wir häufig beobachten, ist sozialer Rückzug“, sagt Ann-Dorothée Zühlke vom Verein Frauen- und Kinderschutzhaus Kreis Waldshut. „Wenn man mit der Freundin vorher viel Kontakt hatte, und sie sich plötzlich von Familie und Freunden zurückzieht. Oder Entscheidungen erst mit dem Partner absprechen muss, die vorher selbstverständlich waren, – dann kann das ein Hinweis auf häusliche Gewalt sein.“ Man müsse genau hinschauen. Verletzungen, die in unterschiedlichen Stadien sind, seien ebenfalls Zeichen.

Marie Schumann von Frauen helfen Frauen in Not, der Beratungsstelle für Stadt und Landkreis Konstanz, nennt weitere Anzeichen: „Wenn ich merke, meine Freundin wirkt müde und abwesend, hat ihr Handy immer direkt neben sich und muss für ihren Partner ständig verfügbar sein, etwa. Oder, wenn sie Verabredungen häufig kurzfristig absagt.“

Wie können Außenstehende helfen?

Nicht nur Freunde, auch Nachbarinnen und Arbeitskollegen, können und sollten Frauen, die in einer häuslichen Gewaltbeziehung sind, helfen, appellieren die Mitarbeiterinnen von den Frauenhäusern und Beratungsstellen in der Region.

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Marie Schumann von Frauen helfen Frauen in Not Konstanz sagt: „Oft haben wir Freundschaften, die abbrechen. Weil Freundinnen es nicht aushalten, das mitanzusehen. Das treibt die Betroffenen noch mehr in die Isolation.“ Ihre Kollegin Waltraud Weber sagt: „Man sollte ihr das Gefühl geben, immer verfügbar zu sein. Dass man ihr jederzeit hilft, ob sie sich in zwei Wochen für eine Trennung entscheidet, oder erst später.“

Marie Schumann von Frauen helfen Frauen in Not.
Marie Schumann von Frauen helfen Frauen in Not. | Bild: Frauen helfen Frauen in Not

Nachbarn sollten, wenn sie mitbekämen, dass es häufig Streit gäbe, lieber einmal zu viel die Polizei rufen, als zu wenig. Die Polizei sei geschult. Waltraud Weber: „Scheuen Sie sich nicht, auch eine Arbeitskollegin anzusprechen, die geknickt wirkt oder verletzt ist. ‚Geht es dir gut? Kann ich dir helfen?‘ Es dauert manchmal, bis Frauen den Mut finden, aus einer Gewaltbeziehung auszubrechen. Gerade, wenn Kinder dabei sind. Deshalb sei es so wichtig, Angebote zu schaffen. Immer wieder, ohne zu drängen. Und als Familie: ‚Geben Sie ihr keine Schuldzuweisung!‘“ Alle Expertinnen von Frauenhäusern und Beratungsstellen appellieren an Arbeitskolleginnen und Freunde, an Nachbarn: „Rufen Sie im Zweifel uns an, wir beraten Sie gerne, wenn Sie unsicher sind, wie Sie helfen können!“

Wichtige Kontaktadressen für Betroffene von häuslicher Gewalt und ihren Angehörigen

Frauenberatungsstelle
Frauen helfen Frauen in Note.V.
Telefonische Sprechzeiten:
Montag – Donnerstag 9-12 Uhr
Mittwoch 16 – 18 Uhr, Termine nach Vereinbarung
Austraße 89, 78467 Konstanz
Tel.: 07531 / 67 999
Fax: 07531 / 69 35 79
beratung@gewaltgegenfrauen.de
www.gewaltgegenfrauen.de

Frauenhaus Konstanz
Nachtbereitschaft über die örtliche Polizei oder den Notruf 110
Tel.: 07531 / 15 728
fh@awo-konstanz.de
www.awo-konstanz.de/fh.htm

Frauenhaus Radolfzell
Nachtbereitschaft über die örtliche Polizei oder den Notruf 110
Tel.: 07732 / 5 75 06
Fksh.radolfzell@diakonie.ekiba.de
www.diakonie-radolfzell.de

Frauenhaus Singen
Nachtbereitschaft über die örtliche Polizei oder den Notruf 110
Tel.: 07731 / 31 244
Frauenhaus-singen@t-online.de
www.frauenhaus-singen.de

Bundesweite Frauenhaussuche: www.frauenhaus-suche.de

Beratungsstelle “Frauen helfen Frauen e.V.„ Friedrichshafen:
Tel: 07541 – 21800 | E-Mail:FhF-FN@web.de

Beratungsstelle „Häusliche Gewalt“ Sigmaringen:
Tel: 07571 – 730110 | E-Mail: bettina.haeberle@caritas-sigmaringen.de

Frauen- und Kinderschutzhaus Kreis Waldshut
07751 – 3553
frauenhaus@frauenhaus-wt.de
Postfach 1224
79742 Waldshut-Tiengen

Warum bleiben Frauen bei gewalttätigen Männern?

Warum Frauen in Gewaltbeziehungen bleiben, ist für Außenstehende oft schwer nachvollziehbar. Die Gründe erklärt Ann-Dorothée Zühlke vom Verein Frauen- und Kinderschutzhaus Kreis Waldshut. „Es handelt sich um ein Abhängigkeitsverhältnis, das nach und nach aufgebaut wurde. Es beginnt ja nicht damit, dass der gewalttätige Partner sagt: ‚Du wirst meine Frau, jetzt hau dich.‘ Vielmehr signalisiert er meist erst großes Interesse, will wissen, was man so macht, mit wem man telefoniert. Das mag zunächst schmeichelhaft sein. Häufig haben wir es mit einer vermeintlichen großen Liebe von 0 auf 100 zu tun. Alles geht ganz schnell, nach dem Motto: ‚Wir ziehen am besten gleich übermorgen zusammen und heiraten.‘ Doch das sind Warnzeichen! Bei den ersten Beleidigungen denkt die Frau vielleicht noch, er habe das nicht so gemeint. Die Macht und Kontrolle wird Stück für Stück massiver und massiver. Die Frauen werden oft psychisch erniedrigt und beginnen, an sich selbst zu zweifeln. Stichwort Gaslighting: Wenn man tagtäglich gesagt bekommt, dass die eigene Wahrnehmung falsch sei, wenn man von Freundinnen isoliert wird, fühlt man sich irgendwann klein. Wertlos. Wer tief in dieser Spirale steckt, hat oft keine Kraft, aus der Beziehung zu fliehen. Schon gar nicht, wenn Kinder da sind.“