Jetzt ist klar, warum das Landratsamt Bodenseekreis unter Leitung des damaligen Landrats Lothar Wölfe über Monate gemauert hat und nicht sagen wollte, wieviel Geld der Landkreis bei der Anmietung des Adlers in Sipplingen am Bodensee versenkt hat. Es sind über 800.000 Euro, die der Steuerzahler für das Missmanagement einer Behörde tragen muss. Mit der Schweigetaktik sollte vermutlich eine grobe Fehlleistung der Behörde der Öffentlichkeit verheimlicht werden. Das ganze Ausmaß kommt jetzt ans Licht, weil der SÜDKURIER bei seiner Recherche hartnäckig geblieben ist und die Offenlegung vor Gericht erzwungen hat.

Was war passiert: 2015 musste das Landratsamt Bodenseekreis im großen Stil Immobilien im Landkreis anmieten, um ankommende Flüchtlinge angemessen unterzubringen. Darunter fiel auch ein ganz besonderes Objekt, das ehemalige Hotel Adler in Sipplingen. Der markante rote Bau in der Schulstraße stand lange schon leer, das historische Gebäude liegt im verwinkelten Ortskern und weist als Teil des denkmalgeschützten Klosterensembles eine jahrhundertelange Geschichte auf.

Langfristvertrag ohne Ausstiegsklausel

Zum 1. März 2016 schloss das Landratsamt mit den privaten Eigentümern einen langfristigen Mietvertrag ab: Nach ursprünglichen Angaben des Landratsamts hatte dessen Laufzeit zehn Jahre betragen. Nun gibt das Landratsamt die Mietlaufzeit mit neun Jahren an. Ein entscheidender Fehler dabei war, dass vor der Vertragsunterschrift eine Überprüfung des Gebäudes auf dessen Tauglichkeit für die Unterbringung von Flüchtlingen unterlassen worden ist. Dazu kommt: Der Vertrag enthielt keine Ausstiegsklausel.

Für 40.000 Euro ließ das Landratsamt nach der Anmietung ein Gutachten anfertigen und das seinerzeitige Ergebnis war ernüchternd: Rund 530.000 Euro Sanierungskosten wären für die Ertüchtigung des Gebäudes fällig. Viel zu viel, entschied die Behörde und verwarf den Plan – das Gebäude blieb leer. Der Mietvertrag lief jedoch weiter und es fielen monatliche Kosten für Miete und Unterhalt an, ohne dass jemals ein einziger Geflüchtete dort übernachtet hätte.

Ex-Landrat blockiert Anfragen

Als der SÜDKURIER beim Landratsamt kritisch nachfragt, was Steuerzahler und damit die Bürgerinnen und Bürger des Bodenseekreises zu tragen hätten, verweigerte die Behörde unter Leitung von Lothar Wölfle dem SÜDKURIER und der Öffentlichkeit trotz mehrfacher Anfragen die Auskunft – zwei Jahre lang. Der SÜDKURIER klagte vor dem Verwaltungsbericht Sigmaringen auf Offenlegung der Zahlen und bekam Recht. Der Nachfolger von Wölfle, Landrat Luca Prayon, hat nun auf das Gerichtsurteil reagiert und die Zahlen mitgeteilt. Den Angaben zufolge wurden monatlich 6400 Euro Kaltmiete für den Adler fällig.

Düster sieht die Zukunft des einstigen Adlers in Sipplingen aus. Der markante rote Bau steht leer, Flüchtlinge haben dort nie gewohnt.
Düster sieht die Zukunft des einstigen Adlers in Sipplingen aus. Der markante rote Bau steht leer, Flüchtlinge haben dort nie gewohnt. | Bild: Ambrosius, Andreas

Ist der Mietzins gerechtfertigt? Nein, meint der Sipplinger Immobilien-Experte Dr. John Morgan, der über 30 Jahre als Sachverständiger für Großprojekte in ganz Deutschland tätig war. „Der monatliche Mietpreis von 6400 Euro scheint mir völlig am Markt vorbei zu sein.“ Es gebe für ein Objekt wie den Adler kaum Miet- oder Kaufinteressenten. Für die vorgesehene Nutzung als Flüchtlingsunterkunft wären nicht nur zahlreiche Sanierungsarbeiten notwendig gewesen, sondern wahrscheinlich auch neue Notausgänge, Brandmauern und vieles mehr. “Es ist mir unbegreiflich, dass das Landratsamt unter diesen Umständen den Adler angemietet hat, offensichtlich ohne vorher eine detailliertere Prüfung durchzuführen.“

Morgan kennt den Adler übrigens gut: Er hat dort 1971 seine Hochzeit gefeiert, wie so viele Sipplinger. Landrat Prayon gibt auf Anfrage keine Stellungnahme zur Sache ab, da die Thematik „weit vor seiner Zeit als Landrat lag“, wie ein Sprecher mitteilt.

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Nachdem das Mietverhältnis schon zwei Jahre andauerte und jährlich 76.800 Euro Kaltmiete plus Nebenkosten anfielen, wollte der Landkreis aus dem Vertrag aussteigen. Zum 31. Mai 2021 gelang es schließlich, mit den Eigentümern eine Aufhebungsvereinbarung zu schließen – zu einem hohen Preis.

Denn das Landratsamt erkaufte sich den Ausstieg den Angaben zufolge mit einer Abstandszahlung in Höhe von 288.000 Euro – exakt diese Summe wäre aber auch für die Kaltmiete fällig geworden bis zum regulären Ende des Mietvertrags, der heute mit einer Gesamtlaufzeit von neun Jahren angegeben wird. „Seitens des Regierungspräsidiums wurde dem Landkreis genehmigt, eine Abstandszahlung in Höhe von 100 Prozent der Restmietforderung dem Eigentümer zu bezahlen, da nicht mehr benötigte und unwirtschaftliche Liegenschaften abgebaut werden sollten“, heißt es dazu seitens des Landratsamts.

Gespart hat der Landkreis dem Steuerzahler gegenüber nichts, lediglich die wegfallenden Fix- und Nebenkosten von circa 58.000 Euro sind nicht mehr fällig geworden. All das sollte die Öffentlichkeit nicht erfahren. Lediglich der Kreistagsausschuss für Umwelt und Technik ist nichtöffentlich im Juli 2021 informiert worden.

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Massive Mauern, lange Historie: Der Adler in Sipplingen war lange Zeit Klostergaststätte und gehört zum denkmalgeschützten Klosterensemble. Wie es mit dem Gebäude weitergeht, ist ungewiss. Derzeit steht es weiter leer. | Bild: Ambrosius, Andreas

Unterm Strich steht die Summe von über 800.000 Euro, die für die Anmietung einer nicht genutzten Immobilie ausgegeben worden sind. Anwalts- und Gerichtskosten für das Landratsamt noch gar nicht mitgerechnet. Steuergeld, das von Bürgerinnen und Bürgern stammt und an anderer Stelle fehlt. ,,Im Nachhinein muss man feststellen, dass schlecht verhandelt wurde“, sagt Eike Möller, Landesvorsitzender des Bundes der Steuerzahler Baden-Württemberg zum Fall Adler. „Die Zeche müssen nun die Steuerzahler begleichen.“

Der Adler fristet unterdessen weiter sein Dasein und steht leer. Was aus dem Gebäude wird, ist ungewiss.